Frohe Zukunft von Bianca Bodau

Kino Am 3. Oktober hört die DDR auf zu existieren. In Warnemünde übergibt mein Vater die 4. Flotte der Volksmarine an die Bundeswehr. Er geht nach Hause, ...

Am 3. Oktober hört die DDR auf zu existieren. In Warnemünde übergibt mein Vater die 4. Flotte der Volksmarine an die Bundeswehr. Er geht nach Hause, packt die Ordner ein und starrt zum Fenster hinaus. Wenig später wird die Warnow-Werft aufgekauft, der Großteil der Mitarbeiter entlassen. Auch meine Mutter, die dort seit 20 Jahren als Telefonistin arbeitet. Zu dieser Zeit sind meine Eltern 50 Jahre alt, sie wissen nicht, wie es weitergehen soll. Ganz im Gegensatz zu mir. Mein Vater findet eine Stelle beim Wachschutz und zieht in den Westen. Zwei Jahre später holt er meine Mutter nach. Sie mieten sich eine winzige Sozialwohnung und stellen die Anbauwand und die Couchgarnitur aus Lichtenhagen hinein, so dass es aussieht wie zu Hause. Doch das täuscht, es ist nicht zu Hause. Als ich sie das erste Mal besuche, raucht meine Mutter eine Zigarette nach der anderen. Mein Vater hat zu trinken begonnen und spricht vom Aufhängen. 1997 verlässt meine Mutter meinen Vater und beginnt ein neues Leben. Nun gibt es nichts mehr, wofür sich das Durchhalten lohnt. Systematisch trinkt sich mein Vater zu Tode. Ich löse die Wohnung auf und lasse die Anbauwand aus Lichtenhagen beim Nachbarn, einem Russlanddeutschen."

So erzählt Bianca Bodau die Geschichte vom Ende der DDR, wie sie sich im Leben ihrer Familie ereignet hat. Die Geschichte vom Ende der DDR ist oft erzählt worden: in der Literatur, wo sie als großer Wende-Roman erwartet worden ist, und im Kino. Gemein ist diesen Geschichten, dass der Akzent auf dem Leben vor dem Untergang der DDR liegt und dass ihre Akteure junge Menschen waren, denen der Mauerfall ein Tor geöffnet hat, durch das sie mühelos in die neue Zeit entschwinden konnten. Der 3. Oktober war in diesen Erzählungen zumeist das glückliche Ende, eine Art unausgesprochene Erlösung, die nur den Verlust der Nischenexistenz (wie bei Uwe Tellkamps Bürgertum in Der Turm) oder den Verlust der Unschuld (wie bei der Jugend aus Good Bye, Lenin) bedeutete. Was die Wende im Leben derer hinterlassen hat, die nicht einfach oder nicht erst recht weiter machen konnten, ist ausgespart geblieben. Der dissidente Schriftsteller in Das Leben der Anderen veröffentlicht ein Buch über seinen Stasi-Engel, die Mutter in Good Bye, Lenin stirbt am Tag der Einheit.

Wenn über das Los der ostdeutschen Elterngeneration im vereinigten Deutschland gesprochen wurde, dann entweder unter den Vorzeichen von Schuld und Verstrickung oder am Rande, wie in den Büchern der "Zonenkinder", wo die Nachgeborenen in ihren gelingenden Karrieren ratlose Eltern als Kontrast zum eigenen Wohlleben registrieren. Was an Enttäuschung, Verbitterung und Leid hinter dem offiziellen Glück vom Ende der deutschen Teilung steckt, ist bislang allenfalls als Raunen des "Jammerossis" wahrgenommen worden.

Deshalb ist Bianca Bodaus Film Frohe Zukunft sehenswert, deshalb handelt es sich um eine intime Dokumentation, und deshalb ist er vielleicht jetzt, 20 Jahre nach dem Umbruch, erst möglich. Auch wenn an ihm filmisch manches zu bemängeln ist: die betuliche Selbstinszenierung der Regisseurin in dem oben skizzierten Prolog, die nicht immer klar erkennbare Dramaturgie, das limitierte ästhetische Konzept. Der Film nimmt sich Zeit, die Geschichten von drei Familien aufzublättern, das ist eine Stärke, und er moralisiert nicht, das ist die andere. So wird nicht gefragt, wie der Volksmarinen-Vater oder Edgar, ein Lehrersohn, ehemaliger Offizier und heutiger Versicherungsvertreter, ihren Dienst an der DDR versehen haben. Und es wird auch nicht geklagt.

Auf diese Weise entsteht ein Panoptikum von ganz normalen Lebensläufe, das durch seine Genauigkeit und Ausführlichkeit überzeugt. Und das die immer gleichen Motive als Material anhäuft: das Zerbrechen der Familie, die Krise der Männlichkeit (die Frauen finden sich zumeist besser mit den neuen Anforderungen zurecht), die Freiheit der Kinder. Material, das auf den großen Nachwende-Roman, den großen Nachwende-Film wartet. Darin müsste es auch um Anbauwände und Couchgarnituren gehen.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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