Ermittlungen über Unbekannte

Ausstellung Das Deutsche Historische Museum Berlin widmet sich der Polizeigeschichte im NS-Staat und findet mit der Schau "Ordnung und Vernichtung" Verbindungen zur Weimarer Republik

Die Polizei gehört zu den undurchdringlichsten Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft. Über die Geschichte des Rechtswesens und des Militärs liegen verlässliche Studien vor, nicht aber über die Geschichte der Polizei. Wenn das Berliner Deutsche Historische Museum nun eine Schau mit dem Titel Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat präsentiert, beweisen die Kuratoren allein durch die Themenwahl Eigensinn.

Noch überraschender ist, dass das oft betont staatstragende DHM hier auf nationale Identitätspolitik weitgehend verzichtet. Stattdessen zeichnet die umfangreiche Schau, die Fotos, Dokumente, Plakate, Dossiers und ermittlungstechnische Hilfsmittel versammelt, die Kontinuitäten nach, die bereits die „Volkspolizei“ der Weimarer Republik mit der „geheimen Sicherheitspolizei“ in NS-Deutschland verbanden.

Die ersten beiden Ausstellungsbereiche dokumentieren anhand von Reden, Erlassen und Fällen aus dem Ermittlungsalltag das antirepublikanische, militärische Selbstverständnis der deutschen Exekutive während der Weimarer Republik und zeigen, wie ähnlich die Klischees vom „Kriminellen“ den späteren nazistischen Stereotypen waren. Auch die Affinitäten des Konzepts einer bürgernahen „Volkspolizei“, das maßgeblich von dem sozialdemokratischen Innenminister Carl Severing geprägt worden war, mit der späteren „Sicherheitspolizei“ sind augenfällig. Sie zeigen, dass nicht nur die parlamentarische Rechte sich für einen autoritären Polizeistaat stark gemacht hat.

"Ärzte am Volkskörper"

Der Hauptteil der Ausstellung illustriert facettenreich die Transformation der Volkspolizei zur Sicherheitspolizei von der Machtergreifung der Nazis bis zur offenen Militarisierung im Zuge des Zweiten Weltkriegs. Zweierlei wird an dieser Zeitspanne deutlich, in der zeitweise mehr als eine halbe Million Deutsche Dienst als polizeiliche „Ärzte am Volkskörper“ versahen.

Zum einen widerspricht die Ausstellung der Annahme, die Exekutive habe unter den Nazis allein in einem permanenten Ausnahmezustand agiert. Vielmehr wurden in der Zeit massenhafter, polizeilich durchgeführter Deportationen die ermittlungstechnischen Prozeduren – Abnahme von Fingerabdrücken, Polizeifotos – eingehalten. Die Fassade des Apparats musste kaum verändert werden, um die Abwicklung von Terror und Vernichtung zu garantieren.

Zum anderen hat sich die Polizei als homogene Institution aber auch zunehmend in konkurrierende Cliquen aufgelöst, die die Herrschaft von Willkür und Standrecht allererst auf Dauer sicherstellten. Somit bestätigt die Geschichte der Polizei, wie die Schau sie erzählt, nebenher Franz Neumanns Theorie vom NS-Staat als Banden-Staat, in dem totale Herrschaft und totale Anarchie konvergierten.

Nur dass die nach dem Mauerfall vollzogene „Normalisierung“ des Verhältnisses zwischen Bürgern und Exekutive gegenüber der von den Alliierten mühsam in Gang gebrachten Demokratisierung der Polizei als Fortschritt gefeiert wird, ist ein überflüssiges Zugeständnis an nationale Identitätspolitik.

Ordnung und Vernichtung Die Polizei im NS-Staat DHM, bis 31. Juli, Katalog 19,80

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