Geheimnisvoller, externer Kronzeuge

9/11 Michael Rosenthal, Verteidiger im Hamburger Mzoudi-Prozess, über neue Beweise gegen seinen Mandanten und die Fiktion vom gedoubelten Mohammed Atta

Der Marokkaner Abdelghani Mzoudi soll bei der Vorbereitung der Attentate vom 11. September 2001 geholfen haben. Doch bisher hat der Prozess gegen ihn vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht mehr Fragen aufgeworfen als geklärt: Wo wurden die Terroranschläge geplant? Von wem? Was wussten die Geheimdienste?

FREITAG: Muss die Geschichte des 11. September neu geschrieben werden?
MICHAEL ROSENTHAL: Dazu sehe ich keine Veranlassung. Am 22. Januar sollte das Urteil gesprochen werden, viele Prozessbeobachter rechneten mit einem Freispruch für meinen Mandanten. Doch statt dessen haben wir an diesem Tag die Aussage eines Beamten des Bundeskriminalamtes erlebt, der die Aussagen eines neuen Zeugen referierte, eines angeblichen Ex-Agenten des iranischen Geheimdienstes, Deckname Hamid Reza Zakeri. Danach soll der Iran in die Anschlagsplanung eingebunden gewesen sein. In diesem Zusammenhang - so Zakeri - sei auch Mzoudi in Iran gewesen. Das Problem ist nur: Der Mann wurde bereits von der CIA und vom BND vernommen, jeweils ohne Erfolg. Er hat wohl vor allem Zweifelhaftes zu bieten.

Ursprünglich war Ihrem Mandanten die Beihilfe bei der Vorbereitung des 11. September in Hamburg zur Last gelegt worden, nun soll er das in Teheran getan haben. Was bleibt von der Spur nach Hamburg?
Wir können nicht mit Sicherheit sagen, was in Hamburg geplant wurde und was nicht. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass dort über mögliche Straftaten geredet wurde. Aber eben nicht über die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon.

Letzteres lässt sich definitiv ausschließen?
Die Bundesanwaltschaft ging in diesem Prozess davon aus, dass die Gruppe um Mohammed Atta bereits in Hamburg die Tat geplant hat, dann nach Afghanistan ging und dort al Qaida von dem Vorhaben überzeugte. Mit dem Auftritt von Heinz Fromm, des Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ist diesem Konstrukt ein schwerer Schlag versetzt worden. Im Zeugenstand sagte er am 24. Oktober 2003 aus, die Anschläge seien nach allen vorliegenden Erkenntnissen in Afghanistan und nicht an der Elbe geplant worden. Die Umstände, aus denen die Bundesanwaltschaft anderes herleiten wolle, seien dagegen "nicht relevant".

Zur Entlassung Mzoudis aus der Untersuchungshaft Mitte Dezember führte schließlich ein Fax des BKA, das über die Aussage eines anonymen Zeugen berichtete, wonach am 11. September nur die Hamburger Todespiloten beteiligt waren, nicht aber deren Mitbewohner und Freunde. Nach diesem Anonymus wären also Mzoudi und der bereits verurteilte Motassadeq unschuldig, aber an der Tatbeteiligung Attas gäbe es nichts zu deuteln. Zu Prozessbeginn haben Sie auch das in Zweifel gezogen.
Diese Zweifel können wir nicht mehr aufrechterhalten. Bei Prozessbeginn hatten wir die Akten sehr kurzfristig bekommen und konnten uns so schnell keinen vollständigen Überblick verschaffen. Es gab Widersprüche, die gewagte Theorien zu stützen schienen. Doch mittlerweile konnten wir die offenen Fragen allesamt klären. An der Täterschaft Attas gibt es für mich keinen Zweifel mehr.

Der Journalist Dan Hopsicker hat in Florida eine Zeugin aufgetrieben, das Callgirl Amanda Keller, die mit dem Flugschüler Atta eine wilde Zeit verbrachte. Das war im Frühjahr 2000 - drei Monate, bevor Atta nach Angaben der US-Behörden zum ersten Mal eingereist ist. Hopsicker hat daraus die These entwickelt, dass Atta gedoubelt worden ist.
Das überzeugt mich nicht. Ich habe jedenfalls die Einreisedokumente und die Flugunterlagen Attas gesehen. Und es gibt die Aussagen von Ramzi Binalshibh - eines Hauptdrahtziehers des 11. Septembers -, wie die Gruppe die Terroranschläge vorbereitet hat.

Da gibt es aber ein Problem: Binalshibh soll in US-Gewahrsam sein, aber niemand weiß wo. Seine Aussagen hat er nicht vor Gericht gemacht, niemand kann sie nachprüfen. Alles, was Binalshibh gesagt haben soll, kommt nicht von Binalshibh selbst, sondern von den US-Behörden.
Diese Sache ist wirklich reichlich unklar. Die US-Ermittler selbst geben an, dass sie beim Verhör Binalshibhs "die Samthandschuhe ausgezogen haben". Wären seine Aussagen unter Folter zustande gekommen, dürften sie vor einem deutschen Gericht womöglich gar keine Verwendung finden. Jedenfalls nicht zum Nachteil eines Angeklagten.

Die anonyme Aussage, aufgrund derer Mzoudi vorläufig auf freien Fuß gesetzt wurde, soll auch von Binalshibh stammen. Nur welches Interesse sollten die USA haben, dank dieses geheimnisvollen "Mister X" Ihren Mandanten einem Freispruch näher zu bringen, wenn sie doch zugleich auf seine Verurteilung drängen?
Wir hatten den Eindruck, dass deutsche Stellen den USA in einem wochenlangen Prozess abgerungen haben, das entlastende Material weitergeben zu dürfen. Im Übrigen müssen Sie die Verantwortlichen in den USA fragen. Auch dort geht einiges durcheinander. Zuerst wollten die US-Ermittler unbedingt den als 20. Attentäter angeklagten Zaccarias Moussaoui verurteilt sehen. Doch das Verfahren klemmt, weil die Richterin sagte, wenn sie Binalshibh noch nicht einmal einen Fragenkatalog zuschicken könne, müsse sie alle Anklagepunkte streichen, die den 11. September betreffen.

Binalshibh, der geheimnisvolle Kronzeuge für die Haupttäterschaft von Atta Co., bleibt im Zweifelsfall immer unsichtbar. Lieber lässt man die kleinen Fische wie Mzoudi und Moussaoui frei ...
Wir haben jedenfalls keinerlei Anhaltspunkte, wie die Aussagen von Binalshibh entstanden sind.

Haben Sie als Bürger jüdischer Herkunft eigentlich kein ungutes Gefühl, einen radikalen Moslem wie Mzoudi zu verteidigen?
Er ist nicht radikal. Er ist fromm, was hierzulande so sehr aus der Mode ist, dass einige es für radikal halten. Im Haftbefehl wurde Mzoudi alles mögliche unterstellt: antijüdisch, antiisraelisch, antiamerikanisch, antiwestlich und gewaltbereit. Da wollte ich erst einmal wissen, ob er mir denn vertrauen könne und wolle. Er lächelte und sagte: Anscheinend haben Sie damit ein größeres Problem als ich. Jedenfalls konnte ich bei den vielen Gesprächen, die ich seither mit ihm hatte, nie eine antijüdische Einstellung feststellen.

Gibt es in der deutschen Justiz Vorurteile gegenüber moslemischen Tatverdächtigen?
Vorurteil ist vielleicht nicht das richtige Wort. Es ist mehr eine Befangenheit im Denken. Mit Erschrecken habe ich das schriftliche Urteil im Verfahren gegen Motassadeq gelesen. Da gibt es kein waches Beobachten, sondern nur Dafürhalten, und dann wird Vermutung auf Vermutung gehäuft - in der Summe soll das Gewissheit ergeben. Genug Gewissheit, um die Überzeugung eines Gerichts zu tragen. Das ist strukturell vergleichbar mit den Beweisführungen gegen Hexen und Ketzer. Alles, was man sich nicht erklären kann, macht die Angeklagten verdächtig. Komisch, da lässt sich einer einen Bart wachsen. Seltsam, da fängt einer an, fünf mal täglich zu beten. Natürlich wird das nicht für sich als Beweis genommen, und doch fließt es in die Indizienkette ein. Es heißt dann: Der Angeklagte begann, sich ab dem Zeitpunkt X zu radikalisieren.

Das Gespräch führte Jürgen Elsässer


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