Persönlich wollte sich die Kanzlerin nicht äußern. Aber über ihren Sprecher ließ sie mitteilen: „Spionage unter Freunden – das geht gar nicht.“ Als vergangenen Herbst bekannt wurde, dass die USA jahrelang Angela Merkels Funktelefon abgehört hatten, war die Empörung über dieses „Handygate“ groß. So groß, dass dabei ganz in den Hintergrund trat, dass ihr Vorgänger Gerhard Schröder vom US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) ebenfalls belauscht worden war. Auch der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Und weiteres politisches Spitzenpersonal in Berlin. Es war also kein Einzelfall. Dahinter stand System.
Die politische Wirkung der Affäre hielt sich indes in engen Grenzen. Der Wunsch der Deutschen nach einem No-Spy-Abkommen wurde von den Amerikanern freundlich zur Kenntnis genommen – und anschließend schnell beerdigt. In den bilateralen Beziehungen lief unterdessen alles weiter wie bisher.
Nun erschüttern die nächsten Spionageskandale die Beziehungen zu den USA und die Emotionen gehen erneut hoch. Den Ton gab Bundespräsident Joachim Gauck in seiner neuen Rolle als Nebenaußenpolitiker vor: „Dann ist ja auch wirklich zu sagen: Jetzt reicht’s auch einmal.“ Und die stets vorsichtige Angela Merkel, unterwegs auf Dienstreise in China, sah sich nicht zuletzt auch wegen Gaucks harscher Intervention zu einem offiziellen Statement genötigt. Sie sprach von einem „sehr ernsthaften Vorgang“ und Vertrauensbruch. Als kurz darauf ein zweiter mutmaßlicher Spionagefall bekannt wurde, reagierte die Bundesregierung schärfer und legte dem Residenten der US-Geheimdienste in Deutschland die Ausreise nah.
Jetzt wird zurückgeschaut
So richtig überrascht kann die Politik von diesen Vorfällen eigentlich nicht sein. Denn aus dem Umstand, dass bisher nur zwei Spionagefälle bekannt wurde, in den die USA in Deutschland verwickelt waren, lässt sich noch lange nicht schließen, dass so etwas unter Partnern nicht vorkommt. Dass Staaten keine Freunde haben, sondern nur Interessen, ist zwar eine Weisheit von Charles de Gaulle, aber sie hat von ihrer Aktualität bis heute ganz offensichtlich nichts eingebüßt. Nur dass die deutsche Regierung so tut, als hätte sie noch nie davon gehört. Dabei hätte sie durchaus die Gelegenheit, ihre eigenen Interessen auf dem zwielichtigen Terrain der Informationsbeschaffung zu formulieren und – anders als beim No-Spy-Abkommen – auch durchzusetzen.
Fast schon rührend mutet es allerdings an, wenn Innenminister Thomas de Maizière nun in Erwägung ziehen will, auch US-Agenten in Deutschland in den Blick zu nehmen. Die eigentliche Frage ist doch vielmehr, warum der Innenminister erst jetzt darüber nachdenkt. Denn dass die NSA ein Spionageprogramm auch gegen eigene Verbündete betreibt, ist bereits seit 2001 bekannt. Und seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden wissen wir auch, dass in Europa Deutschland das bevorzugte Ziel der NSA-Ausspähaktionen gewesen ist.
Die – durchaus berechtigte – Empörung über die jüngsten Spionagefälle ist trotzdem zu einem nicht geringen Teil scheinheilig. Denn das Ausmaß des Skandals ist dann doch eher bescheiden: Es handelt sich, nach allem was man bisher weiß, um 200 bis 300 Dokumente, die der BND-Mitarbeiter an die Amerikaner weiterreichte. Im Vergleich zu der Zahl an Informationen, die die NSA nach wie vor täglich im Netz abgreift, ein fast schon lächerlich geringes Quantum.
Dass der US-Geheimdienst und übrigens auch dessen britisches Pendant GCHQ – in großem Maßstab die Kommunikation ihres deutschen Partners überwachen, ist ja seit mehr als einem Jahr bekannt. Doch handeln will die Regierung nicht. Dabei hätte sie durchaus die Chance, sich endlich einmal den anderen auf Augenhöhe zu präsentieren. Sie müsste nur den politischen Mut aufbringen, Edward Snowden nach Deutschland zu holen, um mit seiner Hilfe den NSA-Skandal aufzuklären. Das wäre im ureigensten deutschen Interesse, aber sicher nicht im Sinne der Amerikaner. Doch solange die Bundesregierung es nicht mit de Gaulle hält, sondern sich wie gewohnt durchmerkelt, wird alles so bleiben wie bisher: Die USA handeln nach ihren Interessen und die Deutschen schauen dabei staunend, ab und an auch mit gerunzelter Stirn, zu. Daran ändern auch die jüngsten Ereignisse nichts.
In den USA läuft unterdessen das inzwischen routinierte Krisenmanagement bei selbstverursachten Partner-Problemen: Man zeigt wohlwollendes Verständnis für den deutschen Unmut, man drückt sein Bedauern über den Vorfall aus und verbreitet die üblichen Entschuldigungsstatements. Das Weiße Haus hat immer darauf vertraut, dass sich Berlin in absehbarer Zeit wieder abregt. Vorläufig gilt offenbar: Erst einmal sagt man nichts Konkretes und ganz wenig. Der Fall sei noch nicht aufgeklärt, heißt es. Laufendes Verfahren, so Regierungssprecher Josh Earnest zu Beginn der Woche. Und Ex-Außenministerin Hillary Clinton versichert, Präsident Barack Obama engagiere sich „sehr stark, um sämtliche Tatsachen in Erfahrung zu bringen und die Zusammenarbeit mit Deutschland fortzusetzen“.
In der zweiten Liga
Politik findet auf mehreren Ebenen statt, die Verbindungstüren zwischen den Etagen öffnen sich nur ganz selten und sehr kurz einen Spalt weit – wie bei den Snowden-Enthüllungen. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die Bundesrepublik und ihr Bundesnachrichtendienst nicht zur ersten Riege der „geheimdienstlichen Freunde“ der USA gehören. Nationen wie Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland genießen einen weit höheren Stellenwert. US-Politiker zögern dennoch, die deutsche „Wir hatten keine Ahnung“-Entrüstung öffentlich in Frage zu stellen. Frau Merkel soll ihr Gesicht wahren dürfen.
Zu Zeiten der alten Bundesrepublik betrieb die CIA in Bonn ihre weltweit größte Filiale. Der Außenposten war gegen die Sowjetunion gerichtet, aber man hatte auch zu ermitteln, in welchem Ausmaß es der DDR-Aufklärung gelang, bundesdeutsche Stellen zu unterwandern. Die USA wollten zugleich Bescheid wissen über Vorgänge in der Bundesregierung. Das bedeutete, die CIA war beim westdeutschen Verbündeten nachrichtendienstlich tätig, um zu erkennen und zu manipulieren. Sie agierte nicht zuletzt in dem Wissen um die ganz eigene Vergangenheit des BND.
Immerhin hieß dessen erster Präsident Reinhard Gehlen und war Generalmajor in Hitlers Wehrmacht sowie Chef der Abteilung Fremde Heere Ost. Nach dem Krieg wurde er zunächst Chef der „Organisation Gehlen“, die als Nachrichtendienst für die US-Armee tätig war, später für die CIA. Erst 1956 wurde die Organisation zum Bundesnachrichtendienst. Gehlen und seine Freunde kamen zu Amt und Würden und nicht vor Gericht wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen. Die Regierung des Kanzlers Konrad Adenauer und die CIA hatten mit den Ex-Nazis offenbar keine Probleme. Schließlich herrschte Kalter Krieg.
Institutionen haben nun einmal auch eine Art Gedächtnis. Und das besagt, die gemeinsame Geschichte ließ den dankbaren deutschen Dienst gleich am Anfang von den US-Kollegen abhängig werden. Das Verhältnis gedieh. Der Spiegel schrieb vor einem Jahr, als die Snowden-Dokumente publik wurden, im Detail über die intensive Zusammenarbeit von BND und NSA. Demnach muss es im BND wie in der Bundesregierung Verantwortliche geben, die eine Überwachung durch die NSA für nötig halten.
Geheimdienste rekrutieren nun einmal Mitarbeiter und Informanten aus allen Lebensbereichen. Man weiß ja nie, ob ein Handlanger am Kopiergerät irgendwann etwas wirklich Wichtiges sieht oder hört. Doch warum würde ein US-Geheimdienst, der so eng mit dem BND vernetzt ist, so viel gekränkte deutsche Eitelkeit mit einer Aktion riskieren, die nicht mehr wegzureden ist, wenn sie auffliegt? Vielleicht wollte ein CIA-Führungsoffizier bei Kollegen Eindruck schinden mit seinem Informanten. Es ist schwer zu verstehen. Die Geschichte vom untreuen jungen BND-Mitarbeiter. Wie sie vermittelt wird, das ergibt noch nicht viel Sinn.
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