Er kennt da keine Gnade

Die Ratgeberin Minimalisten entrümpeln gerne und fühlen sich dabei als Konsumkritiker. Dabei haben sie vielmehr dringenden Therapiebedarf
Ausgabe 20/2017
Vorsicht vor den Minimalisten! Denn sie machen auch vor Duschköpfen nicht halt
Vorsicht vor den Minimalisten! Denn sie machen auch vor Duschköpfen nicht halt

Foto: suedraumfoto/Imago

Ich mag Zeugs. Auch wenn es nicht mehr ganz so perfekt ist. Unseren ausrangierten Duschkopf zum Beispiel. Anklagend wurde mir dieser kürzlich unter die Nase gehalten. Ob das eine Skulptur sei, sprich: Kunst oder kann das weg? Dabei war doch klar: „Das ist unser Sicherheitsduschkopf!“ Kopfschüttelnd zog der Mann mit dem Sicherheitsduschkopf ab. Seitdem ist er weg – der Duschkopf. Wahrscheinlich hat er ihn heimlich entsorgt. Der Mann ist nämlich Minimalist. Er kennt da keine Gnade. Kaum hat das Kind ein Adventure ausgespielt – weg damit zu Ebay oder Rebuy. Wenn es drei Tage später noch mal reingucken will, kauft man das Adventure halt erneut – auf Ebay oder Rebuy. Was für ein Irrsinn!

Minimalisten fühlen sich dabei gerne als Konsumkritiker. Das erfuhr ich neulich in dem Film Minimalism. A Documentary About the Important Things. Platzend vor Stolz präsentierten die dort Interviewten ihre gigantischen Häuser oder Wohnungen, die sie nahezu komplett ausgeräumt hatten. Vor langen leeren Wänden stehend, erzählten sie, wie glücklich sie seien, seit sie nur noch diesen einen Stuhl hier hätten. In ihrem früheren Leben hatten sie sich immer mit der Frage gequält: Auf welchen meiner hundert Stühle soll ich mich setzen? Nun müssen sie darüber nie mehr nachdenken. Es sei phantastisch. Eine unglaubliche Freiheit erfülle sie. So oder doch sehr ähnlich äußerten sich die Befragten. Einer strich selig an drei einsamen Hemden entlang, die in seinem langen Kleiderschrank wehten. Fortgeschrittene Minimalisten waren in winzigsten Tiny Houses zu sehen, kleiner als jede der fünf Gästetoiletten, die sie in ihren früheren Behausungen hatten. Ein Paar, das das Glück der minimalistischen Lebensweise erst neu entdeckt hatte, wurde beim Tomaten- und Kräuterschneiden gezeigt – und zwar in einer riesigen Einbauküche. Das Merkwürdige an dieser Küche war: Keine Kaffeemaschine, kein Wasserkocher, kein Kräutertopf stand rum. Die Küche war vollkommen kahl, als wäre sie gerade erst eingebaut worden. Das fand ich sonderbar: Trinken Minimalisten nur in so minimalem Ausmaß warme Getränke, dass sich deren Zubereitung gar nicht mehr lohnt? Was war in all diesen Schränken? Ebenfalls nichts?

Und: Würde es – wenn ich dem Mann freie Hand gäbe – bei uns bald ebenso aussehen? Würde auch unsere Wohnung von einer Minimalisten-Magersucht befallen werden? Wann würde der Mann anfangen, die Heizkörper rauszureißen? Schon jetzt hält er deren Benutzung für überflüssig. Ich sehe es bereits kommen, wie ich ihn zur Therapie schleppen muss. Mühsam – wahrscheinlich über Monate hinweg – muss er dann neu lernen, sich zusammen mit Gegenständen beziehungsweise Konsummist in einem Raum aufzuhalten. Für den Anfang sperrt man ihn wahrscheinlich in ein leeres Zimmer, in dem nur ein Stuhl steht. Aber auf dem Stuhl liegt noch ein Sitzkissen. Erst wenn er eine Stunde durchhält, ohne das Kissen aufzuessen, schiebt man ihm einen Tisch rein, gemeinerweise vielleicht mit Tischdecke. Ob er es jemals wieder schaffen wird, in einem normal zugerümpelten Zimmer zu sitzen und sich zu amüsieren, ist fraglich. Keine schönen Aussichten.

Glücklicherweise werde ich diese Entwicklung bereits im Keim ersticken. Auf dem Flohmarkt habe ich – in einem Anfall fiebriger Konsumgier – drei sehr günstige alte Duschköpfe erstanden. Nicht, dass ich die bräuchte. Der Mann braucht sie. Geschickt werde ich sie also platzieren – und zwar zum Zwecke der Konfrontationstherapie.

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