In Baden-Württemberg streiken Teile des öffentlichen Dienstes gegen die Verlängerung der Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden wöchentlich. Die Gewerkschaft Verdi erwartet einen langen Arbeitskampf.
FREITAG: Warum hat Verdi mit dem Arbeitskampf in Baden-Württemberg begonnen?
BERND RIEXINGER: Der Kommunale Arbeitgeberverband im Südwesten scheint der größte Scharfmacher unter den Verbänden in Deutschland zu sein. Er hat schon fünf Tage nach Inkrafttreten des neuen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst, kurz TVöD, die Regelung zur Arbeitszeit gekündigt. Sein Ziel: die 40-Stunden-Woche. Möglich war dies wegen einer Öffnungsklausel, die zu dem TVöD-Kompromiss gehörte.
Hat der Arbeitskampf etwas mit der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 26. März zu tun?
Das glaube ich nicht. Für Verdi ist klar, dass die Dämme hier nicht brechen dürfen. Wenn in einem Land die Arbeitszeit verlängert wird, dessen Kommunen finanziell zum Teil noch nicht ganz so schlecht ausgestattet sind wie andere, dann werden wir auch in weiteren Bundesländern einen Einbruch erleben.
Haben die Kommunalen Arbeitgeber Baden-Württemberg also aus strategischen Gründen ausgesucht?
Das wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass die größten Hardliner hier die Landräte sind. Sie herrschen auf dem flachen Land oft wie kleine Fürsten. Und sie haben gedroht, dass sie aus dem Arbeitgeberverband austreten, wenn der sich nicht für die Verlängerung der Arbeitszeit stark macht. Außerdem haben die Arbeitgeber die Stimmung der Beschäftigten falsch eingeschätzt. Sie haben nicht mit dieser großen Streikbereitschaft gerechnet.
Auch Verdi-Funktionäre sind überrascht.
So mancher Funktionär war skeptisch, hat gefragt, ob eine Mobilisierung ohne die Forderung nach mehr Geld überhaupt möglich ist. Diese Verbindung war früher die Regel. Inzwischen wissen wir, dass unsere Kolleginnen und Kollegen sehr genau verstehen, was hier gespielt wird. Sie wissen, dass sie auch für die jungen Leute und die Erwerbslosen streiken, dass unsere Auseinandersetzung ein Teil unseres Kampfes gegen die Massenarbeitslosigkeit ist, denn die Verlängerung der Arbeitszeit führt zu Stellenabbau. So zeigen die Streikenden weit mehr gesellschaftliche Verantwortung als die Arbeitgeber. Dazu kommt die Einsicht, dass wir mit einem Nachgeben die Gegenseite dazu ermutigen würden, auf dem Weg der Angriffe auf die Tarifverträge weiter zu machen.
Besonders streikerfahren sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes nicht. Der letzte Streik ...
... fand 1992 statt. Er blieb als Streik durchaus in positiver Erinnerung. Diejenigen, die damals dabei waren, schöpfen aus dieser Erinnerung. Aber heute haben wir es in etlichen Bereichen mit Generationen von Beschäftigten zu tun, die noch nie gestreikt haben und die mit der Arbeit von Gewerkschaften nicht viel anfangen können. Viele haben sich erst in den vergangenen Wochen mit uns auseinandergesetzt und einen Zugang zu uns gefunden. Wir verzeichnen in der Region Stuttgart knapp 1.000 Neueintritte. Insbesondere junge Leute. Und ich glaube, das ist noch nicht das Ende. Wir beobachten eine zunehmende Politisierung der Beschäftigten.
Verdi will die Tarifauseinandersetzung mit dem Kampf gegen die Dienstleistungsrichtlinien der EU verbinden. Haben die Kollegen dafür Verständnis?
Wenn wir am 14. Februar noch im Streik sind, werden wir mit mindestens 2.000 Streikenden aus der Region Stuttgart zur Demonstration nach Straßburg fahren. Dort werden dann unsere Kollegen der Müllabfuhr Hand in Hand mit denen von Straßburg gegen die Bolkenstein-Richtlinie demonstrieren. Das wird Wirkung zeigen. Und die Kollegen werden diesen Tag nie vergessen.
Wissen die Leute, worum es geht?
Unsere betrieblichen Funktionäre wissen genau, wozu die Richtlinie führen wird. Wenn Dienstleister ihre Lohn- und Arbeitsbedingungen am Herkunftsland orientieren dürfen, würden dem Lohn- und Sozialdumping Tür und Tor geöffnet. Das erleben wir in einigen Bereichen schon jetzt. Zum Beispiel bei den Müllwerkern, die für Privatfirmen arbeiten. Entsorgungstöchter der EnBW setzen bereits heute polnische Leiharbeiter ein, die mit 4,50 bis fünf Euro abgespeist werden.
Drohen die kommunalen Arbeitgeber wegen des Streiks mit weiterer Privatisierung?
Wir wissen, dass private Entsorgungsbetriebe bereits bei den Rathäusern angeklopft haben. Wir haben deutlich gemacht, dass dies zu einer Eskalation des Konflikts führen würde. Wir haben in Stuttgart 2002 die Privatisierung mit einer breit angelegten Kampagne verhindert. Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hat sicher nicht vergessen, dass wir innerhalb kürzester Zeit 60.000 Unterschriften gesammelt haben.
Der Verhandlungsführer des kommunalen Arbeitgeberverbandes im Südwesten ist der Mannheimer Oberbürgermeister Gerhard Widder, ein Sozialdemokrat.
Leider haben wir bei der SPD bisher wenig Zuspruch gefunden. Wir haben die Sozialdemokraten in Stuttgart aufgefordert, uns zu unterstützen. Antwort: Wir sollen einen fairen Kompromiss suchen. Leider haben uns viele SPD-Bürgermeister und SPD-Kommunalpolitiker im Stich gelassen. Sie versuchen häufig - übrigens wie die CDU-Leute auch - die strukturellen Probleme der Kommunalfinanzen auf dem Rücken der Beschäftigten zu lösen. Warum haben sich die Oberbürgermeister und Landräte in den vergangenen Jahren nicht deutlich für eine Reform der Kommunalfinanzen stark gemacht? Warum haben sie nicht gegen den Skandal demonstriert, dass ein Konzern wie Daimler-Chrysler den Kommunen in unserer Region zwölf Jahre lang keine Steuern bezahlt hat? Das ist unser Ansatz. Die Reichen und die Konzerne müssen wieder mehr Steuern zahlen, damit die öffentliche Daseinsvorsorge gesichert bleibt und nicht privatisiert wird.
Ein Streik im öffentlichen Dienst ist problematisch, denn es trifft oft die Falschen.
Das ist nicht immer vermeidbar. Aber wir wollen die Arbeitgeber treffen, nicht die Bevölkerung. Wir haben deshalb eine flexible Streiktaktik gewählt. Zum Beispiel bei Krankenhäusern oder Kindergärten: Hier haben wir in der ersten Woche nur für einen Tag zur Arbeitsniederlegung gerufen. In den Folgewochen werden wir jeweils um einen Tag zulegen. Bei der Müllabfuhr dagegen werden wir durchstreiken.
Gibt es Solidarität in der Bevölkerung?
Die Elternverbände stehen hinter den Erzieherinnen, weil sie wissen, dass die Qualität der Erziehung bei einer Verlängerung der Arbeitszeit verschlechtert wird. OB Schuster gefällt das gar nicht, denn er weiß, wie sensibel die Frage der Kinderbetreuung ist. Er hat deshalb bereits signalisiert, dass eine Verlängerung der Arbeitszeit in den Kindertagesstätten nicht automatisch zu Stellenstreichungen führen würde.
Im übrigen haben unsere Kollegen die Stuttgarter Haushalte mit Bürgerinfos versorgt. Jetzt hoffen wir noch auf die Solidarität der anderen Gewerkschaften. Möglicherweise finden ja die ersten Warnstreiks der IG Metall noch während unserer Auseinandersetzung statt.
Das Gespräch führte Hermann G. Abmayr
Bernd Riexinger (50) leitet den Verdi-Bezirk Stuttgart, zu dem die Landeshauptstadt und einige benachbarte Landkreise gehören. Der gelernte Bankkaufmann arbeitet seit 1991 als hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär. Er ist Sprecher der WASG in Baden-Württemberg.
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