Felix zu Löwenstein ist Bio-Bauer und neulich, in Kopenhagen, hat er es sich schmecken lassen. Er war in Dänemarks Hauptstadt, um einen Blick in die Zukunft zu werfen. In der Rathaus-Kantine hat er gegessen „wie in einem Sternerestaurant“ und sich dabei erklären lassen, womit Kopenhagen die Mensen all seiner öffentlichen Einrichtungen auf Bio-Standard umgerüstet hat: nicht mit horrenden Subventionen für den Einkauf, sondern mit Schulungen für das Küchenpersonal. Sechs Monate dauerte ein solcher Kurs anfangs. Inzwischen sind es sechs Wochen, die Stammbelegschaft kann ja Neulingen jetzt erklären, wie man mit weniger Fleisch leckere Menüs kocht – zum selben Preis wie früher.
Bio-Produkte machen in Dänemark acht Prozent des Lebensmittelmarktes aus, das Land ist Spitzenreiter in Europa, Deutschland liegt mit 3,7 Prozent im Mittelfeld. „Ernährungsbildung ist in Kopenhagens sogenannten food schools fester Bestandteil des Stundenplans“, schwärmt Löwenstein.
Seine Branche, die Landwirtschaft, wird im Jahr 2050 der größte Klimasünder der deutschen Volkswirtschaft sein. Für 35 der 60 Millionen Tonnen CO2, die Deutschland dann insgesamt nur noch ausstößt, werden landwirtschaftliche Betriebe verantwortlich sein. Die Industrie kommt auf lediglich 14 Millionen Tonnen. Diese Zahlen finden sich in einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) mit dem Titel Treibhausgasneutrales Deutschland 2050. Hinter „Energie“ steht in der Emissionstabelle eine Null.
Eine Tonne pro Kopf
Heute sieht Deutschlands Emissionsmix anders aus: 39 Prozent der klimaschädlichen Stoffe entfallen auf die Energiewirtschaft, 21 Prozent auf die Industrie, 18 Prozent auf den Verkehr und acht Prozent auf die Landwirtschaft.
In 35 Jahren, so malt das UBA sein Szenario aus, wird nicht nur Deutschlands Pro-Kopf-Verbrauch von elf Tonnen CO2 auf eine gesunken sein. Sondern die Wirtschaft, bis dahin immer noch um durchschnittlich 0,7 Prozent im Jahr gewachsen, wird sich radikal verändert haben.
Kohle und Öl haben ausgedient. Sonne, Wind und andere erneuerbare Energieträger sind endgültig an ihre Stelle getreten. Zusammengeschaltet in virtuellen Kraftwerken, vernetzt mit riesigen Speichern sorgen sie für die sichere Energieversorgung eines Landes, in dem 72,2 Millionen Menschen leben. Sie gießen die Fundamente ihrer Windkraftanlagen nicht mehr mit Zement, sondern mit einem CO2-armen Bindemittel wie Celitement; ihre Windräder kommen aus Stahlwerken, die mit Elektrolyse auf Basis von grünem Strom arbeiten. Der private Verbrauch ist gesunken, die Energieeffizienz gehörig gestiegen. Autos gibt es nur noch mit Elektro-Antrieb und in Carsharing-Netzwerken, als ein gleichbedeutendes unter vielen Fortbewegungsmitteln wie Zug, Elektrorad und Bus. Das Essen ist regional und meist bio, Fleisch eine Delikatesse; Kunden, Erzeuger und Einzelhandel sind gemeinsam Teilhaber lokaler „Wertschöpfungsgemeinschaften“.
Die Nummer eins unter den Emissionsquellen ist die Landwirtschaft, weil sie im Gegensatz etwa zur Energieerzeugung auf natürlichen Umsetzungsprozessen beruht, die sich nicht neutralisieren lassen. Auch wenn es nur noch wenige Kühe gibt, dann stoßen diese immer noch eine Menge Methan aus. Natürlich sinken die Emissionen ohne Massentierhaltung und Chemiedünger in absoluten Zahlen, nur ihr relativer Anteil steigt, der großen Reduktionsleistungen in anderen Bereichen wegen.
Ist ein Land mit einem solch emissionsneutralen Wirtschaftssystem im Jahr 2050 nicht nur vorstell-, sondern auch machbar? Werden nicht vielmehr Kohle- und Autokonzerne Beharrungsvermögen bewiesen haben? Wird nicht die Bundesregierung ihr Ziel, 80 bis 95 Prozent CO2 gegenüber 1990 einzusparen, längst beerdigt haben? Werden Menschen sich nicht schämen, dass sie so naiv waren zu glauben, sie könnten die Erderwärmung unter zwei Grad halten?
Das UBA stellt seiner 2050-Studie, die Szenarien für nahezu alle Sektoren der deutschen Wirtschaft enthält, folgenden Satz voran: „Unser Anliegen ist, zu zeigen, dass ein treibhausgasneutrales Deutschland mit vorwiegend technischen Maßnahmen möglich ist.“ Und dann heißt es weiter: „Es enthält keine Aussage darüber, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Entwicklung eintritt – und es ist keine Prognose der künftigen Entwicklung. Sondern es beschreibt eine von verschiedenen Möglichkeiten, wie ein treibhausgasneutrales Deutschland aussehen könnte.“ Sprich: Die Technik steht der klimafreundlichen Zukunft nicht im Wege. Es ist alles eine Frage des politischen Willens.
Etliche Menschen glauben nicht an die technologische Machbarkeit einer großen Transformation. Die Postwachstumsbewegung fordert, Industriestaaten wie Deutschland müssten vor allem eines: schrumpfen. Nur wenn sie lernte, dass ein Leben ohne Überfluss ein glückliches Leben ist, dann könne überhaupt ein Leben möglich sein, das nicht durch Extremwetterereignisse und brutale Verteilungskonflikte um knappe Ressourcen gekennzeichnet ist.
Jüngst hat ein internationales Forscherkonsortium unter Beteiligung des Wuppertal-Instituts eine weitere Studie über Wege zu einer weitgehenden Dekarbonisierung Deutschlands vorgelegt und darin konstatiert: Die anfangs hohe Geschwindigkeit der Emissionsminderung in Deutschland hat sich zuletzt verringert. Der Wandel stagniert, obwohl die Emissionen eigentlich jährlich um 3,5 Prozent zurückgehen müssten, um das Klimaziel für das Jahr 2050 noch zu erreichen. Ist Deutschland wandlungsfähig genug?
Unternehmen der Zukunft
Die Wachstumskritik ist bisher kaum über Appelle an Politik und an den individuellen Lebensstil, über praktische Nischenprojekte wie Tauschläden hinausgekommen. Doch die Leerstellen füllen sich.
Der Umweltökonom Dirk Posse hat zuletzt ein Buch mit dem Titel Zukunftsfähige Unternehmen in einer Postwachstumsgesellschaft vorgelegt. Es ist eine ausführliche ökonomische Analyse, die überhaupt erst einmal vorstellbar macht, dass es so etwas geben kann: eine Firma, die ohne Wachstumszwang innerhalb der sozialen und ökologischen Grenzen wirtschaftet. „Entwicklungen wie Ressourcenverknappung, Nachfragesättigung und Wirtschaftskrisen lassen geringere Wachstumsraten mittlerweile als realistische Zukunftsperspektive erscheinen“, schreibt Posse. Daraus folgt: Wer als Pionier heute eine Nische besetzt, der bringt sein Unternehmen womöglich in eine aussichtsreiche Position für die Welt, die morgen ohnehin kommen wird.
Ob man nun eine Postwachstumsgesellschaft für erstrebenswert, unausweichlich oder realitätsfern hält: Mehr solcher Analysen würden auf jeden Fall nicht schaden.
Energie Woher kommt der Strom, wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind weht? Ein Berliner Unternehmen zeigt, wie es geht
Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein ganz normales Großraumbüro. Acht Tische sind zusammengestellt, auf den Bildschirmen sind Diagramme, Kurven und Zahlen zu sehen. Doch in Wirklichkeit ist dies hier ein Kraftwerk, ein virtuelles. Hier werden mehr als 1.000 Ökostromanlagen gesteuert und die Elektrizität so gebündelt, dass am Ende alles wie eine einzige Anlage funktioniert. Das virtuelle Kraftwerk steht in Berlin-Charlottenburg, in der Firmenzentrale von Grundgrün. Die Räume sind hell, nur durch Glaswände voneinander abgegrenzt, die Drehstühle in einem knalligen Grün, die Küche heißt „Ladestation“. Das Unternehmen mit seinen 70 Mitarbeitern gibt sich modern, geradezu futuristisch. Hier soll sichtbar werden, wie die Zukunft aussieht.
Die Entwicklung ist klar: Erneuerbare Energien verdrängen Kohle, Gas und Atom, im Jahr 2050 sollen mindestens 80 Prozent des Stroms umweltfreundlich sein, so steht es im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Doch während die fossilen Kraftwerke durchgängig die gleiche Menge an Strom liefern, schwankt die Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom sehr stark, je nach Wetter. Eine der großen Herausforderungen ist daher, auch künftig zu jedem Zeitpunkt die benötigte Strommenge zur Verfügung zu stellen.
In seinem virtuellen Kraftwerk löst Grundgrün diese Herausforderung schon heute. Auf einigen Bildschirmen sind die Prognosen für Wind und Sonne zu sehen, auf anderen die Produktion der Biogaskraftwerke. Minutengenau können hier Anlagen hoch- oder runtergefahren werden. Ziel ist es, stets so viel Strom zu erzeugen, wie die Kunden verbrauchen. Andere Ökostromanbieter beliefern ihre Kunden mit eingekaufter Elektrizität vom Strommarkt und speisen die gleiche Menge an Strom wieder ins Netz ein – allerdings mitunter zu einer anderen Zeit.
Bisher hat es Grundgrün mit der Steuerung leicht: Die Anlagen erzeugen mehr als fünf Terawattstunden pro Jahr, die eigenen Kunden verbrauchen jedoch nicht mal eine Terawattstunde, der große Rest wird einfach an der Börse verkauft. „Je mehr direkte Abnehmer wir bekommen, desto schwieriger wird es“, sagt Geschäftsführer und Gründer Eberhard Holstein. „Irgendwann werden wir auch Stromspeicher einbinden müssen.“
Wenn Produktion und Verbrauch auf der Ebene eines einzelnen Unternehmens aufeinander abgestimmt werden, und nicht auf der Ebene des gesamten Strommarkts, dann ist das zwar wirtschaftlich ineffizient, räumt Holstein ein. „Aber unser virtuelles Kraftwerk soll Vorbildcharakter haben. Wir zeigen, dass die Energiewende funktioniert.“
Auch die Kunden können mitmachen. Grundgrün bietet Verträge an, in denen stundenweise abgerechnet wird, der Preis orientiert sich dann an der aktuellen Verfügbarkeit: Wenn viel Wind weht und die Sonne scheint, ist die Kilowattstunde besonders billig. Im Sommer letzten Jahres wurde der erste Vertrag abgeschlossen, mit einer Bierbrauerei. Sie erhitzt den Kessel je nach Wetterprognose mal früher, mal später. Damit spart sie Geld und hilft, die Schwankungen in der erneuerbaren Stromproduktion abzufangen.
Mittlerweile nutzen 200 Geschäftskunden den zeitgebundenen Tarif und nur 100 den Festpreis. „Schon seit Jahrzehnten gibt es variable Tarife für große Abnehmer wie zum Beispiel Aluhütten“, sagt Geschäftsführer Holstein. „Aber wir haben den Prozess vollautomatisiert und können das daher auch kleineren Firmen anbieten.“ Für Privathaushalte lohne sich das jedoch nicht. Messgerät, Datenübertragung und Abrechnung seien zu teuer.
Es gibt weitere Möglichkeiten, die Schwankungen von Wind und Sonne auszugleichen: zusätzliche Stromspeicher und der Ausbau des Stromnetzes. Christoph Podewils von der Denkfabrik Agora Energiewende sagt: „Neue Leitungen sind im Moment auf jeden Fall billiger.“ Die EU-Kommission will das europäische Stromnetz ausbauen lassen, die Kupplungsstellen an den Staatsgrenzen sollen verstärkt werden, außerdem sind neue Übertragungsleitungen in den Ländern geplant. Wenn Deutschland künftig von Wolken überdeckt ist, könnte beispielsweise Solarstrom aus Frankreich kommen.
Zusätzliche Speicher hingegen lohnten sich erst, wenn die erneuerbaren Energien 60 bis 70 Prozent der Stromproduktion ausmachen, also etwa im Jahr 2035, sagt Podewils. Dann gehe es zunehmend darum, den überschüssigen Sonnenstrom vom Sommer oder den Windstrom vom Herbst für einige Monate aufzubewahren. Dazu eigneten sich Batterien nicht so gut wie die Power-to-Gas-Technik.
Dabei wird der Strom genutzt, um Wasserstoff zu erzeugen. Der wird in Erdgas eingeleitet und kann unter der Erde gespeichert werden. Am Ende lasse sich daraus zwar nur ein Drittel der ursprünglichen Energie wiedergewinnen, aber wenn Solarstrom künftig noch günstiger erzeugt werden kann als heute, könne das Speichern unterm Strich ein ähnliches Preisniveau haben wie Strom heutiger Gaskraftwerke. Podewils ist daher optimistisch: „Bis 2050 werden wir weitgehend ohne fossile Anlagen auskommen.“ Felix Werdermann
Landwirtschaft Massentierhaltung und Dünger sind Klimakiller. Der Ausweg? Eine Aktiengesellschaft
Bier steht am Anfang der Vision von Ulf Schönheim und eine Aktiengesellschaft ist ihr Fundament. Denn Schönheim ist Vorstandsvorsitzender der Regionalwert AG Hamburg und wenn er sich die Landwirtschaft der Zukunft ausmalt, dann beginnt das mit einer lokalen Brauerei, die Braugerste beim Ackerbauern in der Nachbarschaft bestellt und Maische als Futter an den Milchviehbetrieb liefert. Dessen Milch geht an die Molkerei, der Dung an den Ackerbaubetrieb, dessen Schweine sich zugleich über die Molke aus der Molkerei freuen, als Futter. Brot, Gemüse, Fleisch, Milch, Käse – alle Endprodukte aus der Region kaufen die Endverbraucher bei Einzelhändlern ein oder sie gehen auf ein Bier ins Wirtshaus.
Im Idealfall freuen sich diese Endverbraucher nicht nur über die lokalen Produkte, für die sie ihr Geld ausgeben. Sondern sie verdienen am eigenen Einkauf – als Aktionäre der Regionalwert AG. Ihr Kapital fließt in Investitionen zugunsten der Mitgliedsbetriebe und erwirtschaftet, wenn die Geschäfte laufen, eine kleine Dividende. 190 Aktionäre zählt die AG bereits, sie haben Aktien im Wert von 777.500 Euro gezeichnet. Jetzt steht die Entscheidung an, welche Bewerber die ersten Mitgliedsbetriebe und Empfänger der Investitionen werden; Grundlage ist ein Katalog mit Öko-, Sozial-, Betriebswirtschafts- und Transparenzkriterien. Konventionelle Betriebe können einsteigen – müssen aber in vier Jahren auf Öko umgestellt haben.
Ulf Schönheim ist angetreten, um die Nahrungsmittelversorgung in Hamburg, Schleswig-Holstein, in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns und Niedersachsens regional zu machen – und damit klimaschonend und „enkeltauglich“, wie er sagt. Das Vorbild kommt aus Freiburg, die dortige AG feiert kommendes Jahr ihren zehnten. Geburtstag, Nachahmer gibt es zudem in der Isar-Inn-Region, im Rheinland, in Österreich, der Schweiz und Katalonien. Aber kann dieses Modell im Jahr 2050 allenthalben Normalität sein? „Ich bin mit ausreichend Fantasie ausgestattet, um mir das vorstellen zu können“, sagt Schönheim. Denn die Kosten der heutigen industriellen Landwirtschaft mit Massentierhaltung und Überdüngung würden nicht erst die Enkel bezahlen: „Für die bezahlen wir schon heute, etwa über unsere Wasserrechnung.“ Wasserwerke komme es immer teurer zu stehen, die Nitrat-Grenzen für das Trinkwasser einzuhalten. Gerade startet die nächste Ausgabe von Aktien der Regionalwert AG Hamburg.
Das Klima hat es dringend nötig: Konventionelle Landwirtschaft sorgt für erheblich mehr Emissionen als biologischer Landbau. Deshalb sollen Bio-Betriebe 2020 ein Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland bewirtschaften, so will es die Bundesregierung. Doch das Ziel ist in weiter Ferne: Nach zwei Jahrzehnten kontinuierlichen Wachstums stagnierte der Bio-Anteil 2014 erstmals – bei 6,3 Prozent der Fläche und 8,2 Prozent der Betriebe.
Da erstaunt es kaum, dass die Deutschen im vergangenen Jahr unverändert viel vom Emissionstreiber Fleisch gegessen haben: 88,3 Kilo pro Kopf im Durchschnitt. Denn billiges Fleisch ist eigentlich teuer – es wird nur mehr über die Wasserrechnung als an der Supermarktkasse bezahlt. Sebastian Puschner
Industrie Fast die Hälfte des deutschen Stahls ist ein Recycling-Produkt. Dennoch braucht die Branche dringend eine Postwachstumsstrategie
In Salzgitter und Peine versucht sich die deutsche Stahlindustrie an einer klimafreundlichen Zukunft. An den beiden Standorten hat sie in einem Pilotprojekt die weltweit erste, 63 Millionen Euro teure Bandgießanlage errichtet. Anders als beim herkömmlichen Verfahren muss der Stahl dabei nicht zigmal erhitzt, abgekühlt und wieder erhitzt werden. Stahlteile, wie sie etwa die Autoindustrie für leichtere, verbrauchsärmere Fahrzeuge benötigt, lassen sich passgenauer herstellen. „Verkürzung der Prozessketten durch endabmessungsnahe Gießverfahren“ nennt das Umweltbundesamt solche Energieeffizienzprojekte. Heißt übersetzt, im Ergebnisbericht des Versuchs in Peine und Salzgitter: 40 Prozent weniger Treibhausgasemissionen, 20 Prozent weniger Primärenergie, 90 Prozent weniger Kühlwasserverbrauch.
Mit über 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ist die Stahlindustrie das mit Abstand emissionsstärkste produzierende Gewerbe in Deutschland. Zugleich hat sie beeindruckende Reduktionen vorzuweisen – minus 19 Prozent zwischen 1990 und 2014. „Stahlunternehmen in Deutschland und Europa haben bereits viel für den Klimaschutz getan“, schreibt die Wirtschaftsvereinigung Stahl in einem Papier. Aber dann, gleich im nächsten Satz: „Nun ist die Branche an den Grenzen des technisch Machbaren angekommen – die Anlagen arbeiten bereits heute nahe am naturwissenschaftlichen Minimum.“ Will sich da jemand um die hohen Anpassungskosten für die dringend nötigen weiteren Innovationen drücken?
Es gibt zwei Arten der Stahlerzeugung – die, bei der Eisenerz mit Hilfe von Steinkohlenkoks im Hochofen zu Roheisen und dann mithilfe weiterer chemischer Prozesse zu Stahl umgewandelt wird. Und die, bei der Schrott in Elektrolichtofenbögen zu Stahl recycelt wird. Die zweite Methode ist die weitaus klimafreundlichere, denn sie nutzt aus, dass Eisen und Stahl Stoffe mit sehr vorteilhaftem Umweltprofil sind. Sie lassen sich nahezu uneingeschränkt wiederverwenden und ohne Qualitätsverlust zu neuen Produkten umschmelzen.
46 Prozent des deutschen Stahls stammen aus Schrott. Das ist beeindruckend viel, doch der Anteil lässt sich schwer steigern: Immer mehr Stahl wandert in sehr langlebige Güter wie Windkraftanlagen, viele Produkte gehen in den Export und kehren nicht wieder als Schrott zurück. Außerdem ist Schrott weltweit so gefragt, dass allein Deutschland 2014 davon 3,8 Millionen Tonnen mehr importiert als exportiert hat.
Zwar gibt es Ideen für völlig neue, potenziell klimaneutrale Verfahren in der Stahlproduktion. Doch die sind entweder, wie das Elektrolyse-Verfahren, noch überhaupt nicht ausgereift. Oder sie eignen sich nicht für die Umstellung heute existierender, auf jahrzehntelange Laufzeiten ausgerichteter Werke. Sondern nur für Neubauten. Vielleicht erledigt sich das Problem aber auch von selbst: Wer den jüngsten Stahlbericht des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung liest, der sieht düstere Zeiten für die Branche anbrechen.
„Die Phase kräftiger Zuwächse in der weltweiten Stahlerzeugung scheint vorüber zu sein“, schreibt das Institut. Die Gründe: China stößt an die Grenzen seines Wachstums, die Regierung stellt die Wirtschaft auf Konsumgüter und Dienstleistungen um, die resultierende Überproduktion der chinesischen Stahlindustrie senkt global die Preise. Selbst in Deutschland wird die Binnennachfrage wichtiger. Dass zugleich vermehrt Stahl aus vielen neuen Werken, die in Asien gebaut werden, auf den Markt drängen wird, macht der exportorientierten deutschen Industrie zu schaffen.
Geradezu verzweifelt mutet es an, wenn der Präsident des Weltstahlverbandes, Wolfgang Eder, warnt: Angesichts der von der EU-Kommission angekündigten Verschärfung der Klimaziele bleibe der Branche nur die Abwanderung aus Europa. Vielleicht sollten sich die hiesigen Stahlbarone lieber der Herausforderung stellen, wie sich ein „degrowth by design, not by desaster“ organisieren ließe. Sebastian Puschner
Verkehr Dürfen wir noch Auto fahren? Nur, wenn es elektrisch ist, wir es uns teilen und eine App nutzen
Das Privatauto wird es auch im Jahr 2050 noch geben. Aber es ist selten. Sehr selten. „Das ist, als wenn Sie heute einen Helikopter hätten“, sagt Andreas Knie. Der Verkehrsforscher und Soziologe leitet das Innovationszentrum InnoZ, das unter anderem von Siemens, der Deutschen Bahn und der Deutschen Telekom getragen wird. Knie ist überzeugt, dass Carsharing das Modell der Zukunft ist. Heute steht ein Auto mehr als 90 Prozent seiner theoretischen Nutzungszeit nur herum.
Auch der Antrieb werde sich ändern. „Die Monopolstellung der Benzin- und Dieselverbrennungsmotoren wird verschwinden“, sagt Knie. Aber was kommt dann? Wasserstoff? Biogas? Elektrobatterie? Der Wissenschaftler glaubt, dass sich die Elektromobilität durchsetzen wird. Im Jahr 2050 würden schon mindestens zwei Drittel der Autos mit Batterieantrieb fahren. Fahrräder ohne elektrische Unterstützung würden zur Rarität.
Automatisch kommt die Verkehrswende allerdings nicht. „Die Politik muss mutige Entscheidungen treffen“, sagt Knie. Beispielsweise koste ein öffentlicher Autostellplatz etwa 6.000 Euro pro Jahr, die Städte sollten von den Autobesitzern 20 Euro pro Tag verlangen, Gratis-Parken gäbe es nicht mehr. Das würde den Trend zum Carsharing stärken.
Flüge innerhalb Deutschlands sollten verboten werden, für die anderen müssten CO2-Begrenzungen gelten, fordert Knie. „Dann müssten die Airlines beispielsweise auf Wasserstoffantrieb umsteigen.“ Technisch sei das schon heute machbar, aber sehr teuer. „Für 500 Euro nach China zu fliegen, das wird es in Zukunft nicht mehr geben.“
Im Alltag wird es dafür einfacher: Schiene und Straße werden besser miteinander vernetzt, auf Reisen werden die verschiedenen Verkehrsmittel kombiniert, prognostiziert Knie. „Auf dem Smartphone haben Sie dann eine App für alles.“ Diese App gibt es schon heute: Sie heißt Qixxit, wurde von der Bahn entwickelt und in den ersten 15 Monaten über 200.000 Mal heruntergeladen.
Qixxit plant den Weg von Haustür zu Haustür. Dabei werden praktisch alle Verkehrsmittel berücksichtigt und in unterschiedlichen Farben angezeigt: zu Fuß, Fahrrad, Leihrad, Pkw, Carsharing, Mietwagen, Taxi, Bus, Fernbus, Straßenbahn, Regionalzug, Fernzug, Flugzeug. Eigentlich fehlt nur noch das Schiff. Die Nutzerin kann auch einzelne Verkehrsmittel abwählen, wenn sie etwa keinen Führerschein oder keine Lust auf Fernbusse hat.
Am Ende werden verschiedene Optionen angezeigt, samt Preis, Zeit und CO2-Ausstoß. Solange die Standardeinstellungen beibehalten werden, wird eine Reise empfohlen, die nach Dauer, Umstiegszahl, Preis und Nutzzeit optimiert ist. Die Suchkriterien können jedoch geändert werden. Ein zwölfköpfiges Team im Bahn-Konzern entwickelt die App weiter, bald sollen Tickets direkt über die App gebucht werden können.
Bewirbt die Bahn nicht die Angebote der Konkurrenz? Die Unternehmen müssten bloß ihr Fahrplandaten liefern, zahlten aber nichts, sagt ein Bahn-Sprecher. „Wir hoffen, dass wir mit Qixxit neue Fahrgäste gewinnen.“ Die App richte sich schließlich an Gelegenheitsbahnfahrer, für Stammkunden gebe es den DB-Navigator.
Bislang sind es vor allem jüngere Menschen, die Qixxit nutzen. Aber im Jahr 2050 sieht das vielleicht anders aus. Felix Werdermann
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