Erschöpfende Auskunft

BERLINER ABENDE "Was sind Sie von Beruf?" wird man heutzutage ja kaum mehr gefragt. In Zeiten von "Mac-Job" und "Patchwork-Lebensläufen" käme eine solche Frage der ...

"Was sind Sie von Beruf?" wird man heutzutage ja kaum mehr gefragt. In Zeiten von "Mac-Job" und "Patchwork-Lebensläufen" käme eine solche Frage der berüchtigten Pistole auf der Brust gleich. Das moderne Etikett sieht stattdessen ein locker dahingesagtes "Was machst du denn so?" vor, das heißt, man lässt dem Befragten angemessenen Raum für Auslassungen und Ausschmückungen rund um das empfindliche Thema des Fortkommens im Leben. Wer zur Jahresendzeit die Stätten seiner Kindheit zu besuchen pflegt, wird wissen, wovon ich spreche: Angesichts der wohlgeordneten Lebensbahnen der Dagebliebenen mit ihren gedeihenden Familien und Eigenheimen, fällt es den Fortgegangenen zunehmend schwer, als lebenstüchtig zu erscheinen.

So spaziert man in sentimentaler Versunkenheit an erinnerungsträchtigem Mauerwerk vorbei - erste Liebe, erstes Unglück undsoweiter -, und auf einmal steht jemand mit grauem Haarkranz oder Kinderwagen vor einem und freut sich überschwänglich über das Wiedersehen: "Mensch, was machst du denn so?" Wie oft habe ich versucht, auf diese Frage vorbereitet zu sein, geschliffene Antworten bereitzuhalten, die durch gekonntes Understatement lediglich andeuten, welch glanzvollen Verlauf die Dinge für mich genommen haben, seit ich diesen Ort verließ ... Um dann jedes Mal das Zurechtgelegte im entscheidenden Moment völlig zu vergessen, sei es aus Verunsicherung über die immer neue Mischung an Fremdheit und Vertrautheit, die sich bei solchen Begegnungen einstellt, sei es, weil mir partout nur noch der Spitzname meines Gegenübers einfällt und ich dessen unwillkürliche Aussprache niederkämpfen muss. Angestrengt versuche ich, auf den Ableitungsursprung von Kosenamen wie "Hacki", "Ruppi" oder "Wette" zu kommen und höre mich gleichzeitig verlegen sagen: "Man schlägt sich so durch."

Im Bewusstsein, keine gute Figur gemacht zu haben, begebe ich mich in das Stehcafé, das einst den Mittelpunkt des schulischen Lebens bildete. Genau wie damals straft mich die Frau in der Schürze hinterm Tresen mit Nichterkennen. (Als Strafe für die Unwürdigkeit des eigenen Teenagerdaseins habe ich das zumindest früher empfunden, heute denke ich, wer weiß, vielleicht sieht sie schlecht.) "Was macht eigentlich Diddi?" höre ich hinter mir jemand fragen, offenbar Weihnachtsheimkehrer wie ich. "Der ist in Berlin", lautet die Antwort und während ich darüber nachdenke, ob ich Diddi nicht kennen müsste, fällt es mir zum ersten Mal auf: Das respektvolle Schweigen, das auf diese Antwort folgt. Und keine weiteren Fragen!

Am Abend sitze ich neben einem Jugendfreund meines Bruders; unsere letzte Begegnung liegt so lange zurück, dass wir uns nicht daran erinnern können. "Du bist jetzt in Berlin?", fragt er, und wieder meine ich, unterschwelligen Respekt für diese Lebensleistung herauszuhören. "Ich war auch mal da," sagt er und blickt schwärmerisch ins Weite. Auch ihn wüsste ich nicht anders anzureden als mit einem Spitznamen, der sich allerdings auf eine Eigenschaft bezog, die der erwachsene Mann neben mir nun nicht mehr hat. "Wo denn?" frage ich, um die Kluft von Erinnerung und Gegenwart zu überbrücken. "Potsdamer Platz, Ku´damm und so ..." Und dann erzählt er mir von einer aufregenden Nacht in einem zentral gelegenen Restaurationsbetrieb. So ist das immer, wenn man sich auf ein Gespräch mit Berlintouristen einlässt: Sie berichten von tollen Abenden im Friedrichstadtpalast oder dem Theater des Westens (die Älteren), von Besuchen auf Funk- und Fernsehturm oder Hochhäusern, von denen man selbst nicht einmal wusste, dass man sie besteigen kann, von In-Kneipen in Prenzlauer Berg und Friedrichshain (die Jüngeren), in denen man nie war, von multimedialen Spektakeln oder Museen, in die man sich schon lange nicht mehr vorgenommen hat zu gehen. Das muss es sein, denke ich mir auf einmal: Von außen betrachtet erscheint Berlin als Stadt der unendlichen Möglichkeiten sich zu betätigen, man stellt sich den Berliner also stets beschäftigt vor - wer es hier her geschafft hat, braucht nirgendwo mehr hin.

Mutig geworden, besuche ich später am Abend noch jene Kneipe, in der ich einst mehr Zeit als in den eigenen vier Wänden verbracht habe. "Und was machst du jetzt so?" fragt mich prompt ein Bekannter aus jenen Jahren, in denen wir hier gemeinsam über provinzielle Enge und die frühe Sperrstunde klagten. "Ich bin in Berlin", antworte ich und sonne mich in dem Eindruck, endlich einmal erschöpfend Auskunft gegeben zu haben. Jetzt weiß ich, was das ist: ein Berufsberliner.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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