An der für Samstag in Bagdad geplanten Irak-Konferenz sollen neben den USA auch Vertreter Syriens und des Iran teilnehmen. Ein klares Zeichen dafür, dass sich die Bush-Administration zu politischen Korrekturen gezwungen sieht, wie sie der US-Kongress mit seiner demokratischen Mehrheit energisch fordert. In beiden Kammern wird seit Wochen ein enormes politisches Potenzial aktiviert, um einen Kurswechsel der amerikanischen Außenpolitik einzuleiten. Am weitesten ging dabei Mitte Februar der einstige Sicherheitsberater mehrerer US-Regierungen, Zbigniew Brzezinski. Wir dokumentieren entscheidende Passagen seines Vortrags.
Herr Vorsitzender!
Ihre Anhörung kommt zu einem kritischen Zeitpunkt im von den USA gewählten Irak-Krieg, und ich lobe Sie und Senator Lugar dafür, sie angesetzt zu haben.
Es wird Zeit, dass das Weiße Haus zwei wesentliche Realitäten akzeptiert: Der Krieg im Irak ist eine historische, strategische und moralische Katastrophe. Unter falschen Annahmen geführt, untergräbt er Amerikas globale Legitimität. Seine zivilen Opfer wie auch einige Missbräuche beflecken Amerikas moralische Reputation. Von manichäischen Impulsen und imperialer Anmaßung getrieben, verstärkt er die regionale Instabilität.
Nur eine politische Strategie, die historisch relevant ist, statt an koloniale Bevormundung zu erinnern, kann den Krieg im Irak und die zunehmenden regionalen Spannungen beenden.
Wenn die Vereinigten Staaten sich weiterhin in diesem langwierigen, blutigen Konflikt verzetteln, steuern sie geradewegs auf einen frontalen Zusammenstoss mit Iran und großen Teilen der islamischen Welt zu. Ein plausibles Szenario für einen militärischen Konflikt mit Iran sieht so aus: Der Irak wird als Staat für gescheitert erklärt und der Iran dafür verantwortlich gemacht. Sodann wirft man Teheran irgendeine Provokation im Irak oder einen terroristischen Anschlag in den USA vor. Dies kulminiert in einer "defensiven" Militäraktion gegen Iran, die ein einsames Amerika in einen immer ausgedehnteren und tieferen Sumpf stürzt, der sich schließlich über Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan erstreckt.
Schon jetzt kursiert eine mythische historische Erzählung, um einen langwierigen und sich möglicherweise ausweitenden Krieg zu rechtfertigen. Die Rede ist vom "entscheidenden ideologischen Kampf" unserer Zeit, was an die früheren Konfrontationen mit Nationalsozialismus und Stalinismus erinnert. Islamischer Extremismus und al-Qaida kämen der Bedrohung durch Nazi-Deutschland und später Sowjetrussland gleich - 9/11 entspräche der Attacke auf Pearl Harbor.
Diese simplifizierende und demagogische Erzählung übersieht, der Nationalsozialismus setzte auf die militärische Stärke desjenigen europäischen Staates, der industriell am weitesten entwickelt war; und der Stalinismus konnte nicht nur die Ressourcen der siegreichen und militärisch starken Sowjetunion mobilisieren, sondern fand durch seine marxistische Doktrin weltweit Anklang.
Die Mehrheit der Muslime hingegen begrüßt den islamischen Fundamentalismus nicht - al-Qaida bleibt eine isolierte Abweichung. Die meisten Iraker beteiligen sich deswegen am Kampf gegen die Besatzung, weil diese den irakischen Staat zerstört hat. Iran wiederum zeigt sich - obschon sein regionaler Einfluss zunimmt - politisch gespalten und ökonomisch wie militärisch schwach. Wer argumentiert, Amerika führe bereits Krieg in einer Region, von der eine umfassende islamische Bedrohung ausgehe, deren Epizentrum Iran sei - der beschwört eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Bedauerlicherweise basierte die US-Außenpolitik im Mittleren Osten zuletzt fast vollständig auf solchen Slogans. Die verantwortlichen US-Diplomaten haben eine Haltung moralistischer Selbstausgrenzung gegenüber Iran angenommen, die stark an John Foster Dulles´ Auftreten in den frühen fünfziger Jahren gegenüber den kommunistischen Führern Chinas erinnert. Es dauerte mehr als zweieinhalb Jahrzehnte, bis ein anderer republikanischer Präsident dieses Vermächtnis abschütteln konnte.
Praktisch kein Land der Welt teilt jene manichäischen Täuschungen, die von der Administration so leidenschaftlich vorgebracht werden. Damit isolieren sich die USA zusehends, und der überall vorhandene Widerstand gegenüber ihren Ansprüchen wächst.
Offenbar verlangt das nationale Interesse einen deutlichen Richtungswechsel. Wir brauchen dringend eine Strategie, um jene Probleme zu lösen, die von der Besatzung des Irak und den davon ausgelösten zivilen und konfessionellen Konflikten geschaffen wurden. Dabei sollten die einander verstärkenden Ziele sein: die Besatzung beenden und einen regionalen Sicherheitsdialog begründen. Das Bemühen um eine politische Lösung für das Chaos im Irak sollte vier Schritte beinhalten:
Die Vereinigten Staaten müssen deutlich und unmissverständlich ihren Willen beteuern, den Irak in einer vertretbar kurzen Zeitspanne zu verlassen. Mehrdeutigkeiten über die Dauer der Besatzung begünstigen nur den Unwillen zum Kompromiss und verstärken die innere Konfrontation. Mehr noch, eine öffentliche Erklärung ist nötig, um die Ängste im Mittleren Osten vor einer neuen und anhaltenden imperialen Hegemonie zu zerstreuen.
Die Vereinigten Staaten sollten in Gesprächen mit irakischen Führern festlegen, wann der Abzug des US-Militärs vollendet sein wird, und dies als gemeinsame Entscheidung präsentieren.
Notwendigerweise müssen alle irakischen Führer - auch jene, die nicht innerhalb "der Grünen Zone" residieren - in diese Diskussion einbezogen werden. Nur der Dialog wird die authentischen Anführer hervorbringen, die fähig und selbstbewusst genug sind, ohne Schutz des US-Militärs auf eigenen Füßen zu stehen. Nur wer über die Grüne Zone hinaus tatsächlich Macht auszuüben vermag, wird einst eine wirkliche irakische Übereinkunft erzielen können. Doch große Teile des derzeitigen Regimes - von der Bush-Regierung als "repräsentativ für das irakische Volk" charakterisiert - definieren sich weitgehend über ihre Residenz: die sechseinhalb Quadratkilometer große US-Festung in Bagdad, geschützt von einer Mauer, die an manchen Stellen viereinhalb Meter dick und überall mit schwerbewaffnetem US-Militär besetzt ist - bekannt als die Grüne Zone.
Die USA sollten gemeinsam mit geeigneten irakischen Führern alle Nachbarn und vielleicht einige andere muslimische Länder wie Ägypten, Marokko, Algerien und Pakistan einladen - oder von den irakischen Führern einladen lassen -, um einen Dialog über die Stabilität des Irak zu beginnen.
Das kann nicht glücken, solange die USA als Besatzer auf unbestimmte Zeit gelten. Iran und Syrien haben keine Veranlassung, den Vereinigten Staaten dabei zu helfen, eine permanente regionale Hegemonie zu festigen. Ein ernsthafter regionaler Dialog könnte hingegen auch Mächte wie die EU, China, Japan, Indien und Russland einbeziehen.
Zugleich sollten wir glaubwürdig und energisch auf einen israelisch-palästinensischen Frieden dringen. Dabei müssen wir die Region davon überzeugen, dass sich die Vereinigten Staaten sowohl Israels dauerhafter Sicherheit verpflichtet fühlen als auch der Fairness gegenüber den Palästinensern, die nun seit über 40 Jahren auf ihren eigenen Staat warten. Nur eine externe Intervention kann die lange verzögerte Übereinkunft bewirken - Israelis und Palästinenser werden dies allein nicht schaffen. Ohne ein solches Abkommen werden nationalistische und fundamentalistische Leidenschaften in der Region auf lange Sicht jedes arabische Regime verdammen, das als Unterstützer der USA gilt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Vereinigten Staaten die Demokratie in Europa verteidigen, weil sie erfolgreich eine langfristig angelegte Strategie verfolgten. Sie wollte von Aggressionen abschrecken, ohne Anfeindungen auszulösen, und währenddessen mögliche Absprachen ausloten. Heute wird Amerikas weltweite Führerschaft im Mittleren Osten auf die Probe gestellt. Eine ähnlich weise Strategie wird dringend gebraucht.
Zwischentitel von der Redaktion / Aus dem Englischen von Steffen Vogel
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.