Polen Gegen erheblichen Widerstand hatte sich der Bürgermeister von Jedwabne für das Erinnern an die 1941 in der Stadt ermordeten Juden eingesetzt - jetzt musste Krzysztof Godlewski kapitulieren
Er werde mit seiner Familie wohl aus dieser Stadt wegziehen müssen, schreibt die Zeitung Polityka über den Mann, der unlängst, am 10. Juli, den polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski, den Botschafter Israels, Schewach Weiss, den Rabbiner Jacob Baker aus New York und andere Trauergäste in Jedwabne als Bürgermeister begrüßt hatte. Sie alle waren gekommen, um in Ostpolen der vor 60 Jahren von ihren christlichen Nachbarn ermordeten Juden zu gedenken.
Aber dieser Bürgermeister Krzysztof Godlewski, 46 Jahre alt, ist kein »Hiesiger«. Sein Vater, ein Schneidermeister aus der Gegend von Augustow in Nordpolen, hatte sich nach stürmischen Nachkriegsjahren erst Ende der sechziger Jahre in Jedwabne angesiedelt. Dort ging der Sohn Krzyszt
der Sohn Krzysztof zur Schule, machte sein Abitur, studierte auf der Technischen Hochschule in Danzig Elektronik und kehrte auf Umwegen nach Jedwabne zurück, um am örtlichen Gymnasium Mathematik und Physik zu unterrichten. Im postsozialistischen Polen wurde aus dem Studienrat ein Kommunalbeamter, der schließlich zum Bürgermeister aufstieg. Seine Frau blieb Lehrerin am Ort, die drei Söhne sind in Jedwabne geboren und aufgewachsen. Dennoch: es sind keine »Hiesigen«. »Wahre Polen« schimpften Godlewski in anonymen Schmähbriefen und Drohungen einen »jüdischen Büttel«, weil er sich - als ihm eine ältere Lehrerin am Gymnasium die Geschichte des Massenmords vom 10. Juli 1941 erzählt hatte - dafür einsetzte, den über der Stadt liegenden Schatten der Vergangenheit nicht länger zu bestreiten. Im vergangenen Jahr war mit der Veröffentlichung des Buches Die Nachbarn von Jan Tomasz Gross die Jedwabne-Debatte ausgebrochen, und Krzysztof Godlewski hatte zu den wenigen in der Kommune gehört, die entgegen der Haltung des Komitees zur Verteidigung unseres guten Namens (auch der Herr Pfarrer hatte sich dieser moralischen Vorhut angeschlossen) dafür plädierten, der Opfer des Pogroms feierlich zu gedenken. Als Godlewski dann zum 60. Jahrestag des Massakers auf dem Ring von Jedwabne seine Begrüßungsansprache hielt, musste er erfahren, dass nur wenige Mitbürger zu dieser Zeremonie erschienen waren. Später beim Kaddisch, dem traditionellen jüdischen Totengebet, fehlten auch sie. Keiner wollte vor dem symbolischen Massengrab stehen. Man hatte es nahe der Scheune angelegt, in der damals, an jenem 10. Juli 1941, Hunderte jüdische Kinder, Frauen und Männer von ihren christlichen Mitbürgern verbrannt wurden.Godlewski wusste, dass nur eine Minderheit im heutigen Jedwabne zum Boykott der Trauerfeier aufgerufen, aber sich die Mehrheit diesem Verdikt gebeugt hatte. Ihm, dem Bürgermeister, so bekam er von den »Hiesigen« zu hören, seien eine Teilnahme an der Feier und die Rede über Erinnerung, Schuld und Sühne wie überhaupt sein ganzes Engagement, seine Suche nach der Wahrheit eben leicht gefallen. Damit habe er allen nur gezeigt, kein »Hiesiger« zu sein.Die Nachricht, dass Godlewski nun resigniert hat und sein Bürgermeisteramt niederlegen wird, weil sich das Stadtparlament mehrheitlich weigerte, dem Bau einer asphaltierten Strasse zum Gedenkort für die Toten zuzustimmen, beherrschte nur für wenige Stunden Polens elektronische Medien. Einige Zeitungen rangen sich zu einer kurzen Meldung durch, andere zu Ignoranz. Erst das Wochenblatt Polityka stellte das Thema in seiner aktuellen Ausgabe vom 11. August groß heraus. So erfährt die Jedwabne-Debatte genau einen Monat nach der Gedenkfeier eine bemerkenswerte Fortschreibung. Godlewski, von der Zeitung Rzeczpospolita am Tage der Trauerfeier danach befragt, wie nun das Leben in der Stadt weitergehen werde, hatte da noch hoffnungsvoll geantwortet: »Es wird einfacher, bestimmt normaler«.Ein schwerer Irrtum, wie die erwähnte Abstimmung im Stadtrat zeigen sollte: Keinen Zloty für das »Denkmal der Juden« ... - »Da war er mit seinen Nerven am Ende. Als einem Mann mit Ehrgefühl« - so ein Jedwabner, den Polityka interviewte, der aber anonym bleiben wollte - »gab es für ihn keinen Ausweg mehr.« Wer von den »Verteidigern der Ehre Jedwabnes« Godlewski so übel anging, darüber wollte der anonyme Zeuge den Reportern von Polityka nichts sagen. »Man weiß nur, der Bürgermeister hat von unserer Niederlage gesprochen.«Die Frage, weshalb eine von ortsfremden, eindeutig antisemitischen Kreisen gesteuerte militante Minderheit diese Kleinstadt noch in der dritten Generation nach dem Zweiten Weltkrieg dazu bringen kann, es weiter mit jenen zu halten, die vor 60 Jahren ein scheußliches Verbrechen begingen - bleibt unbeantwortet. Damals, 1941, waren die Namen derjenigen allgemein bekannt, die ihre jüdische Nachbarn - von deutschen Okkupanten dazu angespornt - in den Tod trieben. Wer sie heute »Verbrecher« nennt, meint nicht die gesamte Einwohnerschaft der Stadt. Warum bleibt trotzdem eine Mehrheit, die das Verbrechen ehrlich verdammt, mit den Verbrechern solidarisch? Kommt diese Unheilige Allianz deshalb zustande, weil es damals welche von den »Unsrigen«, den »Hiesigen« waren, über die sich nun die »Fremden« erheben wollten, wie eilfertig unterstellt wird?Inzwischen wird in der Gazeta Wyborcza munter über »alten« und »neuen« Antisemitismus diskutiert. Als »neue, moderne (!) Antisemiten« gelten jene, die durch den Fernsehsender CNN jeden Tag rund um die Uhr erfahren, wie israelische Flugzeuge, Panzer und schwer bewaffnete Soldaten Palästinenser töten und darauf (vor allem für viele Studenten und Schüler trifft das zu) sehr emotional reagieren. Die Kulturanthropologin Joanna Tokarska-Bakir weist die oben zitiert Kategorisierung entschieden zurück: es gäbe beim Antisemitismus kein »alt« und »neu«! Dass die aggressive Politik Ariel Sharons von der ganzen zivilisierten Welt abgelehnt werde, habe mit Antisemitismus überhaupt nichts zu tun. Darauf zu reagieren, sei eine Frage des internationalen Rechts. Aber derzeit schlage wieder einmal die Stunde »Vereinfacher«, die zu jeder Zeit gefährlich seien.
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