So rasch und so reibungslos wie der Machtwechsel in Kroatien ist in der ganzen Region seit Jahrzehnten nichts mehr voran gegangen. Staunend durfte das Publikum besichtigen, wie das byzantinische Machtsystem des Franjo Tudjman sich nach dessen Tod binnen weniger Wochen in nichts auflöste. Die Diadochen begruben mit ihrem Herren auch die alten Entscheidungsstrukturen, und weil sie so schnell keine neuen schaffen konnten, sprang - sozusagen hilfsweise - die bislang wenig benötigte Verfassung des Landes ein. Einigen Fürsten der Nomenklatura-Partei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) wird man auch zugute halten müssen, dass sie auf den Tod Tudjmans ohnehin schon lange gewartet hatten - endlich eine Chance, auch einmal etwas auf demokratische Weise zu organisieren. Sie setzten sich durch. Die Erschütterungen, wie man sie nach dem Tode von Diktatoren kennt, blieben alle aus, das Leben ging seinen gewohnten Gang. Kroatien hat ein neues Parlament, und die Frage, ob die neue Mehrheit nun über zwei Drittel der Stimmen verfügt, hat sich schon fast erledigt. Denn die gefürchtete HDZ wird ihre Sperrminorität nicht mehr nutzen können - sie ist am Ende.
Am 24. Januar wird ein neuer Präsident gewählt, und spätestens nach der zweiten Runde dieses Votums, am 7. Februar, dürfte der Machtwechsel komplett sein. Schief gehen kann dabei nichts mehr, denn die HDZ ist vor Wochenfrist ihres Kandidaten verlustig gegangen. In turbulenter Sitzung hatte man sich zwei Tage nach der Parlamentswahl auf den moderaten Außenminister geeinigt. Denn nach dem Debakel vom 3. Januar war klar, dass allenfalls Mate Granic beim Wahlvolk noch eine Chance haben würde; die anderen Größen der Partei - Fraktionschef Vladimir Seks oder Tudjman-Berater Ivic Pasalic - standen ohne die Aura der Macht zu erbärmlich da.
Granic hat zu Tudjmans Lebzeiten mit diesem gern "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" gespielt. Immer wenn Tudjman die Welt empörte, schlich sich Granic zu den Diplomaten und zwinkerte ihnen zu: Es sei nicht so gemeint, und er werde das Schlimmste schon verhüten. Das begründete seine Popularität. Seit sein böses Gegenstück tot ist, kann auch Granic nicht mehr so recht wirken. Als er den rasanten Verfall seiner Chancen wahrnahm, zettelte er rasch einen großen Krach mit seinen Freunden an, legte alle Parteiämter nieder und kündigte an, für den Fall seiner Wahl aus der HDZ auszutreten. Die hat demzufolge gar keinen Zugang mehr zur Macht; ihre Auflösung ist eine Frage von Wochen.
Kroatien wird die HDZ nicht fehlen, schließlich bietet die neue Mehrheit ein komplettes Parteienspektrum von links bis rechts, in dem für eine nationale Sammlungsbewegung kein Platz mehr ist. Der eigentliche Wahlkampf findet zwischen den beiden Kandidaten der Opposition statt: Drazen Budisa und Stipe Mesic. Dabei sind die Fronten deutlich verschoben. Die Sozialdemokraten des künftigen Regierungschefs Ivica Racan unterstützen den Sozialliberalen Drazen Budisa, die vier anderen Oppositionsparteien Stipe Mesic von der Volkspartei. Politisch gibt das keinen vernünftigen Sinn, denn Mesic ist der linke - Budisa der rechte Kandidat. Es lässt sich aus der Geschichte des vergangenen halben Jahres erklären: Die sechs Oppositionsparteien verteilten sich mehr nach taktischen als nach politischen Kriterien auf zwei Wahlbündnisse, das eine bestand aus den beiden Großen - den Sozialdemokraten und Sozialliberalen -, das andere aus den vier kleineren. Die Sozialliberalen sind ungeachtet ihres Namens eher eine Rechtspartei, Budisa selber ist sogar ein Mann von äußerst konservativen Werten. Weil aber Racan mit seiner Unterstützung Regierungschef wird, wollte er selber mit Racans Unterstützung Staatspräsident werden. Politisch schien das angemessen, solange es gegen die HDZ ging. Damals ahnte man noch nichts vom Gegenkandidaten Mesic - er gehört der linksliberalen Volkspartei an, wird aber ebenfalls aus koalitionstaktischen Gründen nun von der äußerst konservativen Bauernpartei unterstützt.
Den sozialdemokratischen Wählern ist Budisa nicht recht geheuer. Er ist zutiefst national, sehr steif, patriarchalisch - er hat mit anderen Worten das Zeug dazu, ein zweiter Tudjman zu werden. Anders als Tudjman ist Budisa aber anständig und ehrlich. Er hat versprochen, die Befugnisse seines Amtes radikal beschneiden zu lassen.
Stipe Mesic (65) feiert eine Art politische Auferstehung. Er, der sich 1992 gut schrieb, Jugoslawien zerstört zu haben, überwarf sich zwei Jahre später mit Tudjman, gründete eine Kleinpartei und schloss sich bald darauf einer anderen an. Nun erinnert er die Kroaten mit Charme, Humor und seiner bestechenden Intelligenz an die glorreichen Tage der Staatsgründung. - Auch den Rest der Welt erinnert Mesic an etwas: daran nämlich, dass sich in Kroatien nach Tudjmans Tod ein von der internationalen Gemeinschaft abgelehntes, letztlich aber erfolgreiches Programm erfüllt. Kroatien hat sich gegen den Rat von EU und USA selbstständig gemacht, einen Krieg geführt - es hat trotz internationaler Proteste und Sanktionsdrohungen fast vier Fünftel seiner serbischen Minderheit vertrieben (s. Übersicht) und in Bosnien die Entstehung eines funktionsfähigen Staates verhindern helfen. Nach alledem genügt der Tod des Hauptverantwortlichen, um das Land zu rehabilitieren und zum EU-Beitrittskandidaten zu erheben. Wer akzeptiert hat, dass es in der Geschichte sowieso keine Gerechtigkeit gibt, wird damit kein Problem haben. Aber in der Gegenwart muss die plötzliche Erneuerung Kroatiens ihre Folgen haben. Sie zeigt nämlich deutlich, dass man einem autoritären Regime mit Normalisierung und gestuften politischen Sanktionen weit besser beikommt als mit totaler Isolierung. Sie zeigt außerdem, dass die politisch-ideologische Verderbheit der jugoslawischen Nachfolgestaaten nicht so tief geht, wie manche meinten. Gestern waren die Kroaten noch die finstersten Ustascha-Balkanesen - heute sind sie die lautersten Demokraten, denn mit der Wahl und ihrer Beobachtung durch Tausende unabhängige Bürger haben sie - was Zivilcourage und Selbstbewusstsein angeht - mancher reicheren Transformationsstaat hinter sich gelassen. Die Gesellschaften in Ex-Jugoslawien bestehen nicht aus Faschisten - hier leben ganz normale Postsozialisten wie in Ungarn, Rumänien oder Ostdeutschland. Das heißt auch: Kroatiens Erfolgsgeschichte lässt sich in Belgrad wiederholen. Man muss nur das Embargo aufheben.
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