Genehmigungsfreier Osten

Am Subventionstropf Der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) zu Experimenten, Leuchttürmen und besonderen Zonen

FREITAG: Die Entwicklung Ostdeutschlands stagniert seit Jahren. Warum wird das Problem plötzlich akut? Drückt die Osterweiterung der EU?
Harald Wolf: Die aktuelle Diskussion wurde durch die Bestandsaufnahme einer Kommission unter Klaus von Dohnanyi ausgelöst. Danach bleibt der Osten strukturschwache Region mit Dauersubventionsbedarf. Das ist nicht neu. Für die PDS haben Lothar Bisky, Helmut Holter und ich schon vor einem Jahr unter dem Motto "Innovation statt Billiglohn" eine Modellregion Ost gefordert. Wolfgang Thierse hat davor gewarnt, dass der Osten auf der Kippe steht, Altbundeskanzler Helmut Schmidt forderte Sonderwirtschaftszonen...

Sie haben Experimentierklauseln angeregt. Ist nicht schon zu viel experimentiert worden?
Es geht nicht um wildes Herumprobieren, sondern um das Ausloten von Chancen, auch und gerade vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung. Für die ostdeutschen Grenzregionen kann es zum Beispiel sinnvoll sein, die Freizügigkeit für Arbeitnehmer schneller zu gewähren als bisher geplant. Das fordern auch die Bürgermeister und Landräte in der Oderregion. Mit Experimentierklauseln könnten bürokratische Regulierungen bei Genehmigungsverfahren wegfallen oder es könnte einfacher werden, wenn Vorhaben nur noch angezeigt, statt genehmigt werden müssen. Der Osten braucht dringend Standortvorteile. Schnellere und einfachere Genehmigungsverfahren gehören dazu.

Worin unterscheiden sich ihre angedachten Investitionen in Zukunftsbranchen von Minister Stolpes Leuchttürmen?
Das muss kein Widerspruch sein. Wir sollten aber fragen, welche Leuchttürme gemeint sind. Ich verstehe darunter weder Lausitzring noch Cargo-Lifter. Die ostdeutschen Regionen brauchen verstärkte Investitionen in die sogenannte "Wissensgesellschaft". Das heißt, wir müssen künftige Wachstumsmärkte und -felder entwickeln, die direkt mit dem Transfer von Wissenschafts- und Forschungserkenntnissen in die Wirtschaft zusammenhängen. Das wären zum Beispiel die Biotechnologie, die optischen Technologien, die Nutzung und Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien, Verkehrs- oder Umwelttechnologien. Auf diese Gebiete muss das Förderinstrumentarium zielgenau ausgerichtet werden.

Von Dohnanyi, der Ministerpräsident von Sachsen, aber auch der ehemalige Manager der Staatsbank der DDR und jetzige Deutsche Bank-Mann Edgar Most, plädieren für besondere Wirtschaftszonen. In China erfolgreich. Warum wird dieser Vorschlag von der PDS vor allem mit Lohnkürzungen gleichgesetzt?
Da muss man genau hinsehen. Was soll das Besondere an diesen Wirtschaftzonen sein? Wenn es, wie Sachsen betont, eine Billiglohnzone wird, in der die Arbeitszeit bei gleichem Lohn ausgedehnt, der Arbeitsmarkt weiter dereguliert wird, dann ist das nicht die richtige Perspektive. Die Zukunft Ostdeutschlands liegt nicht in der Lohndumping-Konkurrenz mit Schwellenländern. Die Löhne sind in Ostdeutschland im Durchschnitt geringer, die Arbeitszeiten länger, die Flexibilität der Arbeitskräfte größer, der Flächentarifvertrag weitgehend ausgehöhlt - und dennoch bleibt die Arbeitslosigkeit bedrückend hoch. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Billiglöhne und Sozialabbau nicht zum Ziel führen.

Edgar Most hat vorgeschlagen, mittelständische Betriebe sollten ihre Finanzkraft zusammentun und durch Halbierung der Steuersätze gefördert werden. Ist dafür von der Politik Unterstützung zu erwarten?
Ich kann mir gut vorstellen, dass in einer Modellregion Ost ein solches Paket zur Stärkung der Eigenkapitalbasis führt. Es wäre sinnvoll, wenn es diese Möglichkeiten gäbe, wie zum Beispiel in den Anfangsjahren der Bundesrepublik. Wenn kleine und mittelständische Unternehmen ihre Überschüsse thesaurieren dürften, statt sie als Körperschaftssteuer abführen zu müssen, dann würde das ihr Eigenkapital direkt stärken. Modellregionen müssen Vergünstigungen, bessere Regelungen für Freizügigkeit bieten - möglicherweise auch Steuervergünstigungen. Die eigentliche Konkurrenz aber muss um Innovation und Produktivität gehen. Die Zukunft des Ostens liegt nicht in einer Sonderwirtschaftszone nach chinesischem Vorbild.

Ihre westdeutschen Kollegen werden auf mühsam erlangte Vorteile nicht verzichten. Solche Konzepte müssten aber von allen deutschen Ländern getragen werden. Gibt es Signale, die auf Verständigung hoffen lassen?
Wenn der Osten dauerhaft am Subventionstropf des Westens hängt, wird das den gesamten Standort Deutschland in seiner Konkurrenz- und Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Es wird im Westen noch nicht klar genug gesehen, dass es in seinem eigenen Interesse liegt, den Osten so schnell wie möglich wirtschaftlich auf eigene Beine zu stellen. Ein Beispiel: Die sozialen Sicherungssysteme müssen über Lohnnebenkosten finanziert werden. Hier schlagen die besonders hohen Kosten in Ostdeutschland zu Buche. Oder nehmen sie Steuern: Man kann darüber streiten, ob die Steuerlast wirklich die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beeinträchtigt. Unstreitig werden aber aus Steuermitteln erhebliche Transferleistungen nach Ostdeutschland finanziert. Es wäre also im wohlverstandenem Eigeninteresse der Wirtschaft und der westdeutschen Länder, dass der Osten aus dieser Abhängigkeit herauskommt. Für ein solches Verständnis zu werben, wäre Aufgabe der Bundesregierung.

Es gibt Untersuchungen, die genau umgekehrt argumentieren. Der Westen profitiere vom deindustrialisierten Osten, weil der einen kalkulierbaren Absatzmarkt darstelle, die Wertschöpfung aber im Westen stattfinde, dort die Arbeitsplätze sichere und die Gewinne dahin zurückfließen...
Diese Untersuchungen sagen aber nicht, dass dies für den Standort Deutschland insgesamt eine günstige Situation sei. Auf Dauer führt eine so hohe Subventionierung zu unproduktiven Aktivitäten.

Gibt es wenigstens zwischen den zuständigen Ministern der ostdeutschen Länder eine abgestimmte Strategie?
Wir treffen uns regelmäßig und verständigen uns intensiv über gemeinsame Strategien. In der Analyse der Probleme sind wir uns einig. Ost-Wirtschaftsminister kommen aus fast allen Parteien - da gibt es nicht zu allen Themen identische Vorschläge. Wir sollten aber jetzt überlegen, ob wir uns in der aktuellen Debatte mit einem gemeinsamen Vorschlag zu Wort melden können. Wir müssen den politischen Druck, der jetzt entstanden ist, aufrecht erhalten.

Das Interview führte: Regina General


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