Der IG-Metaller Carsten Bätzold hat mit Fridays for Future kein Problem, im Gegenteil. Denn auf einem toten Planeten gibt es keine Jobs, sagt er.
der Freitag: Herr Bätzold, mussten Sie in den letzten Monaten ihr Büro abschließen, um sich vor wütenden Kollegen zu schützen?
Carsten Bätzold: Nein, warum?
Anders als viele IG-Metall-Spitzenfunktionäre haben Sie und Ihr Betriebsratsgremium sich gegen Kaufprämien für PKW mit reinem Verbrennungsmotor ausgesprochen. Ihre Kollegen könnten gedacht haben: Wir haben einen Mann gewählt, der unsere Arbeitsplätze kaputtmachen will.
Ich glaube nicht, dass meine Kollegen das gedacht haben. Ähnliches habe ich auch unserer Lokalzeitung, der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen, erzählt. Das hat im Betrieb einen ziemlichen Widerhall gefunden. Erstaunlicherweise gab es nur anerkennende Rückmeldungen und Nachfragen. Ich habe nicht einen Schmähbrief bekommen, es gab auch keine Protest-Austritte aus der IG Metall.
Also stimmt es gar nicht, dass Beschäftigte der Autoindustrie, wenn es ums Klima geht, nur an ihre Arbeitsplätze denken?
Natürlich müssen die Kolleginnen und Kollegen ihre Familien ernähren. So funktioniert das nun mal im Kapitalismus: Du verkaufst deine Arbeitskraft und kriegst Geld dafür. Aber jeder, der ein bisschen denken kann, weiß, dass die Klimaerwärmung das große Problem unserer Zeit ist. Das ist auch bei uns im Betrieb so. Und die, die sich damit auseinandersetzen, wissen natürlich, was wir für Autos bauen und welche Umweltkosten, aber auch welche sozialen Folgen damit verbunden sind. Klimapolitik ist ein wichtiges Thema in der Belegschaft. Ich habe Kollegen, die bei Fridays for Future dabei sind. Als Betriebsratsvorsitzender sitze ich mit Vertretern der Kassler Fridays auch im Klimaschutzrat der Stadt.
Ende September 2020 war von Fridays for Future eine Betriebsumzingelung geplant. Wie haben die Kollegen reagiert?
Das ist eine andere Geschichte. Ich habe kurz zuvor in einem Podcast die Belegschaft dazu aufgerufen, solidarisch mit den Fridays zusammenzuarbeiten. Deren Anliegen sind richtig. Was die Kollegen und auch mich sauer gemacht hat, war die Form der Aktion, nicht der Inhalt. Wenn Kollegen nach der Schicht nicht vom Platz kommen und mit ihrem Kleinen einen Untersuchungstermin beim Kinderarzt verpassen, hört der Spaß auf.
Was ist denn genau passiert?
Im Vorfeld hieß es, dass Tausende Demonstranten kommen würden, um die Fabrik zu umzingeln. Die Polizei hatte alles abgesperrt. Am Ende standen drei Mann an der Bushaltestelle und haben sich selbst gefilmt.
Die deutsche Autoindustrie steckt in einer der tiefsten Strukturveränderungen der vergangenen Jahrzehnte. Droht Firmen wie VW dasselbe Schicksal wie Ford oder Chrysler in den 1990ern?
So, wie Volkswagen aufgestellt ist, glaube ich, dass sie einer von den wenigen großen Autoproduzenten sein werden, die überleben werden. Wahrscheinlich wird VW sogar gestärkt aus der Transformation hervorgehen.
Zur Person
Carsten Bätzold, 55, Realschulabschluss, Lehre als Universalfräser bei VW in Baunatal, seit 1990 Betriebsrat, seit 2012 Betriebsratsvorsitzender im zweitgrößten deutschen VW-Werk. Bätzold hat drei Kinder, als Hobbys „die üblichen Kampfsportarten wie Fußball“
Warum gestärkt? Der Dieselskandal hat doch Milliarden gekostet.
Aber er hat paradoxerweise auch geholfen, die Umstellung auf Elektromobilität zu forcieren. Die riesigen Investitionen finanziert das Management aktuell mit dem Verkauf von SUVs. Gleichzeitig wird die Belegschaft über die demografische Entwicklung abgebaut, um Kosten zu reduzieren. Am Ende wird ein kleinerer Volkswagen-Konzern genau das machen, was er vorher auch gemacht hat, nur wahrscheinlich mit kleineren Autos, die batterieelektrisch betrieben sind.
Derzeit setzen viele Hersteller auf Plug-in-Hybride, die als nachhaltiger Weg in die Zukunft beworben werden.
Das ist totaler Quatsch. Mein Auto wird ja nicht dadurch umweltfreundlicher, dass ich sechs Säcke Zement hinten reinlege. Das ist genauso absurd wie die Elektro-Strategie der Konzerne, Zweieinhalb-Tonnen-Autos mit Batterien zu versehen. Man muss nicht mal Physik studiert haben, um zu kapieren, dass das Unfug ist. Es geht um Profitmaximierung und um das Abgreifen staatlicher Prämien. Mit Klimaschutz hat das nichts zu tun, abgesehen vom Marketing.
Wie würde echter Klimaschutz aussehen?
Das Problem ist das Geschäftsmodell der Branche, das dafür ausgelegt ist, jährlich 70 Millionen Autos in den Weltmarkt zu drücken. Was wir brauchen, sind weniger Autos, kleinere Autos, ein Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs mit bedarfsgerechten Rufbus- und Carsharing-Angeboten für den ländlichen Raum. Natürlich braucht man für so ein Verkehrssystem immer noch Autos. Dafür müssen wir in den nächsten zehn Jahren die Voraussetzungen schaffen.
Viele Kollegen würden ihren Job verlieren.
Das passiert doch sowieso. Ich gehe davon aus, dass bei VW Kassel von den aktuell 17.000 Arbeitsplätzen in den nächsten zehn Jahren 5.000 bis 8.000 abgebaut werden. Punkt. Das wird bei uns allerdings ohne betriebsbedingte Kündigungen passieren, vielmehr über den demografischen Wandel, unterstützt durch Altersteilzeit.
Das sagen Sie Ihren Kollegen einfach so?
Ja, so ehrlich müssen wir sein. Nur so können wir auch Gegenmaßnahmen treffen.
Zum Beispiel?
Wir brauchen regionale Konzepte: Wir haben etwa bei uns Firmen, die bauen Schienenfahrzeuge oder Bus-Komponenten. Wir haben in Kassel das Bombardier-Werk mit etwa 600 Beschäftigten. Dort können Arbeitsplätze entstehen, wenn wir ÖPNV und Schienennetze ausbauen. Dann die gesellschaftlich notwendigen Bereiche wie Kitas, Alten- und Pflegeheime oder Krankenhäuser. Es ist sinnvoll und möglich, dort mehr und gute Arbeitsplätze aufzubauen. Man muss es nur politisch wollen.
Das wäre für Ihre Kollegen eine Option? In der Pflege würden sie nicht mal die Hälfte verdienen …
Natürlich nicht, die Lohnunterschiede sind enorm. Aber das ist ja nicht in Stein gemeißelt, sondern politisch veränderbar. Wie wichtig diese Jobs sind, hat die Corona-Krise gezeigt. Also müssen wir sie tarifieren und so vergüten, dass sie auch für jemanden interessant sind, der sonst bei VW arbeiten würde. Nur: Das Problem kann ich nicht bei uns im Betrieb lösen. Wenn ich jetzt anfange, zu fordern, Volkswagen sollte noch mal weniger Autos verkaufen, ja, dann verkauft sie ein anderer. Darauf brauchen wir eine Antwort. Dazu muss man aber politisch erst mal die richtigen Fragen stellen: Wie sieht denn eine Mobilitätswende aus, mit der wir tatsächlich die klimatischen und gesellschaftlichen Herausforderungen hinbekommen? Da gibt’s, glaube ich, eine Menge gute Ideen. Die Frage ist halt: Wer traut sich, tatsächlich in so eine Diskussion zu gehen?
Der Jenaer Soziologe Klaus Dörre schlägt vor, dass die IG Metall die Rolle eines „progressiven Akteurs einer Nachhaltigkeitsrevolution“ übernehmen sollte.
Es wäre für die Organisation nicht so schwer, das zu tun. Dazu braucht es aber erst mal Diskussionen: Welche Geschäftsmodelle stellen wir uns vor? Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen braucht es? Wollen wir den Wandel blockieren, oder macht es mehr Sinn, diesen Weg zu gestalten, und zwar mit der Kraft, die uns noch zur Verfügung steht? Denn das ist ja auch klar: Diese Kraft wird immer kleiner. Wir können ja gar nicht so schnell gucken, wie wir Betriebe verlieren. Ich will damit aber nicht sagen, dass alles nur den Bach runtergeht. Wir können vielleicht wieder neue Stärke gewinnen – aber nur, wenn wir den Kopf nicht in Sand stecken. Meine Erfahrung ist, dass unsere Leute von uns erwarten, dass wir mit ihnen ehrlich über Alternativen diskutieren. Dann sind sie auch bereit, zusammenzustehen und etwas zu riskieren.
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