Ja, bitte Was haben Latzhosen, Europa, Wurfgeschosse und die Schwulenbewegung gemeinsam? Genau: Ohne sie wäre unser Leben nicht nur ärmer, sondern auch grauer
Es lässt sich nicht mehr mit Sicherheit sagen, wann ein Farbbeutel zum allerersten Mal auf einer Demonstration geworfen wurde. Sicher ist dagegen, dass er die Protestkultur stark geprägt hat. Bei der Anti-Schah-Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin wurde er auch einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Die Beutel flogen vor allem Richtung Oper, wo der Scha erwartet wurde. Von da an gehörten die kleinen Geschosse zum Inventar der westdeutschen Protestkultur. Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass die berühmteste Farbbeutel-Attacke ausgerechnet einen achtundsechsiger traf: Ein Geschoss mit roter Farbe erwischte Joschka Fischer am rechten Ohr, als die Grünen auf einem Parteitag über den Kosovo-Einsatz der Nato stritten. Doch sind F
Doch sind Farbeutel-Attacken auf Politiker eher selten. Meistens werden Eier bevorzugt, beispielsweise als Helmut Kohl 1991 Halle besuchte und der bekleckerte Kanzler anschließend zum Sprint ansetzte, um den Übeltäter zur Rede zu stellen. grashttp://imageshack.us/a/img850/6635/xviu.jpg Revolution in OrangeBedarf es stets von Neuem des Beweises, wie der Linken seit 1989/90 die Definitionsmacht über Begriffe wie „Solidarität“, „Menschenrecht“ oder „Revolution“ abhanden kam? Eigentlich kaum. Erbracht wird er trotzdem und eindrucksvoll.Etwa in Kiew. Im November 2004 trägt eine Hauptstadt Orange, um gegen eine manipulierte Präsidentenwahl zu protestieren. Zunächst zehntausendfach, bald hunderttausendfach, was schließlich den Durchbruch bringt und Neuwahlen beschert. Doch ist das schon eine Revolution? Egal, ob in Pink oder Orange?Wenn überhaupt, dann eher in Blond, denn Ikone des Aufruhr ist eine Gas-Prinzessin und als solche eine Oligarchin, die einen in die Jahre gekommenen Oligarchen vom Sockel stößt. Aber Julia Timoschenko gegen Leonid Kutschma, das hat so gar nichts von Georges Danton gegen Maximilien de Robespierre.Ein Jahr später hat ein ukrainischer Alltag in Grau die Sehnsucht in Orange erbarmungslos verschluckt. Revolutionsillusionisten aller Länder, vereinigt euch! LHhttp://imageshack.us/a/img841/2785/chnp.jpg Roter OktoberAls Aufständische am 7. November 1917 das Petersburger Winterpalais stürmen, folgen zehn Tage, in denen der Rote Oktober (alter russischer Kalender) die Welt erschüttert, besonders die barbarische eines Weltkrieges. Sofort beschließt der Rat der Volkskommissare: Russische Soldaten legen die Waffen nieder – Lenin unterschreibt das Dekret über den Frieden, danach das über den Boden. Soziale Verhältnisse werden umgewälzt wie nie zuvor in der Weltgeschichte, so dass der Sturz des Zarismus „beinahe eine Lappalie ist“, wie Rosa Luxemburg 1918 schreibt. Doch reißt der Lavastrom der Revolution die Völker Europas nicht mit. Die Novemberrevolution von 1918 überrennt zwar das monarchische, schafft aber kein sozialistisches Deutschland. So wird die Sowjetunion zum Jahrhundertwerk und Trojanischen Pferd des Sozialismus. Immer auf sich allein gestellt, 1941 fast dem Untergang geweiht, muss sie zu viele Feinde in Schach halten, anstatt Freunde zu gewinnen. LHhttp://imageshack.us/a/img545/5989/g0y5.jpg Arabischer FrühlingEs ist der tunesische Gemüsehändler Mohammed Bouazizi, der sich am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid aus Wut über die Behörden selbst anzündet. Als er am 4. Januar seinen Verbrennungen erliegt, wird das zum Fanal des Aufruhrs. Erst in Tunesien und Ägypten, später im Jemen und in Libyen werden regierende Autokraten gestürzt – in Syrien bricht der Bürgerkrieg aus. Was eine Region unter den Pflug der Geschichte bringt, heißt Arabellion oder Arabischer Frühling. Bald dominiert die Farbe Grün, nicht der Jahreszeit wegen, sondern weil Islam und Islamismus den Willen zum Wandel aufsaugen, dass davon nur religiöse Inbrunst oder Wählerstimmen für Muslim-Brüder übrig bleiben. Von Anfang an gilt: Gelingt in Ägypten ein Neuanfang, haben andere Länder ein Vorbild, das sie ermutigt. Dann putscht Mitte 2013 in Kairo das Militär gegen den Arabischen Frühling, als wollte es die alte Wahrheit bekräftigen, auf halbe Revolutionen folgt eine ganze Konterrevolution. LHhttp://imageshack.us/a/img6/8671/nub9.jpg EuropaImmerhin, die Europäische Union hat es zum Friedensnobelpreisträger gebracht. Eine erstaunliche Auszeichnung – nicht nur weil einige EU-Mitgliedsstaaten Krieg im Kosovo, in Afghanistan und Libyen geführt haben. Sondern auch, weil die EU außenpolitisch alles andere als ein gewichtiger Faktor in der internationalen Politik ist. Das machen nach wie vor die Nationalstaaten unter sich aus. Andererseits ist die Idee, die die Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft in den fünfziger Jahren hatten, heute unumstößliche Wirklichkeit geworden: ein Krieg zwischen den Mitgliedsländern, jahrhundertelang politische Normalität, ist heute ein Ding der Unmöglichkeit geworden.Bis heute hat das europäische Projekt jede Menge Defizite. Entscheidungen sind nicht wirklich demokratisch legitimiert; eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik exisitiert nur auf dem Papier; eine europäische Verfassung liegt in weiter Ferne; das deutsch dominierte Management der Euro-Krise hat das Entstehen einer europäischen Identität um Jahre zurückgeworfen.Aber trotzdem gilt: Es lohnt sich, für die Europäische Union zu streiten. Denn ohne sie wären wir alle sehr viel schlechter dran als mit ihr. grashttp://imageshack.us/a/img834/5426/4q1b.jpg FrauenbewegungDie lila Latzhose gehört wie der „Bra“, der angeblich verbrannte Büstenhalter, zum abgesunkenen Kulturgut. Das angebliche Symbol des Feminismus war kein bevorzugtes Kleidungsstück der Frauen. Richtig aber ist, dass Lila zur Farbe der Frauenbewegung avancierte, das ist erstaunlich, denn Violett verbindet man mit der Kirche, für die Protestanten sogar offiziell. Wie der Feminismus zu seiner Farbe kam, ist nicht bekannt, aber die Archive beweisen, dass sie nicht nur auf alle Arten von Druckstöcken aufgetragen wurde, sondern auch Transparente, Sticker und gelegentlich sogar Haare lila eingefärbt waren. Vielleicht war es ein Akt provokativen Einverständnisses, so wie das Schimpfwort „schwul“ zum Erkennungsbegriff der Homosexuellenbewegung wurde. Denn Violett gilt als Farbe der Sinnlichkeit und die lila Bluse als letzter Versuch, einen Mann abzubekommen. In der lila Latzhose wollten die Frauen nicht erotisch daherkommen, sondern kämpferisch. uberhttp://imageshack.us/a/img42/9473/5lb5.jpg Black PantherEine so überragende Rolle wie Malcolm X oder Martin Luther King haben die Black Panther in der Bürgerrechtsbewegung der USA zwar nie gespielt. Aber nach der Ermordung der beiden charismatischen Anführer der landesweiten Proteste gegen Rassismus und Unterdrückung waren es die Black Panther, die mit ihren teils radikalen Aktionen dafür sorgten, dass das Civil Rights Movement nicht in Vergessenheit geriet. Gegründet von den Studienfreunden Huey P. Newton und Bobby Seale, wurden die Black Panther vor allem damit bekannt, dass sie in ihrer Heimatstadt Oakland bewaffnete Patrouillen gründeten, um Schwarze vor Übergriffen durch die Polizei zu schützen. Sie organisierten soziale Projekte, gaben eine Zeitung heraus und engagierten sich in vielen Kommunen. FBI-Chef Edgar Hoover bezeichnete sie als „größte Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Politisch zerstritten, löste sich die Black Panther Party Anfang de achtziger Jahre auf. grashttp://imageshack.us/a/img706/980/cv9d.jpg RegenbogenfahneGleich zwei Protestbewegungen haben die Regenbogenfahne zu ihrem Symbol erkoren: Die Flagge ist auf Friedensdemos genauso zu sehen wie auf Umzügen für die Rechte von Homosexuellen. Sie steht für Vielfalt und Toleranz. Wer jedoch genau hinsieht, erkennt die Unterschiede: Die Fahne, die von Lesben und Schwulen genutzt wird, trägt nicht den „PACE“-Schriftzug; sie besteht aus sechs Farben, ohne das Hellblau; und die Farben sind anders geordnet: Rot ist oben, Lila unten.In Deutschland ist die Regenbogenfahne unter anderem durch den Berliner Flaggenstreit im Jahr 1996 bekannt geworden. Mehrere Rathäuser der Bezirke hatten anlässlich des Lesbisch-Schwulen Stadtfests und des Christopher Street Days die Regenbogenfahne gehisst, der damalige CDU-Innensenator Jörg Schönbohm versuchte mehrere Jahre lang erfolglos, das zu verhindern. Seit dem Antritt von SPD-Oberbürgermeister Klaus Wowereit im Jahr 2001 weht die Flagge sogar am Roten Rathaus. FWhttp://imageshack.us/a/img845/2250/1dl4.jpg BlauhelmeDer Begriff der „Weltpolizei“ weckt keine besonders positiven Gedanken. Wollen die USA mal wieder ihre Interessen weltweit durchsetzen? In Wirklichkeit gibt es derzeit nur eine Organisation, die man halbwegs sinnvoll als Weltpolizei bezeichnen könnte: die Blauhelm-Truppen der Vereinten Nationen.Die Idee ist bestechend: Nicht einzelne Staaten hetzen ihre Armeen gegeneinander auf, sondern die Weltgemeinschaft beschließt, mit gemeinsamen Einsatzkräften gegen Krieg und Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Natürlich gibt es berechtigte Kritik: Auch Blauhelm-Soldaten töten unschuldige Menschen. In den Vereinten Nationen haben ärmere Länder nicht ein solches Gewicht wie die Industriestaaten. Und im Sicherheitsrat geht es undemokratisch zu, man denke nur an die fünf Veto-Mächte. Trotzdem ist die Idee gemeinsamer Truppen visionär. Vielleicht gibt es irgendwann keine Soldaten mehr, sondern nur noch Weltpolizisten. FWhttp://imageshack.us/a/img132/2346/fqpb.jpg Anti-Atom-SonneWenn mal wieder ein Castor ins Wendland rollt, steht in jedem zweiten Vorgarten ein gelbes „X“ als Protestsymbol. Gelb, das ist die Farbe der Anti-Atomkraft-Bewegung. Nicht nur das schwarze Radioaktiv-Zeichen, sondern auch die rote Anti-Atom-Sonne ist stets auf gelbem Grund zu sehen. Die Sonne wurde 1975 von einer damals 22-jährigen Studentin als Zeichen für eine dänische Umweltorganisation erfunden, heute gehört sie zu den bekanntesten Logos weltweit. Die lachende Sonne steht für die erneuerbaren Energien und ist in der Regel umrahmt vom Schriftzug „Atomkraft? Nein Danke!“ in der jeweiligen Landessprache.Warum ist die Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland größer als in anderen Staaten? Während des Kalten Krieges waren hier besonders viele Atomwaffen stationiert, wegen der Nähe zum Eisernen Vorhang. Das stärkte die Friedensbewegung und auch den Protest gegen die zivile Nutzung der Atomkraft. FW
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