FREITAG: An der jetzigen Bundesregierung sind mehr Frauen als je zuvor beteiligt. Warum sieht und hört man so wenig von ihnen?
BRIGITTA HUHNKE: Weil sich qualitativ wenig geändert hat. Der Politikbegriff ist nach wie vor der hergebracht patriarchalische. Sozialdemokratinnen und grüne Frauen haben es schon im Vorfeld versäumt, in ihren Politikkonzepten auf Geschlechtergerechtigkeit zu pochen. Das dann nachträglich, im Zuge der Aufräumarbeiten nach 16 Jahren Kohlscher Despotie zu versuchen, ist vielleicht eine Überforderung. Zumal die Bereitschaft der männlichen Kollegen überhaupt nicht da ist, mit Frauen Macht - also Aufgaben politischer Steuerung - zu teilen. Außerdem dürfen wir nicht vergessen: Die Ministerinnen arbeiten mit einer verstaubten Bürokratie. Sie sind tagtäglich mit patriarchal geprägtem Verwaltungshandeln konfrontiert, das ihre Leistungen unterminiert, Rituale abfordert und Kreativität blockiert.
Aber es gibt sehr viel mehr Journalistinnen als früher. Könnte man nicht von ihnen erwarten, über die Felder, auf denen Frauen Verantwortung tragen, angemessen zu berichten?
Journalistinnen arbeiten nach wie vor überwiegend in den sogenannten »weichen« Segmenten. Die Leitung in den »harten« Politik ressorts, in denen über Außen-, Verteidigungs- oder Wirtschaftspolitik berichtet wird, haben nach wie vor fast ausschließlich Männer. Sie wachen an den Schleusen und entscheiden mit althergebrachtem männlichen Blick, was aktuell ist und was den Zuschauer oder die Leserin als Nachricht erreicht.
Klaus Theweleit spricht sogar generell von einer »Remaskulinisierung« der Gesellschaft. Spiegelt sich das in den Medien?
Ja, es ist seit den neunziger Jahren wieder schick, Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit zu verhöhnen. Besonders willkommen sind Frauen, die von sich laut sagen, sie seien keine Feministinnen. Die veränderte Medienlandschaft mit unendlich vielen Programmen und Kanälen verstärkt diese schrillen Eruptionen. Wo immer mehr, immer schneller, immer kürzer berichtet wird, verkommt umfassende Recherche zur unbekannten Tugend. Die Zeit ist nicht mehr da, die Wirklichkeit zu durchdringen, beispielsweise die von Themen wie »gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit« oder »gleiche Rente«. Solche Themen lassen sich weder in 30 Zeilen noch in Einsdreißig erklären.
Wir haben mittlerweile Expertinnen für alle Bereiche, aber sie sind seltener in der Berichterstattung oder in öffentlichen Debatten anzutreffen, weil es ab einer bestimmten Hierarchieebene erheblich weniger von ihnen gibt. Formale Autoritätsgläubigkeit ist jedoch die Fischgräte im Korsett männlicher Identität. Stereotypen und Klischees halten auch in sogenannten seriösen Blättern immer häufiger zum Fabrizieren einfacher Wahrheiten her. Ähnliche Mechanismen des Häppchenjournalismus greifen übrigens auch bei der Darstellung beziehungsweise Präsentation von ethnischen und kulturellen Minderheiten. Die so erzeugte schnelle »harte« Nachricht symbolisiert nicht nur die Flucht aus gesellschaftlichen Kontexten und historischer Verantwortung, sondern dokumentiert auch die Leblosigkeit männlicher Milieus in Politik und Medien. Eine bessere Herrschaftsabsicherung als den deutschen Sitzjournalismus konnte Helmut Kohl gar nicht haben. Und nahezu ohne Selbstkritik geht es ungebrochen weiter.
Sie sprechen in Ihren Arbeiten von »festgezurrten Männerbünden«, die nach wie vor reibungslos funktionieren. Hat sich da noch nichts gelockert?
Ich fürchte, es hat sich nur sprachkosmetisch etwas geändert. Natürlich wird nicht mehr mit Natur oder Religion gegen Geschlechtergerechtigkeit »argumentiert«. Es herrscht aber nach wie vor das nonverbale Einverständnis, Frauen einfach verschwinden zu lassen. Dies läuft in Politik und Medien über psychische Gemeinschaftserlebnisse. Stellen wir uns einen jungen Bundestagsabgeordneten vor, der nach Berlin kommt. Er trifft auf ein vorgegebenes Ensemble von Ritualen, das alle Bereiche des sozialen Lebens in der Politik umfasst - von der Bundestagsdebatte bis zum Bordellbesuch. Er taucht behutsam ein in die Rituale der Eingeweihten, in Trink- und Kungelrunden. So erwirbt er nach und nach die Spielregeln. Ein implizites System von Normen und Wertvorstellungen sorgt dafür, Frauen und eventuelle Gegeninterpretationen per se, »formal«, auszugrenzen. Politikerinnen oder auch Journalistinnen haben vergleichbare Gemeinschaften nicht.
Beschäftigt sich die Kommunikationswissenschaft denn mit diesen Strukturen der Politikvermittlung?
Leider so gut wie gar nicht. Es gibt in Deutschland keine qualitativen Studien darüber, wie die Flüsse und Strukturen an den Nahtstellen zwischen Politik und Medien funktionieren.
Was könnte feministische Kommunikationswissenschaft zur Aufklärung über diese Konstruktionen beitragen?
Ich kann in Deutschland keine feministische Kommunikationswissenschaft erkennen, die diesen Bereich der Politikvermittlung qualitativ untersucht. Ganz anders als in den USA. Die deutsche Kommunikationswissenschaft verweigert sich vor allem völlig neueren Theoriedebatten, die helfen könnten, sowohl soziale Milieus wie Medien und Politik zu erkunden, als auch die Medieninhalte zu interpretieren. Stattdessen wird der Systemtheorie mit ihren neo-biologistischen Axiomen gehuldigt. Alphons Silbermann hat der Kommunikationswissenschaft sehr treffend ihre »marottenhafte Wichtigtuerei« vorgeworfen. Und die bis heute nicht erfolgte Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit dieses Fachs! Was wir über Medien, Politik und Geschlecht wissen, haben Politologinnen, Medienpsychologinnen oder Sprachwissenschaftlerinnen erforscht.
Worauf müsste sich abseits dessen das Forschungsinteresse richten?
Was wir nicht mehr brauchen, sind Studien über »Das Bild der Frau in den Medien« oder ähnliches. Wir haben genügend Belege über die Ausgrenzung von Frauen und ihrer Lebenswelt in den Medien. Viel wichtiger wäre es, die latente Opferperspektive zu verlassen, weg von den Defizitanalysen hin zu einer Forschung über die Herstellungsverfahren von Geschlechterkonstruktionen. Wir brauchen vermehrt qualitative Forschung über patriarchales Destruktionsverhalten in Politik und Medien, das nicht nur uns Frauen, sondern der ganzen Gesellschaft ungeheuren Schaden zufügt. Wir brauchen wissenschaftliche Expertisen, mit denen wir nicht um unser Recht der angemessenen Präsentation in Öffentlichkeit und Politik freundlich bitten, sondern die uns stützen, unsere Rechte als Bürgerinnen einklagen zu können. Dafür ist es allerdings notwendig, dass wir Frauen wieder konsequenter die »Stimme des Herrn« in uns abschalten, die uns die Verhältnisse als Normalität einflüstert. Wir müssen also nach dem Schaden fragen, den Männer in Politik und Medien verursachen. Es geht schließlich um nichts weniger als um das am tiefsten greifende Demokratiedefizit in unserer Gesellschaft.
Das Gespräch führte Ulla Lessmann
Veröffentlichungen von Brigitta Huhnke u.a.: Patriarchale Politikvermittlung im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen (Centaurus); Macht Medien und Geschlecht, Fallstudie zur Berichterstattung von dpa, taz, Zeit und Spiegel von 1980 bis 95 (Westdeutscher Verlag)
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