A–Z Können Staaten miteinander befreundet sein? Wie werden aus ehemaligen Geliebten enge Freunde? Und was hat Nietzsche und Wagner entzweit? Unser Lexikon der Woche
Anzahl In einem anderen digitalen Zeitalter, Ende des vergangenen Jahrzehnts, begannen verschiedene Studien sich mit den neuen digitalen Freundschaften zu beschäftigen. Und fanden heraus: Wer eine gewisse Anzahl an Freundschaften übersteigt, wirkt unglaubwürdig. „So viele Freunde kann doch niemand haben, und wenn doch, liegt es an einem verwässerten Freundschaftsbegriff“, war damals der Tenor auf den Pausenhöfen. Über tausend Freunde auf Facebook? Das ruft keine moralische Empörung mehr hervor. Und für wen Freunde ein Politikum sind (Obama zum Beispiel – oder die CDU), der kann sich einfach welche kaufen. Bei einer Agentur, für rund zehn Euro pro Freund. Ab 10.000 gibt es Mengenrabatt. Es hat sich aber auch eine Bewegung gebil
Es hat sich aber auch eine Bewegung gebildet, in der es avantgardistisch ist, seine Freundschaften maximal zu begrenzen. 80 Facebook-Freunde als eine Art Luxus. Gleichzeitig ist es ein Boykott des Netzwerk-Gedanken und hat damit schon fast aufrührerisches Potenzial. Juliane LöfflerBBeziehung „Wir können ja Freunde bleiben.“ Das soll dann wohl ein kleiner Trost sein, wenn die Beziehung beendet wird. Meist ist das nur eine Floskel – leider viel zu oft. In Wirklichkeit können die Voraussetzungen für eine Freundschaft nicht besser sein. Für ein Entfreunden nach der Trennung gibt es gar keinen Grund. Man kennt sich, vertraut sich, hat vieles gemeinsam erlebt. Man mag sich, sonst wäre man gar nicht erst zusammengekommen. Die Umwandlung einer Beziehungspartnerin in eine beste Freundin ist natürlich nicht ganz einfach. Das braucht Zeit. Sechs bis zwölf Monate Funkstille nach der Trennung sind meist gar nicht so verkehrt. Manche glauben, dass man sich dann aus den Augen verliere und die neue Freundschaft ende, bevor sie richtig begonnen hat. Doch das ist falsch. Wenn nach der Auszeit beide das neue Verhältnis akzeptieren und gut finden (und nicht bloß zähneknirschend hinnehmen), ist die vermeintlich verlorene Zeit egal. Vielleicht ist das ja sogar das Beste an einer Beziehung: die Aussicht auf eine wirklich gute Freundschaft danach. Felix WerdermannBrutus Die beiden waren nie Freunde: Die Zeichentrick-Rabauken Popeye und Brutus. Sie hauen sich bei jeder Begegnung auf die Fresse, da bedurfte es nie einer Trennung. Beim bekanntesten Brutus der Antike, Marcus Iunius Brutus Caepio, kam der Dolch als Entfreunder zum Einsatz. „Auch du, Sohn?“, soll der überrascht-überrumpelte Caesar gerufen haben, bevor er am 15. März 44 v. u. Z. unter 23 Stichen sein Leben aushauchte. Eine Senatorengruppe um Brutus streckte den als Despoten gefürchteten Caesar nach einer Senatssitzung im Theater des Pompeius nieder. Bis zu achtzig Menschen sollen an der Verschwörung beteiligt gewesen sein.Ob Caesar die enttäuschten Worte über die rabiate Entfreundung wirklich zu Brutus sagen konnte, ist bis heute umstritten. Für die Legendenbildung jedenfalls ist das ein guter Einfall – immerhin war er ja Brutus ein väterlicher Freund. Imageschädigend fiel hingegen Ciceros Urteil aus – er war nicht Teil der Verschwörung, aber bei Caesars Tod anwesend: Er sprach vom gerechten Tod eines Tyrannen. Nur zwei Jahre nach Caesar starb Brutus selbst einen gewaltsamen Tod. Tobias PrüwerEEinstellung Bei Facebook ist es einfach: Den Avatar der betreffenden Person einfach anklicken und die Option „Als Freund entfernen“ wählen, schon ist die Entfreundung perfekt. Gründe für die Verbindungstrennung gibt es genügend. Die Person nervt vielleicht einfach, weil sie alles teilt und jeden Schrott über ihr Netzwerk jagt. Oder man bekommt mit, was manche der losen Bekannten so im Kopf haben. Unter Leipziger Facebook-Nutzern tobt gerade eine Entfreundungsbewegung. Gerade jene mit eher üppigen Freundeslisten bereinigen diese, weil sie sich von einer antimuslimischen Petition belästigt fühlen. Im Leipziger Stadtteil Gohlis will die als nicht extremistisch eingestufte Ahmadiyya-Gemeinde eine Moschee für 100 Besucher bauen. Anwohner laufen Sturm, die NPD hat für Samstag eine Demo angemeldet, und Anonyme gründeten auf Facebook eine „Bürgerinitiative“, die mit rechten, an Rassismus grenzenden Ansichten die „Stimme des Volkes“ sein will. Das Entfreunden erfolgt mittlerweile mit Ankündigung: Menschen posten vorsorglich, dass rausfliegt, wer die Seite teilt. TPKKonkurrenz Ich hatte einmal eine enge Freundin. Wohl gemerkt: Ich hatte. Wir hatten einander und wir hatten ähnliche Ambitionen. Genau das war das Problem. Seelenverwandt, dieselbe Wellenlänge und auf Augenhöhe. Wir sprechen nicht immer die gleiche Sprache (ich flapse gern, sie schreibt in privaten Mails wie für die FAZ). Aber Kultur finden wir beide gut, und in der Schule hatten wir denselben Typ Mensch zum besten Freund, dann zum besten Feind. Die von ihm erlebte Bosheit hat uns einander ähnlich gemacht. Über Konkurrenz zwischen uns sprechen wir ganz offen. Sie könnte uns entzweien, doch die Gefahr, davon sind wir überzeugt, ist gebannt. Die Stunden beim Kaffee verfliegen. Karriere wollen wir nicht. Zumindest nicht bei McKinsey. Ein bisschen Denken und Wirken aber an der richtigen Stelle, das wäre gut! Unterdessen wird das Leben ernster. Da sitzen wir plötzlich an einem großen Tisch. Gemeinsam mit einem Redaktionschef, der erklärt, was wir können müssen, sollten wir den Job bekommen. Denselben Job. Von dem Termin hatten wir einander nicht erzählt. Zum Kaffee treffen wir uns seitdem nicht mehr.Sophie RohrmeierNNietzsche contra Wagner Friedrich Nietzsche war 25, als er den 31 Jahre älteren Richard Wagner 1869 in Tribschen (bei Luzern) zu besuchen begann. Dass der junge Basler Professor den großen Komponisten so sehr bewunderte, war auch ihrem gemeinsamen Interesse an der antiken griechischen Tragödie zuzuschreiben. Nietzsche hatte es als Altphilologe, Wagner wollte die herkömmliche Oper durch ein an der Tragödie orientiertes „Musikdrama“ ersetzen. Wagners Schriften kurz nach dem Scheitern der 1848er-Revolution müssen Nietzsche elektrisiert haben; einige Ideen daraus sollten zur Grundlage seiner Philosophie werden. So die tragische Selbstaufgabe des Ego, die Nihilismusdiagnose („Den Leuten fällt kein Zweck mehr ein“) und die Paarung von Schönheit und „Stärke“. Wagner nahm den jungen Mann wie einen Sohn auf, er glaubte einen Mitarbeiter in ihm gefunden zu haben. Später trübte sich das Verhältnis, weil Nietzsche fand, der Meister werde seinen Idealen untreu. Besonders vom Parsifal, dem letzten Musikdrama mit seiner christlichen Symbolik, fühlte er sich provoziert. Kurz bevor im Januar 1889 seine Geisteskrankheit ausbrach, schrieb er sein philosophisches Pamphlet Der Fall Wagner, in dem er George Bizets mittelmeerische gegen Wagners schwüle Musik ausspielte. Michael JägerSSchlussmachen Sich in der Liebe zu trennen, ist zwar sehr schmerzhaft, aber letztlich einfach. Von Freunden würdig Abschied zu nehmen, das vermag kaum jemand. Man kennt das von sich selbst: Plötzlich fängt man an, hinter ihrem Rücken schlecht über Freunde zu sprechen; man geht nicht mehr ans Telefon, wenn sie anrufen; meidet gemeinsame Bekannte; gratuliert nicht mehr zum Geburtstag und wechselt irgendwann sogar die Straßenseite, wenn man den nun mittlerweile ehemaligen Freunden zufällig begegnet. Das ist alles ziemlich feige und kommt wohl daher, dass viele von uns inzwischen wissen, dass Liebe am besten in Abschnitten geht, aber an den Quatsch mit der ewigen Freundschaft trotzdem weiter glauben wollen. Aber solche ewigen Freundschaften sind noch seltener als große Lieben. Jana HenselStaaten Dürfen die USA die Regierungschefs befreundeter Staaten abhören? Gibt es unter Nationen überhaupt Freunde, oder geht es nur um Interessen? In der Politikwissenschaft gibt es drei große Theorien: Der Realismus kennt keine Freunde. Staaten streben nach Macht, ständig im Kampf gegen andere Staaten. Der Institutionalismus erklärt auch Zusammenarbeit von Staaten als eine Art Zweckfreundschaft. Erst der Liberalismus begründet das Handeln des Staates mit der inneren Verfasstheit: In einer Demokratie können sich etwa die Werte der Bürger durchsetzen. Die Merkelphone-Affäre? Spricht für den Realismus: Gemeinsame demokratische Werte haben offenbar keine große Rolle gespielt. Jeder Staat ist sich selbst der Nächste. FWTTaktik Freundschaft wird in sozialen Netzwerken zum öffentlichen Statement. Folge ich bestimmten Politikern auf Twitter oder Facebook, treffe ich darüber vor allem eine Aussage über meine politische Haltung. Folge ich etwa der Bild-Zeitung, auch. Genau wie im analogen Leben gibt es im digitalen peinliche Freundschaften und solche, auf die man stolz ist. Das soziale Kapital aufzuwerten, ist mit Letzteren einfach: Sich öffentliche Nachrichten zu senden, vielleicht sogar Insiderjokes auf die Pinnwände zu posten, macht einen dann für fünf Minuten zum C-Promi. Umgekehrt kann es schnell unangenehm werden. Wenn ein alter Schulfreund etwa sein Profilbild ändert und sich plötzlich in Militäruniform zeigt, ist es vielleicht an der Zeit, ihn zu entfreunden. Nicht nur, damit man ihn selbst nicht mehr sehen muss – kriegen ja auch die anderen mit, ist ja auch blöd. Das klingt alles ein bisschen nach Mit-wem-stell-ich-mich-in-die-Schlange-vorm-Club-an. Aber das war eben auch mal wichtig. JLVVollstes Vertrauen Wenn Angela Merkel ihren Parteifreunden oder politischen Partnern ihr „vollstes Vertrauen“ ausspricht, dann darf man das als Urteilsspruch werten. Das große Entfreunden setzt die Bundeskanzlerin damit in Gang, denn diese Ankündigung bedeutet mehr als Liebesentzug. Arbeitsminister Franz-Josef Jung trat 2009 wegen der Kundus-Affäre, die er zuvor als Verteidigungsminister zu verantworten hatte, zurück – zwei Tage nachdem ihm Merkel verbal den Rücken gedeckt hatte. Zwölf Tage hoffte noch Karl-Theodor zu Guttenberg, Verteidigungsminister, auf echten Kanzlerinnenbeistand, bevor er wegen seiner abgeschriebenen Doktorarbeit gehen musste. Nach 61 Tagen sagte Bundespräsident Christian Wulff leise Servus. Bildungsministerin Annette Schavan nahm drei Tage später ihren Hut wegen Doktor-Plagiat. Nur Finanzchef Wolfgang Schäuble und Innenminister Hans-Peter Friedrich entgingen dem Schicksal. TPZZeit Warum haben wir bei Facebook hunderte Freunde, aber im wirklichen Leben – zumindest dann, wenn wir wirklich mal welche brauchen – keinen einzigen? Wenn wir ehrlich sind, haben wir bei Facebook meist nur Bekanntschaften, doch das hört sich nicht so toll an wie Freundschaften. Und zum Entfreunden sind wir dort meist zu faul. Stört ja auch nicht, weiter mit den ehemaligen Klassenkameraden befreundet zu sein. Facebook führt uns in die Irre, wenn es um unsere Freundschaften geht. Im wirklichen Leben gibt es kein Entfreunden per Mausklick, es passiert einfach so, mit der Zeit. Das Schwierige ist doch das Gegenteil, was bei Facebook aber gerade so leicht erscheint: das Pflegen einer guten Freundschaft. Wer findet im Alltagsstress noch die Zeit dafür? Vielleicht muss man Termine reservieren, wie wir es für die Erwerbsarbeit tun. Wichtig genug sind Freundschaften allemal. FW
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