Geld ist ein verdammt emotionaler Stoff

Günter Gaus im Gespräch mit Hilmar Kopper Über Banking in Zeiten der großen Sprünge - Loyalitäten und Bauchgefühle

Hilmar Kopper hat 50 Jahre im Dienst der Deutschen Bank gestanden, der größten im Lande, eines der großen Häuser weltweit. Nach dem Attentat auf Alfred Herrhausen wurde er 1989 zum neuen Vorstandssprecher berufen. Fortan hieß es, das Haus werde von einem "Bankpraktiker" geführt. Tatsächlich leitete Kopper einen Umbruch hin zu einer "Allfinanzkompetenz" ein und profilierte die Bank zu einem global agierenden Finanzdienstleister. Für einiges Aufsehen sorgte der Banker 1994, als er Verluste von 50 Millionen Mark, die wegen der Immobilienspekulationen des Unternehmers Schneider entstanden waren, als "Peanuts" bezeichnete. 1997 gab Kopper den Vorstandsvorsitz an Rolf Breuer ab.

GÜNTER GAUS: Was macht einen guten Banker aus?
HILMAR KOPPER: Ich glaube, ein guter Banker muss zuhören und sich ein Urteil bilden können, möglichst selbstständig. Nicht zuviel Aktenlage, er braucht ein Bauchgefühl. Und er braucht ein Fingerspitzengefühl für Risiken.

Ist Ihrem Berufsstand in den letzten zehn bis zwanzig Jahren, das Risikogefühl in den Fingerspitzen manchmal ein bisschen verloren gegangen?
Ja, vor allen Dingen dann, wenn man versucht hat, dieses Fingerspitzengefühl durch Denkvorgänge auszuschalten. Manchmal ist es so, je länger man nachdenkt, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Entscheidung suboptimal ist. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, mein erstes Gefühl war das richtige.

Das Bauchgefühl?
Das Bauchgefühl.

Sie haben einmal vor Visionen gewarnt, denn daraus könnten leicht Illusionen werden. Ist die viel beschworene Globalisierung möglicherweise eine Vision, die eine Illusion sein wird, weil sie, wenn es hart auf hart kommt, in Wahrheit nur von den USA geleistet werden kann?
Die Globalisierung ist natürlich nicht für jeden das Gleiche. Man muss sie ein wenig segmentieren. Ich stelle immer mit großer Bewunderung fest, dass die Globalisierung von ihren größten Kritikern wahrscheinlich am stärksten genutzt wird. Das passiert im Internet. Der Zugang zu Informationen war nie globaler als heute. Jeder bejaht das, jeder nutzt das, aber zugleich wird die Globalisierung geächtet. Ich bin kein glühender Verfechter jedes ihrer Aspekte, ich behaupte nur, diese Welt könnte sich nicht mehr so drehen, wie sie es tut, ohne Globalisierung. Und ich füge eines hinzu, ohne Globalisierung der Informationsmöglichkeiten hätten wir auch die Mauer nicht fallen sehen.

Erklären Sie das bitte.
Ich glaube, dass diese Vernetzung, die wir alle erleben und die ja in den vergangenen Jahren noch gewaltig zugenommen hat - Ende 2003 wird die Hälfte aller aktiven Deutschen einen Zugang zum Internet haben ... ... und viele Deutsche werden arbeitslos sein.
Ja, das ist aber nicht nur eine Folge der Globalisierung - das Ausklinken aus der Globalisierung könnte dazu führen.

Wenn man sagt, dass die Macht heute mehr in den Vorständen der Industrie und der Banken zu Hause ist als in Parlamenten und an Kabinettstischen, ist das ganz falsch?
Ich möchte es persönlich für mich nicht übernehmen, ich habe Macht nie als etwas Beglückendes empfunden. Ich habe sie immer im Sinne eine gewissen Bürde wahrgenommen, die man abarbeiten muss - das war die Herausforderung der Verantwortung.

Sie haben Macht aber nicht gescheut.
Nein, das war die Motivation. Wenn man eine Macht verliehen bekommt und will sie eigentlich gar nicht haben, dann kann man nicht reüssieren. Man muss Verantwortung wollen - es ist die Verantwortung, die einen reguliert bei der Ausübung dieser Macht.

So dargestellt, ist das auch ein sehr kleidsamer Zug, ein bisschen selbstschmeichlerisch.
Das tut man wohl auch, um sich selbst ein wenig zu schützen. Das gebe ich gern zu, aber ich habe ja auch gesagt, ich wollte mehr Verantwortung, und habe das nicht in das Wort Macht gekleidet. Man fasst das manchmal ein bisschen falsch zusammen, bei der Verantwortung ist auch immer eine ganz gehörige Portion Demut mit dabei. Wenn man das nicht beherzigt, dann scheitert man mit der Macht. Das sehe ich sehr häufig auch in der Wirtschaft: Man glaubt, man könnte alles und über vieles hinweg.

Haben Sie gelegentlich Zweifel gehegt an der Ethik und Moral des kapitalistischen Konkurrenzsystems, das im Grunde ein Ausleseprinzip zugunsten des Stärkeren ist, der am Ende die Schwachen beiseite drängt?
Ich würde es anders zusammenfassen, ich nenne es das marktwirtschaftliche System.

Aber es läuft auf Dasselbe hinaus.
Ja, aber ein Markt ist etwas völlig Vernünftiges - ein Markt hat einen Auslesecharakter. Letztlich reüssiert derjenige, der die zufriedensten Kunden hat. Nur der hat nachhaltige Erfolge, alles andere sind Pyrrhussiege zwischendurch.

Was ist für Sie die stärkste Veränderung, die sich während eines halben Jahrhunderts im Dienst der Deutschen Bank, im Bankwesen ganz allgemein, vollzogen hat?
Die Verlagerung vom sogenannten klassischen Banking - Hereinnahme von Einlagen und Ausleihen von Krediten - hin zu einem viel größeren Fächer von finanzwirtschaftlichen Dienstleistungen.

Sprache ist etwas sehr Verräterisches. Heute ist ein gängiger Ausdruck "Global Player", übersetzt: weltweiter Spieler. Ist nicht Spieler zu sein, genau das Gegenteil von dem, was herkömmlich ein Banker war und was er nicht sein sollte und durfte? Alles durfte er sein, aber kein Player.
Völlig Ihrer Meinung. Deswegen habe ich diese Wort Global Player nicht benutzt, habe es immer gemieden wie die Pest. Es ergibt einen falschen Eindruck, es ist auch verräterisch - eine falsche Applizierung eines angelsächsischen Terminus.

Aber das ist jetzt nur die Scheu vor dem verräterischen Ausdruck, die Frage geht darüber hinaus. Ist das Bankwesen mehr zu einem Spielunternehmen geworden durch eine Entwicklung, die vielleicht unausweichlich ist?
Eine gut geführte Bank, nein. Da bin ich sehr nachhaltig, das darf sie nicht sein, das wäre eine ganz große Gefahr.

Sind die Gehälter und Abfindungen in der Branche im Grunde obszön von der Höhe her? Nicht alle, aber die, die es seht oft gibt?
Ich unterscheide hier - die Gehälter, ich glaube nein.

Es gab eine Faustregel, ich glaube von einem amerikanischen Banker Morgan, der gesagt hat, ich darf nicht mehr als das Zwanzigfache meiner Angestellten verdienen. Das ist nicht mehr so.
Also, ich sage Ihnen, in der Deutschen Bank wie in allen internationalen Banken verdienen heute mindestens 25 bis 30 der Mitarbeiter mehr als jedes Vorstandsmitglied, einschließlich des Sprechers.

Wegen der Beteiligung an der Kursentwicklung?
Zum Beispiel. Weil sie viel leisten und einen riesigen Anteil am Erfolg der Bank haben.

Wie groß ist die Gefahr, dass sie aus diesem Eigeninteresse Empfehlungen auch an Kunden geben, bei denen das Eigeninteresse des Empfehlenden stärker ist als das Interesse dessen, dem die Empfehlung gegeben wird?
Das muss man kontrollieren. Deswegen gibt es ähnlich hoch bezahlte Leute, die nur die Aufgabe haben, das zu kontrollieren, dafür gilt das neue Wort des Risk-Managements, alles andere wäre mordsgefährlich. Ich bin mit Ihnen einer Meinung, da liegt eine latente Gefahr. Es wird künftig darauf ankommen, sie im Griff zu behalten. Ich füge eine Anekdote hinzu, die das Wort Loyalität und dessen moderne Interpretation beschreibt. Bei mir in Frankfurt saß einmal ein Angelsachse, einer unserer führenden Investmentbanker. Und ich machte ihm leichte Vorhaltungen im Sinne einer zu erwartenden Loyalität. Da guckte er mich an und sagte, Herr Kopper, wenn Sie Loyalität wollen, dann kaufen Sie sich doch einen Hund.

Wie haben Sie das empfunden, als er das gesagt hat? Abstoßend?
Ich war erschrocken, habe das aber gleichzeitig als Botschaft aufgenommen und mir sofort überlegt, was bei einer solchen Denkweise zu tun ist. Das ist ja ein Signal, das Sie empfangen ...

Warum ist der Ruf Ihres Berufsstandes so schlecht?
Naja, wir stehen Gott sei dank nicht ganz am Ende, aber wir gehen mit einer Ware um, die außerordentlich kompliziert ist. Es gibt sonst keine Ware auf der Welt, die man haben kann, die man aber auch schulden kann. Sie können zwei Autos und drei Kühlschränke haben, aber sie können nicht drei Kühlschränke minus haben. Wenn das kippt, über diese Nulllinie rutscht, das löst Spannungen aus. Und Geld ist ein verdammt emotionaler Stoff. Der ist nicht so rational, wie die meisten glauben.

Sind die Bankgeschäfte irrationaler geworden? Sind Sie größenwahnsinnig geworden unter dem Deckmantel der Globalisierung?
Nein, die sind viel komplexer geworden. Das Problem dessen, was eine moderne Bank heute macht, besteht darin, dass sie es nicht mehr erklären kann. Das ist etwas für Spezialisten geworden, und das macht die Verdeutlichung so schwierig.

Was sagen Sie heute zu Ihrer legendären Peanuts-Äußerung, mit der Sie 1994 die 50 Millionen Mark bezeichnet haben, die von der Deutschen Bank dank der Spekulationen des Baulöwen Schneider verloren wurden.
Also, es waren die 50 Millionen, die wir freiwillig den Handwerkern zahlten, damit es nicht mehr Arbeitslose gab. Und ich habe sie im Verhältnis zu dem Gesamtverlust in Sachen Schneider als Peanuts bezeichnet. Ein tragischer Fehler, ich hatte die sprachliche Intelligenz der Journalisten überschätzt - da guckt ja auch keiner im Webster nach, wo das drin steht. Jeder sagt, haha, jetzt hat er über Erdnüsse geredet.

Ich weiß, Sie wollten sagen, ich spreche hier über Kleinigkeiten.
Das, was Peanuts bedeutet im Angelsächsischen, ein relativ kleiner Geldbetrag.

So ist es. Der Punkt ist nur, für die Handwerker, die notleidend geworden waren durch die Spekulationsgeschäfte von Schneider, konnte das doch taktlos und verächtlich klingen.
Das war es gar nicht. Von denen habe ich rührende Dankesbriefe, ganze Ordner sind davon voll. Sie sagen, ihr habt uns gerettet, indem ihr das bezahlt habt, was wir geleistet haben. Nein, es wurde dann so ein bisschen moralisch dargestellt, wie kann jemand, der bei Sinnen ist, einen Betrag von 50 Millionen als Erdnüsse bezeichnen. Dieser Fehler tut mir leid.

Das tut Ihnen in Wahrheit gar nicht leid.
Nicht ganz.

Wenn Sie die Vereinigungspolitik und die Vereinigungswirtschaft seit 1990 betrachten, welches waren nach Ihrer Meinung die wichtigsten wirtschaftlichen Fehler?
Vielleicht zuviel gewollt, zu schnell und in dieser Eile zuviel gleichgemacht, was nicht gleich war. Es sollte zusammenwachsen, aber es sollte nicht alles gleichgemacht werden. Dann ein Fehler, die wir alle gemeinsam gemacht haben, eine völlig Überschätzung des tatsächlich vorhandenen ökonomischen Potenzials der damaligen DDR.

Würden Sie jungen Leuten in den fünf neuen Ländern heute raten, zu bleiben und auszuharren - oder würden Sie sagen, besser ihr geht?
Ich würde jungen Leuten im Osten sagen, in Verantwortung vor ihrem Leben, ihr könnte hier nicht noch einmal fünf Jahr auf der Straße hängen, geht! Geht heute, sucht euch etwas, wo ihr arbeiten könnt.

Verlagert sich damit nicht das ostdeutsche Problem nach Westdeutschland?
Nicht notwendigerweise. Dies wird dann auf dem Arbeitsmarkt, wenn er halbwegs funktioniert, geregelt.

Wenn er halbwegs funktioniert.
Wenn er ein Markt ist, leider ist er das nicht in hinreichendem Maße, aber wir benutzen das Wort nun einmal so. Bitte nicht in zwölf Monaten, das braucht ein bisschen mehr. Ich habe diese Antwort, die mir wirklich schwer fällt, auch nur deswegen so gegeben, weil wir gerade bei jungen Leuten darauf achten müssen, dass sie nun nicht den Knacks fürs Leben bekommen. Sie brauchen eine Zukunft und fünf Jahre darauf zu warten und dabei die Arme nur in verschränkter Haltung tragen zu müssen, ist nicht, was wir ihnen zumuten sollten.

Findet derzeit aus Marktbereinigungsgründen eine Entsolidarisierung in der Gesellschaft statt?
Das glaube ich nicht. Wenn sie eingefordert wird, das haben wir bei der Flutkatastrophe gesehen, ist sie in reichlichem Maße da. Was überfordert wird, ist die Zwangssolidarisierung. Gebt doch dem Individuum wieder etwas Raum, damit es seine private Solidarisierung zeigen kann.

Kann jeder seines Glückes Schmied sein?
Nein, es gibt einen vernünftigen Level, bis zu dem für ihn mitgeschmiedet werden muss. Nur, wir haben diese Stufe überzogen. Heute sagt jeder in Deutschland, tut mir leid, ich hab schon gegeben.

Was ist die wichtigste Einsicht seit Sie ein älterer Mensch sind, demnächst 70?
Eine Einsicht, die mir etwas weh getan hat. Aber so ist das mit zunehmendem Alter, wenn man glaubt, man hätte etwas mehr Durchblick. Ich habe also doch über große Strecken meines Lebens gedacht, und es auch gehofft, dass in diesem menschlichen Zusammenleben die Liebe das Entscheidende ist. Das ist auch das, was die Religion uns sagt. Aber ich bin heute soweit, dass ich etwas frustriert sage: Es ist wohl doch das Geld.

Gekürzte Fassung eines Interviews, das am 12. Februar vom ORB in der Reihe Zur Person ausgestrahlt wurde.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden