Eine Mauer auf Dauer

Bühne Lemi Ponifasio hat mit "Le Savali: Berlin" eine Szenenfolge auf hohem ästhetischen Niveau geschaffen. Leider funktioniert sie nicht: zu viele Mittel, zu viele Mitwirkende

Zum Auftakt von Lemi Ponifasios mit Spannung erwarteter Eröffnungsproduk­tion der Berliner Theaterreihe Spielzeit Europa erklingt Musik: düster dräuend, ein wenig dissonant. Ein Mann entzündet ein Streichholz, der Eiserne Vorhang hebt sich. Eine steil aufragende schwarze Mauer aus Holz ist zu sehen, sie zieht sich über die Breite der Bühne. Federnd und wie in Zeitlupe bewegt sich ein Tänzer darauf vorwärts, unten, auf der Bühne, sein Doppelgänger. „I AM ANGELO“ schreibt Letzterer mit Kreide auf die Wand. Der Engel der Geschichte.

Der metaphysische Hinweis bleibt als rätselhaftes Memento den ganzen Abend über dort stehen. Mit Le Savali: Berlin hat der gefeierte Schamane und Choreograf Ponifasio aus dem geografisch und kulturell fernen Samoa eine assoziative Szenenfolge auf hohem ästhetischem Niveau geschaffen. Leider ohne damit zu einem überzeugenden Ergebnis zu finden. Ponifasios 1995 gegründetes MAU-Ensemble wird in der Inszenierung durch einen bulgarischen Frauenchor aus Berlin und Mitglieder einer Neuköllner Jugendtheatergruppe ergänzt, die sich gut in das Ensemble eingepasst haben.

Eine plumpe Bebilderung von Großstadtwelten kann man dem Abend nicht vorwerfen, auch nicht die nervtötende Überdeutlichkeit und Geheimnislosigkeit vieler internationaler Großproduktionen. Dennoch funktioniert er nicht. Zu viele Mittel und Mitwirkende, das Fehlen einer plausiblen Geschichte und ein ermüdendes Tempo strapazieren das Publikum.

Stolz, schön, aber sinnfrei

Abwechselnd reiht Ponifasio Bilder gequälter Individuen und perfekt synchronisierte Gruppenszenen aneinander, die sich kaum entziffern lassen und deshalb nur pompös wirken. Als sich nach minutenlangem Schreiten des Ensembles auf einer elliptischen Bahn um die Mauer eine bohrende Leere einstellt, ist die Spannkraft der Inszenierung endgültig erschöpft.

Le Savali: Berlin bleibt aber nicht nur kryptisch, es werden außerdem so großzügig Klischees von Wildheit und Zivilisation aufgerufen, dass man gern gewusst hätte, was der Kolonialismuskritiker Ponifasio damit will: Wenn ein auf allen Vieren Gehender am Ende kreatürlich über die Rampe ruft und eine zuckende Christusfigur mit Eiern bewirft, wenn Städter in ihren weißen Hemden als leidend-suizidale Geschöpfe dargestellt sind und Blut vom Schnürboden tropft, geht es vielleicht um falsche Errungenschaften der westlichen Welt. Genau weiß man das aber nicht.

Die Produktion, die laut Pressemappe „die Vision des Festivals als Ort der Kreation neu definiert“, ist ein Beleg dafür, dass ein Künstler wie Ponifasio unter den finanziell bescheideneren Bedingungen der Eigenproduktion und an Themen, die ihn direkt betreffen, offenbar überzeugender arbeiten kann denn als Auftragsregisseur der Berliner Festspiele. Dafür sprechen zumindest der Erfolg seiner umjubelten Arbeit Tempest: Without a body, die im vergangenen Jahr beim Tanz im August beeindruckte, und das Umweltstück Birds with Skymirrors, das 2010 bei Theater der Welt zu sehen war.

Abgesehen von der Mauer bleibt bei Le Savali: Berlin offen, was das mit Berlin zu tun hat. Die düstere, wenn auch exquisite Lichtregie (Helen Todd), die nervtötend suggestive Musik (Komposition: Fabrizio Cassol), die hervorragenden Performer und ein bestechend klares Bühnenbild (Ponifasio), all das steht stolz, schön, aber sinnfrei nebeneinander. Freuen darf man sich immerhin auf Birds with Skymirrors, das im Dezember noch einmal gezeigt wird.

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