Es ist die Zeit der Hasardeure

ÖSTERREICH Schießen Schüssel und Haider mit der Volksbefragung das "Golden Goal" gegen die EU?

Es ist schon eine verfahrene Situation. Wissen die einen weder ein noch aus, so führen sich die anderen nur noch auf. Die Regierungsparteien FPÖ und ÖVP haben jedenfalls beschlossen, die Gangart zu verschärfen, sich in Erpressung zu üben und des Ultimatums zu bedienen: Sollten die EU-14 die Sanktionen nicht baldigst aufheben, dann werde man eine Volksbefragung anzetteln und durch diesen Akt nationaler Aufstachelung das Ende der Sanktionen herbeiführen.

Nur, worin bestehen eigentlich diese "drakonischen Maßnahmen", die hierzulande so aufregen? Tatsache ist, die anderen EU-Regierungen haben ihre bilateralen Kontakte auf ein Mindestmaß reduziert. Das Elend des Kanzlers (und seiner Minister) liegt darin, auf zwischenstaatlicher Ebene weder eingeladen noch besucht zu werden. Ab und zu wird zwischenmenschlich ein Handschlag verweigert oder zwischendurch ein Raum verlassen. Damit hat es sich. Ansonsten nimmt alles seinen gewohnten Gang. Der Begriff der "Sanktion" ist zweifelsfrei maßlos übertrieben und immens ideologisch aufgeladen. Während nur fünf Prozent der Österreicher eine korrekte Auskunft über den Inhalt der Sanktionen geben können, ist eine überwältigende Mehrheit in Volk und Parteien selbstverständlich gegen jene. Die Ignoranz des Patriotismus ist das große Plus der Regierung.

Die EU ist in die Defensive geraten. Was nach einem glatten 14:1 ausgesehen hat, droht mit einem blamablen 0:1 zu enden. FPÖ-Klubchef Peter Westenthaler sprach auch schon vom "Golden Goal", das man der Union durch die Volksbefragung nun schießen werde. Die österreichische Posse ist nicht nur zur europäischen Schmierenkomödie geworden - sie kann zur tragischen Farce werden, die unzähligen Nachahmern Haiders Auftrieb gibt und Chancen eröffnet. Das Vorgehen der EU in der "Causa Österreich" wirkt zusehends hilflos. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis diesbezüglich auch innerhalb der 14 ein offener Streit ausbricht.

Mit der Installation eines Weisenrates, der Österreichs Regierungstätigkeit überprüft und das Wesen der FPÖ beurteilt, glaubte man einen Ausweg gefunden zu haben. Ein mittelfristiger Ausstieg aus den Sanktionen wäre quasi programmiert, und zwar so: Die Weisen werden - legen sie die Standards der anderen EU-Länder als Beurteilungskriterien zugrunde - nichts anderes tun können als Österreich weißzuwaschen. Sie werden feststellen, dass - so potent der Rassismus auch ist - weder die Fremdenfeindlichkeit hier größer ist als anderswo, noch dass die Regierung Maßnahmen gesetzt hat, die außerhalb der europäischen Werte liegen.

Dass Österreich nicht ärger ist, ist arg genug. Was keineswegs für Österreich spricht, sondern gegen die gesamte Schengen-Festung, wird sich aber im zu erwartenden Bericht lesen wie ein Unbedenklichkeitszertifikat. So wird der fatale Umstand eintreten, dass gerade das Land, wo die europäische Normalität am meisten zum Himmel stinkt, einen amtlichen Persilschein ausgestellt bekommt.

Boulevard und Trottoir greifen jedoch nach einem noch klareren Sieg. Die Wiener Regierung will sich daher nicht an die Spielregeln halten, sondern diese selbst bestimmen. Was zumindest unmittelbar gelingen könnte, denn die EU ist erpressbar. Vor allem die Franzosen sind in einer wenig beneidenswerten Lage. Über den Erfolg ihrer EU-Präsidentschaft wird mehr in Wien und Klagenfurt als in Paris oder Berlin entschieden. So stehen Chirac und Jospin deutlicher unter Druck als Schüssel und Haider. Letztere haben unmittelbar nichts zu verlieren. Aus dieser Schwäche rührt ihre Stärke.

Die Sanktionen sind "bedingungslos aufzuheben", sagt die freiheitliche Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer in forschem Ton. Frech sein ist Ehrensache. Bereits Punkt eins des vorliegenden Volksbefragungstextes: "Soll die Regierung im Zuge der bevorstehenden Reform des EU-Vertrages mit allen geeigneten Mitteln sicherstellen, dass die von den anderen Mitgliedsstaaten der EU gegen Österreich ungerechtfertigt verhängten Sanktionen sofort aufgehoben werden?", ist die Einforderung eines Blankoschecks durch die Konstruktion einer Suggestivfrage. Sie verdeutlicht die ganze Hinterfotzigkeit des Vorhabens. Sagt Schüssel, man denke nicht an ein Veto, droht Haider laufend mit demselben. Auch die Ausweitung der Front, das heißt der Versuch, bestimmte EU-Staaten gegen das -wie der Kanzler sagt - "französisch-deutsche Direktorium" in Stellung zu bringen, ist nicht ungeschickt. Taktisch ist das Gespann Haider/Schüssel seinen Gegnern in vielem überlegen.

Die für den Herbst angesetzte Volksbefragung kann allerdings auch nach hinten losgehen, dann nämlich, wenn die Wahlbeteiligung allzu niedrig ausfällt. Schon bisher erwiesen sich etwa die direktdemokratischen Vorstöße der FPÖ - betrachtet man sie vom Resultat her - als Flops, wenngleich sie als Zwischenmobilisierungen der Partei durchaus ihre Dienste taten. Ja, es ist nicht einmal auszuschließen, dass die Haider-Partei dies auch jetzt in Kauf nimmt, und die Volksbefragung in perfider Weise zwar der Regierung, nicht aber der FPÖ Schaden bringt. Schließlich gilt es für sie, den Trend umzukehren. Schenkt man den Meinungsumfragen Glauben, dann hat seit Abschluss der Koalition bloß die ÖVP von dieser profitiert, nicht jedoch die FPÖ. Die unbedingte Abhaltung dieses Votums, die Möglichkeit zur ressentimentgeladenen Kampagne, liegt daher im ureigenen Interesse der Freiheitlichen.

Bei den Konservativen hingegen häufen sich die Stimmen, die über das Vorgehen der Regierung schlichtweg entsetzt sind: EU-Agrarkommissär Fischler, Ex-Parteichef Busek, der Chef der Wirtschaftskammer Leitl, etliche Landeshauptleute der ÖVP - sie alle äußern Bedenken. Ebenso übrigens auch die Europäische Volkspartei (EVP), ja sogar in der CDU/CSU findet sich niemand, der die Befragung befürworten würde.

Das Referendum könnte sich außerdem bereits im Vorfeld zur veritablen Verfassungskrise und Staatsaffäre auswachsen, wenn nämlich Bundespräsident Klestil seine Zustimmung verweigert und die Abhaltung der Befragung nicht - wie es das Gesetz vorsieht - anordnet. Etliche Juristen haben bereits ihre Zweifel an der Verfassungskonformität des Fragenkonvoluts formuliert.

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