Falsch verbunden?

STASIPROTOKOLLE Die CDU gerät durch Telefonmitschnitte unter Druck

Jemand hat einmal gesagt, die Stasi und das von ihr hinterlassene Material seien wie ein Kontaktgift. Wer es berühre, stecke sich an. Kontaktgift oder Beweismittel, alles eine Frage der Interpretation. Die Verwalter der Akten in der Normannenstraße stehen vor einem Dilemma: Reichen sie belastende Papiere heraus, um beispielsweise einen Politiker wie Manfred Stolpe zu deckeln, gelten die Notate der Schnüffler als Heilige Schrift. Dann werden Prozesse darüber geführt, ob Stolpe die DDR-Verdienstmedaille - im Volksmund auch Hubschrauberorden genannt, weil die Verleihung jeden treffen konnte - nun vom einstigen Staatsekretär für Kirchenfragen oder von einem ordinären Stasioffizier überreicht bekam. Von der Verifizierung dieses Streitpunktes schien das weitere Schicksal der vereinten Republik abzuhängen.

Spannend wird die Sache jetzt, nachdem Akten des MfS über Telefonmitschnitte aufgetaucht sind, in denen es um Gespräche zwischen dem Beauftragten der CDU-Schatzmeisterei Uwe Lüthje und seinen Mitarbeitern geht. Seit 1976 waren die Genossen von der unsichtbaren Front über die Schwarzgeldkonten der Christdemokraten informiert, über die großzügigen Geldspenden diverser Konzerne an die Partei. Aufgenommen hat die Gespräche laut einem Bericht des Berliner Tagesspiegel Mielkes Hauptabteilung III, die für die Kontrolle und Überwachung von Funknetzen und Nachrichtenverbindungen der NATO-Staaten verantwortlich war. Die Abhörgeräte waren auf Lüthjes Autotelefon und auf sein Büro programmiert. Ausgewertet wurden die Materialien unter anderem von den Bezirksstasiverwaltungen Schwerin und Magdeburg, die in der Nähe der Westgrenze lagen.

Interessant dürfte die Frage sein, wer das brisante Konvolut dem Tagesspiegel zugespielt hat. Es ist ja bekannt, dass die Gauck-Behörde zahlreiche undichte Stellen hat. Waren es ehemalige Stasileute, die den Tipp gaben? Richtete sich die Sache gegen den Behördenleiter, der aus seiner Nähe zur CDU keinen allzu großen Hehl macht? Der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Parteienfinanzierungsskandal, Volker Neumann (SPD), hat auf den Zeitungsbericht ablehnend reagiert. Kein Wunder. Wenn den Abhörprotokollen der Stasi Beweiskraft zuerkannt wird, dürfte die Lage für Helmut Kohl und seine illegalen Geldbeschaffer sehr schwierig werden. Hatte doch der Ex-Kanzler bisher immer behauptet, er habe von schwarzen Konten in der Schweiz keine Kenntnis gehabt. Ein Hinweis der Funkabwehr vom Juni 1980 ist daher besonders brisant, weil er meldet, "dass die CDU bei einer Bank in der Schweiz über ein Konto verfügt, auf dem offensichtlich über Deckadressen Gelder aus der BRD für die CDU eingezahlt werden können." Es solle sich um ein Bankhaus Fontobel handeln. Zusatz: "Schreibweise unsicher". Gemeint ist das Geldinstitut Vontobel. Eine ziemlich präzise Bestätigung eines bestehenden Verdachts.

Falls der gesamte Untersuchungsausschuss jedoch zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die Stasiprotokolle eigentlich keine Beweismittel seien, kann die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ihren Laden dicht machen. Denn dann ist zumindest der Beweis dafür erbracht, dass die Hinterlassenschaften der Stasi ihre Glaubwürdigkeit nur zweckgebunden demonstrieren. Kann man sie gegen Missliebige instrumentalisieren, haben sie Beweiskraft, destabilisieren sie das herrschende politische System, ist ihre Wahrhaftigkeit grundsätzlich anzuzweifeln. Dieses Messen mit zweierlei Maß ist gefährlich. Es wertet die Spitzelprosa je nach Bedarf auf oder ab. Da erscheint Kohls treuherziges Eingeständnis, er könne auch nicht garantieren, wie er sich in der DDR verhalten hätte, und er sei für die Beseitigung des ganzen Aktenmisthaufens, in einem anderen Licht. Dass stasibrisantes Material immer dann runtergespielt wird, wenn es ans eigene Eingemachte geht, zeigte sich schon bei der Klarnamenkartei, die nach der Wende bei der CIA gelandet ist und um deren Zugriff der Leiter der Gauckbehörde sich bisher vergeblich bemüht hat. In einem solchen Fall sind dem Aktenchef schnell und effektiv ein paar Vorgesetzte vorgeschaltet. Stasi soll Stasi bleiben, aber für die Ex-DDR, deren Bevölkerung nach landläufiger Meinung ja eh in toto bei der Firma war. Dass Lüthje sich der Zwielichtigkeit seiner Bemühungen sicher war, belegt der schöne Kriminalfilm-Satz gegenüber seiner Sekretärin: "Bitte nicht diese Dinge am Telefon". Oder wenn er seine Bürokraft bittet, irgendwo in eine Zelle zu gehen, um mit den Schweizer Banken zu telefonieren. Deutsch-deutsche Behördenprosa der achtziger Jahre. Zuweilen nicht ohne Witz, wenn man bedenkt, dass der Kohl-Vertraute Hans Terlinden, in dessen Schlafzimmer kürzlich bei einer Haussuchung Aktenordner des Ex-Kanzlers gefunden wurden, den schönen Spitznamen "Stasihans" trug. Das bezog sich wohl auf die nötige Verschwiegenheit des Beamten, von der er kürzlich vor dem Untersuchungsausschuss eine überzeugende Probe gab. Er schweigt, wie seine Kompagnons Lüthje und Weyrauch. Und wie demnächst vielleicht Kiep und Kohl. Über die Stasiakten müssen sie wohl in jedem Fall ein paar Worte verlieren.

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