Eine Inflationsrate von 3,7 Prozent meldet die EU-Statistikbehörde Eurostat für den Euro-Raum im Mai - und der IWF prognostiziert für das Jahr 2008 die höchste globale Inflation seit 13 Jahren. Wie die Zinsbeschlüsse mehrerer Zentralbanken zeigen, wird heftig gegengesteuert. Doch der Preisschub bei Erdöl, Erdgas und Nahrungsmitteln geht ungebremst weiter.
FREITAG: Die hiesige Teuerungsrate lag im Mai bei 3,1 Prozent wie bereits im März. Ist die Preisstabilität ernsthaft in Gefahr?
RUDOLF HICKEL: Die Stabilität des Geldwertes halte ich nicht für bedroht, denn die Frage lautet doch: Woher kommt dieser Preisschub? Er resultiert ganz massiv aus der Verteuerung der Energie- und Nahrungsmittelpreise. Augenblicklich schlägt das stark auf den Gesamtindex der Preise durch. Damit ist aber auch klar, dass die Europäische Zentralbank EZB bei der Ursachenanalyse des Inflationstrends einen schweren Fehler macht, wenn sie sagt, die Geldwertstabilität sei deshalb bedroht, weil die Nachfrage weit über das gesamtwirtschaftliche Angebot hinaus reiche. Dies ist keine zutreffende Erklärung der Inflation, wie wir sie im Moment erleben. Es wäre von daher ein ganz schwerer Fehler, würde man jetzt die Kredite verteuern. An der Preistreiberei der Energiekonzerne würde sich absolut nichts ändern.
Wartet deshalb die EZB mit einer möglichen Erhöhung des Leitzinses?
Sie wartet und droht zugleich mit der Zinskeule. Denn die EZB will die so genannten Zweit- und Drittrunden-Effekte durch die Inflation verhindern. Das richtet sich vor allem gegen die Gewerkschaften nach dem Motto, wenn ihr jetzt glaubt, ihr könntet den Inflationstrend in eure Tarifformeln einbauen, erhöhen wir die Zinsen und belasten die Konjunktur, so dass Arbeitsplätze bedroht sind.
Mit anderen Worten, die EZB ist höchst verunsichert, was sie am besten tun soll.
Sagen wir es so, sie weiß angesichts der Finanzmarktrisiken sehr genau, welche Folgen es haben kann, wenn sie die Leitzinsen von 4,0 auf 4,25 oder 4,5 Prozent erhöht.
Weshalb sind eigentlich immer zuerst die Kreditvorgaben der Zentralbanken im Spiel, wenn der Geldwert gesteuert werden soll? Warum wird nicht versucht, auch über die staatliche Finanzpolitik einzugreifen? Etwa durch eine Senkung der Mehrwertsteuer.
Wir haben in der Tat ein geradezu abgeschottetes Spiel der Geldpolitik auf der einen Seite und der Finanzpolitik auf der anderen. Letztere tut nämlich so, als hätte sie mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gar nichts mehr zu tun. Ärgerlich ist diese fatale Reduktion - ich sage einmal bewusst diese Primitiv-Reduktion - der Finanzpolitik auf einen schuldenfreien Haushalt mit dem Ziel Neuverschuldung null. In der aktuellen Situation ist das wirklich eine Katastrophe, da auf dem Altar einer ökonomisch nicht begründbaren Nulllinie der Verschuldung geopfert wird, was Finanzpolitik zur Unterstützung von Wachstum und Beschäftigung tun müsste. Wir bräuchten wegen der Inflation und sich abzeichnender Wachstumsschwächen eine aktive Finanzpolitik auf zwei Ebenen. Sie haben es schon angesprochen: Schließlich erweist sich die Mehrwertsteuererhöhung auch als Preistreiber. Wir wissen, dass der Staat in den letzten Monaten allein drei Milliarden Euro an der Ölpreiserhöhung verdient hat, weil der Mehrwertsteuersatz bekanntlich von 16 auf 19 Prozent erhöht wurde. Da muss man dringend korrigieren.
Wie?
Es wird debattiert, eventuell für Benzin den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent einzuführen, der ja für Güter der unmittelbaren Lebenshaltung vorgesehen ist.
Das hilft freilich allen, Begüterten wie Bedürftigen.
Darin liegt das Problem, aus einer gesenkten Mehrwertsteuer ergäbe sich eine sehr zwiespältige Verteilungswirkung. Wir sehen auf unseren Straßen immer deutlicher eine Klassenspaltung, die durch die steigenden Energiepreise verstärkt wird. Die kleinen energiesparenden Autos werden mehr, zugleich wächst die Zahl der extremen Spritfresser, der Jeeps, Landrovers und anderer hochbockiger Automobile. Das heißt, wird der Mehrwertsteuersatz gesenkt, werden auch die davon profitieren, die Benzin wie ein Luxusgut genießen. Daher bin ich skeptisch, ob man mit einem solchen Schritt wirklich etwas bewirkt. Ich plädiere eher für eine Einkommensteuer-Reform, bei der sich der Spitzensteuersatz erhöht, und für eine Kfz-Steuer, die klar auf die Kohlendioxid-Belastung ausgerichtet ist.
Wären damit die Möglichkeiten der Finanzpolitik erschöpft? Sie sprachen von zwei Ebenen.
Richtig, der Staat könnte zudem mit einem Zukunftsinvestitionsprogramm eine viel stärkere Rolle übernehmen. Es wird überhaupt nicht mehr diskutiert, wie mit der Finanzierung über Staatsschulden künftige Generationen durch eine bessere Infrastruktur profitieren können. Warum durchbricht man jetzt nicht das Verschuldungstabu und sagt, wir brauchen ein Investitionsprogramm mit den Schwerpunkten Ökologie und Bildung?
Lassen Sie uns noch über weltwirtschaftliche Folgen des momentanen Inflationstrends reden. Wenn ein Land wie Indien mit einem Leitzins von inzwischen acht Prozent Kredite verteuert - können darunter auch Käufer deutscher Exporte leiden? Wie tangiert eine weltweite Inflation die deutsche Exportwirtschaft?
Bisher hat sich die deutsche Exportwirtschaft international als außerordentlich konkurrenzfähig erwiesen, Branchen wie der Maschinenbau konnten den steigenden Euro-Kurs gut wegstecken. Wenn jetzt in Importländern - wie in Indien - durch hohe Zinsen aktive Inflationsdämpfung betrieben wird, wirkt sich dies auf die deutschen Exporte zunächst einmal nicht negativ aus. Im Gegenteil, wenn wegen der hohen Zinsen in diese Länder Kapital aus dem Euro-Raum abfließt, wäre unter Umständen eine Abwertung des Euro zu erwarten. Davon profitiert Deutschland durch preisgünstigere Exporte. Dieser Vorteil wird jedoch durch die Risiken stark schwankender Wechselkurse überlagert. Was wir deshalb jetzt vor allem brauchen, das ist eine abgestimmte Wechselkurspolitik zwischen Dollar, Euro, Yen, dem chinesischen Yuan und dem russischen Rubel. Denn wenn sich die Zinsen ändern, hat das Einfluss auf die Kapitalströme und damit auf die Wechselkurse und letzten Endes den Welthandel
Das Gespräch führte Lutz Herden
Rudolf Hickel ist Professor für Finanzwirtschaft und seit 2001 Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW) in Bremen.
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