Eigentlich wollte Yevgeniy Breyger, der aus dem ukrainischen Charkiw stammt, einen anderen Gedichtband schreiben. Das war im Februar 2022. Doch dann kam der Krieg, und der geplante Band und seine „barocke sprache, fern von alltag“ erschienen dem 34-jährigen Schriftsteller, der in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studiert hat, nicht mehr angemessen. Der Band wurde umgeschrieben. Es entstand das dreiteilige Langgedicht frieden ohne krieg, der Versuch des Autors, eine Sprache zu finden für den Krieg, der nicht nur in der Ukraine, sondern auch in ihm selbst tobt.
Die Frage, welche Wirkkraft Literatur in einer vom Krieg gezeichneten Welt noch hat, stand vergangene Woche auch im Mittelpunkt der viel beachteten Eröffnungsrede von Tanja Maljartschuk z
anja Maljartschuk zum diesjährigen Bachmannpreis, zu dem auch Breyger selbst als Autor eingeladen ist. Die ebenfalls aus der Ukraine stammende Preisträgerin von 2018 sieht sich als gebrochene Schriftstellerin, die jegliches Vertrauen in die Sprache verloren hat. Breyger dagegen will nicht verstummen.Der erste Abschnitt, heimatkern, setzt ein mit einem kurzen Abriss der Familiengeschichte des Autors, die hier auch stellvertretend für die Ukraine steht. Von der Einnahme der Stadt Charkiw im Jahr 1941 durch die Nationalsozialisten spannt Yevgeniy Breyger den Bogen bis zur Gegenwart und ruft somit innerhalb weniger Zeilen einen komplexen historischen Kontext von Schuld und Weiterleben auf. Damit ist der Boden geebnet für die Auseinandersetzung mit dem deutschen Diskurs über den Ukraine-Krieg, den Breyger, der in Frankfurt am Main lebt, scharf kritisiert.In seinem Text zeigt Breyger die deutsche Scheinheiligkeit im Umgang mit Geflüchteten auf. Er widerspricht der Argumentation, „der krieg sei entstanden, weil europa russland missversteht“. Wut und Fassungslosigkeit sprechen aus diesen Versen. Es ist aber auch der Versuch, mit den eigenen Schuldgefühlen umzugehen: „ich schäm mich zu tode / ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr / doch, du kannst noch“.Breyger reflektiert zudem die öffentliche Wirkung, über die er als Autor in Deutschland verfügt, und wie er diese im öffentlichen Diskurs einsetzen kann. Die Sprache in diesem Abschnitt ist abgehackt und verknappt, der Stil erinnert an Tagebucheinträge. Dies ändert sich mit dem Abschnitt statt erklärung: „nach dieser zeile bricht der krieg aus“. Der Stil gerät zunehmend verdichteter, jeder Vers ist mit Bedeutung aufgeladen. Das Tagebuch wird zum „kriegsbuch, asbestbuch und schwefelbuch dampfschwadenbuch / über panzerkarossen“.Der Abschnitt liest sich wie ein Widerstand gegen jede Verrohung der Sprache. Wie eine Weigerung, sich der eigenen Worte berauben zu lassen. Breyger kleidet die Barbarei des Krieges in hochkomplexe Sprachgebilde, in denen klassische Motive immer wieder ins Grauen verkehrt werden: „riechst du den plastikodem der toten? hörst / die gespräche zwischen armen wie ästen, fingern wie zweigen / die gebärden der knochenbrüche, wie sie sich im kern zieren“.Kathartische WirkungSo vermischen sich dann auch im letzten Abschnitt, aprillern, Englisch, Russisch und Deutsch. Wie ein reinigender Strom ergießen sich die Verse über die Seiten, deren kathartische Wirkung die ukrainische Schriftstellerin Marjana Gaponenko eindrücklich in ihrer emotionalen Rezension für den SWR beschreibt.Gaponenko bezeugt die Wirkung, die Lyrik auch oder gerade nach dem Krieg noch entfalten kann. Sie schafft eine Brücke zwischen den Menschen, denen Unvorstellbares widerfahren ist, und gibt ihnen ihre Sprache zurück, eine Sprache. Diese Lyrik ist wie eine Rückeroberung, von innen heraus, wie ein Sieg über den Krieg, wenngleich nicht in der Ukraine, so doch zumindest im Inneren: „es ist ein krieg in mir, der will mich ziehn / zieht aber andre / und ich denk mich nur / denk hin“.Placeholder infobox-1