Fesselnde Temperatur: Fieber am Morgen und Fieber bei Nacht
Empfehlungen Keine Sorge, wir dilettieren nicht als Ärzt:innen, sondern verlassen uns auf unsere Kernkompetenz: Bücher, Filme, Podcasts. Sie handeln vom Fieber – ans Bett fesselnder sowie der wohl berühmtesten leicht erhöhten Temperatur der Literatur
Fieber findet sich in der Popkultur als Metapher nahezu in jedem Genre: Die Tipps unserer Redaktion
Foto: Imago/YAY Images
Zuverlässige 37,6 Grad
Dieses Meisterwerk einer queeren Liebesgeschichte sollte jede:r gelesen haben: Thomas Manns Zauberberg von 1924. Für den Protagonisten Hans Castorp stellt die Mitpatientin Clawdia Chauchat im Davoser Lungensanatorium eine jahrelange Obsession dar. Sie erinnert ihn an seine Jugendpassion, den Mitschüler Pribislav Hippe. Obschon es nur ein angedeutetes Mal zur Liebesnacht kommt, bleibt Castorp sieben Jahre auf dem Berg, erfasst vom Fieber des Eros. Mann überblendet diese geschlechtsindifferenten Leidenschaften meisterhaft und schafft mit dem Thermometer ein sprechendes Dingsymbol. Es misst zuverlässig die leicht erhöhte Temperatur von 37,6 Grad Celsius – genug, um Castorps Aufenthalt auf dem Zauberberg zu rechtfertigen. Leichtes Lesef
tigen. Leichtes Lesefieber braucht es indes auch für die etwa 1.000 Seiten. Leander F. BaduraMach’s wie FerrisWie cool wäre das: Für einen Tag die Schule/die Arbeit schwänzen und die Stadt unsicher machen! In seinem hochtechnisierten Jugendzimmer gaukelt der 17-jährige Ferris (Matthew Broderick) den Yuppie-Eltern Fieber und Husten – aus dem Computer – vor und rast mit einem geklauten Ferrari, seiner Freundin Sloane und dem depressiven Kumpel Cameron durch den Tag seines Lebens. Krank? Der neurotische Schuldirektor versucht, ihm auf die Schliche zu kommen, ohne Erfolg. Denn Ferris ist klüger als die Schule: „Das Leben bewegt sich schnell, und ab und zu solltest du anhalten, sonst verpasst du was.“ Ein herrlich seichter und lebensbejahender Spaß. Nur bei den sexistischen Witzen sollte man ein Auge zudrücken. Ebru TaşdemirTour de ForceIm Sommer 1997 ist Deutschland im Tour-de-France-Fieber. Mit 23 Jahren fährt Jan Ullrich ins Gelbe Trikot und verteidigt es bis Paris. Der Toursieg macht den Rostocker mit den roten Haaren zum Helden. Sponsorentermine, Gala-Empfänge, Liebe für das Idol – der Aufstieg ist märchenhaft, der Absturz dramatisch. Jan Ullrich wird die Tour nie wieder gewinnen, stattdessen folgen Doping-Affäre und Alkohol- und Drogeneskapaden. Dieser Geschichte widmet sich der Sportschau-Podcast Jan Ullrich. Held auf Zeit. Dabei ist Jan Ullrich oft eher Antiheld – und genau dieser Vielschichtigkeit der Person nähert sich der Sportjournalist, Moderator und Podcastmacher Moritz Cassalette in verschiedenen Etappen (also Episoden) einfühlsam an. Er spricht mit Ullrichs Freunden, Trainern und seinem ewigen Konterpart Lance Armstrong und lässt die Gänsehautmomente noch einmal aufleben. So entsteht das Bild eines Menschen mit einem „Jahrhunderttalent“, der sich aber nicht verbiegen lassen will. Zugleich zeichnet Cassalette aber auch die zerstörerische Kraft eines Hypes nach, die Macht einer mitfiebernden Öffentlichkeit, die zur unbedingten Liebe zu ihrem Helden ebenso bereit ist wie zur gnadenlosen Abkehr. Eine Hörempfehlung, gerade für kalte Tage, um sich mit den Tour-Erinnerungen von Jan Ullrich auch den französischen Sommer ins Haus zu holen. Benjamin Knödler Der RausschmeißerIch hätte Charlotte Roche gerne für diesen Mini-Text gefragt, was 2003 das meistgespielte Video in ihrer Sendung Fast Forward beim Musiksender VIVA war, aber dann kam mir tatsächlich etwas mit Fieber dazwischen und so kann ich nur behaupten, dass es das Video zu Maps von den Yeah Yeah Yeahs gewesen sein muss. Fest steht, es lief immer am Schluss, denn was soll nach diesem Video noch kommen, in dem Karen O nicht sehr viel mehr macht als auf einer schrabbeligen Bühne vor anderen Art-School-Boys-and-Girls dieses unendliche traurige Lied vom Ende einer Liebe zu singen („Wait, they don’t love you like I love you“)? Kommendes Frühjahr wird es 20 Jahre her sein, dass Fever to Tell von den Yeah Yeah Yeahs erschien, und wer wissen will, wie Garage Rock aus New York in den nuller Jahren klang, sollte mit dieser Platte anfangen. Wäre mein Regal geografisch sortiert, stünde Fever to Tell hinter White Light/White Heat von Velvet Underground. Christine KäppelerPlaceholder authorbio-1Tanz mit mir, JohnnyEs war der Sommer 89, der Sommer, den ich in Ostberlin verbrachte, genauer gesagt, in der Schlange vor dem Kino Kosmos. Da lief Dirty Dancing. Schon das Plakat: der pinke Schriftzug, Patrick Swayze in engem Schwarz, sein „Baby“ im Arm. Dass es im Land kälter wurde, viele mit ihrem Auto die DDR Richtung Ungarn verließen, das war für mich weit weg. Ich musste in diesen Film, einmal, zweimal, achtzehnmal. Wir waren heiß darauf, Johnny (Patrick Swayze) tanzen zu sehen. Als er dann auf der Leinwand den Mambo hinlegte, wurde mir schwindlig. Es war wie ein Elektroschock. In dem Schuppen, in dem die Tänzer:innen des amerikanischen Besserverdiener-Urlaubsdomizils Kellermann’s nachts ihre private Show abzogen, brannte die Luft. Underdogs, die sich zu Latinorhythmen aneinander rieben, mehr schlängelten als tanzten. Ich tanzte selber mal Ballett und Rock’n’ Roll. Lauwarm. Dagegen diese Szene, in der „Baby“, die unschuldige Arzttochter, an Johnnys Bungalowtür klopft ... Er macht auf, entschuldigt sich für das schlichte Zimmer. Sie sagt: „Tanz mit mir.“ Es läuft Cry to me von Solomon Burke. Er, Oberkörper frei, sie in weißer Bluse, er umfasst ihre Hüften, führt sie sanft, sie kommen sich näher, was für eine Sinnlichkeit, alles ist Andeutung. Ich habe die Mamboschritte tausendmal geübt, sogar Hebefiguren im Wasser. Aber es gab keinen Johnny – und ich wurde nicht Baby. Maxi LeinkaufEdle Abenteuer, LiebePünktlich zu Weihnachten steuert das Stimmungsbarometer in die sentimentale Zone, erinnert ein Song, Film, ein altes Buch an einen einmal so heiß Geliebten. Ich denke an Weihnachten meist an S. Melodramatisch konnte er zu Just the Way You Are vor dem Plattenspieler sitzen. Er liebte die Noir-Satire Tote tragen keine Karos aus dem Jahr 1982, mit dem köstlich hysterischen Steve Martin (Regie führte der legendäre Carl Reiner). Wegen S unvergessen: Die Brautprinzessin (1973). Er hatte mir aus dem Roman vorgelesen. Autor William Goldmann behauptet darin, den Roman eines gewissen S. Morgenstern auf die spannenden Passagen eingedampft und lediglich mit Kommentaren versehen zu haben, und zwar für den Enkel, der sich nur für Sport interessiert, nun aber fieberkrank ans Bett gefesselt ist. Das Buch handelt von edlen Abenteuern und der Liebe zwischen der furchtbar arroganten Butterblume und dem Stalljungen Westley. Verfilmt wurde Die Brautprinzessin (mit Columbo-Peter-Falk als Opa) von Regisseur Robert Reiner, dem Sohn von Carl Reiner. Ist der Roman ein Kinderbuch? Hatte ich als Literaturstudentin darüber nachgedacht? Natürlich nicht. Kinder würden das Hintergründige zwar nicht ganz verstehen. Doch dieses Jahr schaue ich mit ihnen den Film! Katharina SchmitzPlaceholder infobox-1
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