Flüsterton

Linksbündig Orhan Pamuk und die Freiheit des Wortes

"Entschuldigen Sie, dass ich soviel über Politik gesprochen habe". Orhan Pamuk ist kein Mann der Pamphlete und Appelle. Der 1952 geborene türkische Schriftsteller, der vergangenes Wochenende in Frankfurt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, ist ein melancholischer Flaneur. Am liebsten versenkt er sich in die osmanische Geschichte oder ist abends zur Dämmerung in den Straßen seiner Heimatstadt Istanbul unterwegs und erkundet die unbekannte, die vergessene, die verfallende Seele dieses gordischen Knotens zwischen Ost und West.

Wenn Orhan Pamuk politisch spricht, dann am liebsten über den Umweg des Romans. Und darin bevorzugt er den "Flüsterton" Dostojewskijs. Pamuks politische Ästhetik ist die der Empathie. Seine Bücher sind der Beweis dafür, wie man sich die Menschen und die Orte, die Geheimnisse und Sehnsüchte, die Geschichte und die Gegenwart einer Nation so subtil anverwandeln kann, dass sie ihr kollektives Selbstbild unmerklich zu reflektieren beginnt, wenn sie die Bücher liest, die daraus entstehen. Verständlich, dass jemand, der so arbeitet, abwehrt, wenn es um politische Statements geht.

In seiner Dankesrede in der Frankfurter Paulskirche Rede sprach Pamuk zwar nicht im Flüsterton. Er sparte nicht mit politischen Statements: Mit dem Motto "Frieden oder Nationalismus" plädierte er nachhaltig für eine um die Türkei erweiterte Europäische Union und tadelte - Wolfgang Schäuble vor Augen - wie diese Frage im deutschen Wahlkampf instrumentalisiert worden war. Trotzdem hatte sein eindrucksvolles Bekenntnis zu Europa und dem europäischen Roman eine - wie soll man sagen - weiche Stelle.

Der öffentlichen Dankesrede merkte man Pamuks Bemühen an, dem Staatsanwalt in der Türkei, der gerade wegen seines Interviews mit einer schweizer Tageszeitung gegen ihn ermittelt, keinen neuen Anlass für eine Strafverfolgung zu liefern. Tags zuvor hatte er auf der traditionellen Pressekonferenz mit dem Preisträger noch mit den Worten: "Ich werde mit erhobenem Haupt meine Verantwortung übernehmen", alle Befürchtungen zerstreut, er könnte seine Bemerkungen über den Völkermord an den Armeniern in einem CNN-Interview relativiert haben. In der Paulskirche sagte er vorsichtig, er empfinde es "als Manko, wenn ein türkischer Schriftsteller heute nicht auf die Kurden, auf die Minderheiten in der Türkei und auf die unausgesprochenen dunklen Punkte unserer Geschichte eingeht". Gleichzeitig nahm er die Türkei, ihre Kultur und die in Deutschland lebenden Migranten in Schutz.

Pamuk gilt dem Westen als lupenreiner Vorzeigeeuropäer. Doch wenn er von "Stolz und Scham" der Protagonisten und der "Empfindsamkeit der Abgewiesenen" spricht, die seine Romane bevölkern, Wanderer zwischen Tradition und Moderne, Europa und Asien, meint man diese zwei Seelen auch in seiner Brust zu spüren. Doch wenn die Türkei dem Europa beitreten will, das Pamuk so beschwört, wird ihr irgendjemand laut und deutlich sagen müssen, dass sie den Paragraphen 301/1 ihres Strafgesetzbuches wird abschaffen müssen, der die "Herabsetzung der türkischen Identität" mit Gefängnis bedroht.

Pamuk nahm die Freiheit des Wortes, die das Forum der Paulskirche bietet, nicht in Anspruch, um in eigener Sache zu sprechen. Doch warum nutzten es nicht andere? Der neue Buchmessen-Chef Juergen Boos hatte das Eröffnungsritual der Buchmesse erfrischend aufgemischt. Sonst werden da gebetsmühlenartig Umsatzzahlen referiert. Diesmal erinnerte die Messeleitung überraschend an den nigerianischen Autor Ken Saro Wiwa und die dubiose Rolle des Mineralölkonzerns Shell in diesem Endspiel der Meinungsfreiheit. Erstmals saß der Präsident des deutschen Pen mit auf dem Eröffnungspodium und erinnerte an die rund 700 verfolgten Autoren in aller Welt. Im nächsten Sommer will die Messe einen Ableger in Kapstadt gründen. Demokratie, so das schwer widerlegbare Argument, wächst nur, wo das Buch eine Chance hat. Da hätte es dem scheidenden Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Dieter Schormann, am letzten Messetag in der Paulskirche gut angestanden, vor der europäischen Öffentlichkeit die Abschaffung des türkischen Schandparagraphen zu fordern. Die Ehrung Pamuks war zwar an sich schon ein politisches Bekenntnis wie 1997 die von Pamuks Landsmann Yasar Kemal. Doch auch bei seinen Ritualen könnte der Börsenverein beherzigen, was Juergen Boos als neues Motto der Buchmesse ausgegeben hatte - "politischer werden".


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