Ganz schön heavy

Musik Iron Maiden sind in Deutschland und Großbritannien auf Platz eins der Albumcharts, gegen jede Regel
Ausgabe 38/2015
Iron Maiden-Bassist Steve Harris
Iron Maiden-Bassist Steve Harris

Bild: Imago/CTK Photo

In jeder Rockstarkarriere kommt der Punkt, den ich der Einfachheit halber die Akzeptanz des Unvermeidlichen nenne. Damit einher geht die Einsicht, dass die künstlerische Blütezeit vorüber ist und das Publikum die Band letztlich für die Musik von vor 30, 40 oder 50 Jahren liebt. Die Fans stehen zwar noch zu Hunderttausenden für Konzertkarten Schlange, aber sie tun das, um die alten Hits live zu hören. Die Band ist Kulturerbe geworden, diese Position ist an Bedingungen geknüpft. Neue Alben sollten sich stilistisch an die beliebtesten Phasen des Backkatalogs anlehnen. Das Publikum wird nicht herausgefordert, es rächt sich sonst, indem es zu Hause bleibt und die alten Platten hört.

Iron Maiden sollten theoretisch Vorzeigekandidaten für diesen pragmatischen Ansatz sein. An Weihnachten ist es 40 Jahre her, dass Bassist Steve Harris die Band gründete; über 30 Jahre sind vergangen, seit die Alben erschienen, die ihren Ruhm als Leitfeuer des britischen Heavy Metal begründeten: The Number of the Beast, Piece of Mind, Powerslave. Doch ihre Alben sind seit den Nullerjahren eine echte Herausforderung.

Mit letzter Kraft

Iron Maiden haben ihre Fans mit einem Abstecher in den Glitch-Hop verwirrt, sie haben ihrem Hang zum Prog-Rock gefrönt und ein Album veröffentlicht, das nicht gemastert wurde, weil sie einen rohen Sound bevorzugten. Wer 2006 auf der Welttournee Hits wie Run to the Hills und Aces High erwartete, hörte stattdessen das neue Album A Matter of Life and Death in voller Länge. Als ein gekränkter Fan ein Schild mit dem Befehl „Spielt Klassiker!“ auf die Bühne warf, riss Sänger Bruce Dickinson es in Stücke.

Ihr 16. Studioalbum The Book of Souls setzt diese Tradition fort. Die knackige Single Speed of Light ist nur ein Köder. The Book of Souls dauert 92 Minuten, und beinahe die Hälfte davon entfällt auf drei Songs. Der Schlusstrack Empire of the Clouds dauert ganze 18 Minuten. Eine klavierlastige Nummer, die Dickinson über den Absturz des Flugzeugs R101 während seines Jungfernflugs im Jahr 1930 schrieb. Sie löst sich schließlich in etwas Ironmaideniges auf – flatternde Bassläufe, wirbelnde Gitarrensoli, durchtriebene Tempowechsel –, doch bis dahin ist es ein langer Weg. Die meiste Zeit hören wir eine orchestrierte Klavierballade und dazu Dickinsons patentierten quasioperettenhaften überdrehten Tenor. Falls Sie etwas im Hintergrund hören, sind es vermutlich die Jeansträger von der „Spielt Klassiker“-Fraktion, die sich mit letzter Kraft ans Klavier klammern, um nicht aus den Latschen zu kippen. Besänftigen könnte diese Gentlemen allenfalls das von Harris geschriebene The Red and the Black: in diesen 14 Minuten geschieht nichts, was die Band nicht bereits gemacht hätte, und es verneigt sich vor Flight of Icarus von 1983. Der Song klingt vertraut, aber nicht nach einer Band im Leerlauf, was schwer zu erreichen ist.

Das Album ist beeindruckend ungeschliffen, schwülstige Momente werden aufgeraut. Manche Kritiker schrieben, Iron Maiden hafte auch nach 85 Millionen verkauften Alben der Spirit jener Tage an, in denen sie durch die Londoner Pubs zogen. Das ist mir zu verklärend, zwei Drittel der Musiker waren damals noch nicht dabei. Aber The Book of Souls klingt definitiv nicht wie das Werk von Multimillionären, die ihrem 40. Jahrestag und der Rente entgegensegeln. Die Akzetptanz des Unvermeidlichen steht definitv nicht auf ihrer Agenda.

Info

The Book of Souls Iron Maiden Warner 2015

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