Auf das Leben! Britta Jürgs hat eine weibliche Anthologie über das Trinken geschaffen
Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images
In der TV-Werbung schütten sich Großeltern vorzugsweise Vitaminpülverchen rein und reiben sich mit diversen Schmerzgels ein, um für die Enkel fit zu sein. Im richtigen Leben ist es kaum anders: Endlich von allzu großem Drang nach Jugendlichkeit befreit, können insonderheit Großväter nun mit den Enkeln tun, was sie den Kindern vorenthielten. Freilich nur, wenn ihnen die Kinder die eigenen Vernachlässigungen oder Autoritärerziehungen nicht allzu sehr nachtragen und sie gewähren lassen. Dann können die Alten sich nach absolviertem Berufsleben der zweifachen „strukturellen Feminisierung“ stellen. Sie können dann also, sagt der evangelische Männeralterns-Experte Eckhart Hammer in seinem ein wenig fluffigen Ratgebe
ig fluffigen Ratgeber, wenn sie Glück haben, ein gutes Jahrzehnt noch miterziehlich wirken. Sie können mild Grenzen setzen, wo die Eltern sich zum Affen machen, oder liberal sein, wo Eltern die Überwachungsdrohnen geben. Sie sind in einer Welt des flitzenden Wandels keepers of meaning, Vermittler überdauernder Werte. Was für sie wiederum durchaus ein Jungbrunnen sein kann. Ach, was ist das doch für eine harmonische Familienwelt!Spätestens mit der Pubertät der dann nicht mehr so lieben Enkel versiegt der Jungbrunnen. Dann geht es mit Opa und – statistisch gesehen um Einiges später – auch mit Oma irgendwann doch zur Neige. Da ist es für verantwortungsbewusste Greisinnen und Greise angesagt, sich vorm Ableben ums Selbige zu kümmern. Zumindest dann, wenn man’s nicht einfach den Kindern oder den Behörden überlassen will. Verkürzen kann man den Prozess allerdings erheblich, wenn man sich – ob nun mit Lappalie oder Letalem – in eine unserer profitorientierten und departementalisierten Kliniken einliefern lässt. Da kommen Keim, Lungenentzündung und Sepsis ziemlich todsicher. Es sei denn, man geriete an einen Arzt wie Michael de Ridder. Der leitete bis vor kurzem die Rettungsstelle des Berliner Urban-Krankenhauses, dann das Vivantes-Hospiz in Berlin. Er ist Autor von Büchern über das Gesundheits- und Sterbesystem, die zu Recht Bestseller wurden. Sein Leitfaden für den Abschied vom Leben ist ein juristisch approbierter Ratgeber zu den einzelnen Formular- wie Folge-Stationen, von der Patientenverfügung bis zur Palliativmedizin.Er reflektiert die Freiheit und die Tücken der Selbstbestimmung, geht nüchtern, aber stets prägnant auf das ein, was man gerne verdrängt, Suizid, Sterbefasten, Wiederbelebung, künstliche Ernährung und Koma, um über Demenz zu den letzten Stunden zu kommen. Schließlich noch ein Gruß an die Mitwelt, die Organspende. Der unfröhlichste, aber nützlichste Ratgeber seit langem!Tja, und dann ist man tot. Heute hat das nicht mehr zwangsweise zur Folge, dass man auf einen Friedhof kommt. Vom Nach- und Wohlleben im wurzelwerkenden Geheimnis der Bäume eines Friedwalds bis zur Würzung der Meere hat die Asche allerlei Auswahl. Friedhöfe kann man nun gelassener in Augenschein nehmen.Friedhöfe als friedliche Kulturstätten – die freilich von vielem erzählen können, von Krieg und Epidemien, von Familienprunk und -streit, Künstlerruhm und Fabrikantenerfolg, Verscharrnis und Vergessen, verödetem Prunk und andächtigem Nachleben. JörgSundermeier, dem Amte wohlbekannt, hat sich in der ihm eigenen Neugier und Schreiblust auf elf Berliner Friedhöfen umgetan – unter Promis, Philosophen und Protzen, zu Lebzeiten von allerlei Geschlecht. Schließlich verrät er auch noch, wo man in einer umgebauten Friedhofskapelle Kaffee trinken kann.Noch angenehmer, als sich auf Friedhöfen Inspiration für oder Immunisierung gegen den Tod (oder auch nur einen Kaffee) zu holen, ist freilich, lebendig aufs Leben zu trinken. Zwar ist in diesem speziellen Falle unsereins davon ausgeschlossen, wie der Leichnam vom Leichenschmaus, denn es handelt sich ausschließlich um Mädel, Frauen und Damen, die sich da fröhlich eins zuprosten, aus Lebenslust oder aus Freude über ein Ableben.Aber die Damenwahl, die die Verlegerin Britta Jürgs da unter den Autorinnen wie unter den Getränken und Trinkanlässen getroffen hat, ist zwischen Tania Blixen und Virginia Woolf, zwischen Annemarie Weber und Marguerite Duras, zwischen Françoise Sagan und Irmgard Keun, zwischen Dörte Hansen und Dorothy Parker so liberal wie lustvoll, dass man sich gerne mal auf die Rolle des randständigen Mitgenießers beschränkt – zumal die versammelten Weiblichkeiten sich nicht nur in schönster literarischer Vielfalt, sondern auch zum Zwecke des zwanzigjährigen Jubiläums von Britta Jürgs jüngst auch im Freitag gewürdigten Aviva-Verlag zuprosten. Zu welchem wir denn auch nicht anstehen, hoffungsfroh auf eine lebendige Zukunft, zu gratulieren! So ein anthologisches Autorinnenbesäufnis hat jedenfalls seinen eigenen Charme, den man sogar ganz trocken genießen könnte.Placeholder infobox-1
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