Gepriesen seien die Effizienzeinsparungen

Die Buchmacher Ist ein Flugtaxi besser für die Umwelt? Steffen Lange und Tilman Santarius zweifeln an den Heilsversprechen der „smarten, grünen Welt“
Ausgabe 13/2018
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert!
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert!

Foto: Chris McGrath/Getty Images

Es gibt Fakten, die sich nicht gut verdrängen lassen. Dass Langstreckenflüge klimaschädlich sind, zum Beispiel. In anderen Bereichen hingegen ist es leichter, die Folgen unseres Verhaltens für das Klima zu übersehen. Kaum jemand denkt, wenn er eine neue Netflix-Serie ansieht, an die riesigen Datenzentren und die Energie, die für die Kühlung der Server draufgeht, auf denen die Streaming-Dateien liegen. Das ist fatal, denn dadurch unterschätzen wir den drastischen Ressourcenverbrauch der boomenden Informations- und Kommunikationstechnologie. Wer das neue Buch von Steffen Lange und Tilman Santarius liest, wird dies in Zukunft nicht mehr tun.

In Smarte grüne Welt? hinterfragen die beiden Autoren den Glauben an die Digitalisierung als Allheilmittel: Machen die gepriesenen Effizienzeinsparungen smarte Geräte wirklich nachhaltig? Ist eine Welt, in der anstrengende körperliche Arbeit von Robotern übernommen wird, wirklich gerecht? Das Fazit: Es ist kompliziert! Zwar wird durch Online-Streaming die materielle Basis von DVDs eingespart, genauso der CO₂-Ausstoß, der beim Transport von der Videothek nach Hause entstünde. Gleichzeitig werden heute so viele Filme geguckt wie nie zuvor. Der sogenannte Rebound-Effekt ist überall zu beobachten: Geräte und Kommunikation werden immer effizienter, dafür steigt die Zahl der stromintensiven Rechenzentren, da wir viel größere Datenmengen hin und her schicken. Am Ende schaden wir dem Klima mehr, als wir es schonen. Und auf jeden Fall mehr, als uns bewusst ist.

Ein Gesamturteil über „die Digitalisierung“ fällen die Autoren nicht, das wäre nach der differenzierten Analyse einzelner Technologien und Anwendungen auch verkürzt. Doch ihre Sicht der Gegenwart ist kritisch, mit pessimistischer Tendenz: „Es scheint, als habe sich das Internet von der anfänglichen Idee des Informationsaustauschs zu einer riesigen Verkaufsmaschine entwickelt.“ Und auch in Hinblick auf die Zukunft warnen sie: „Unter den bestehenden ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen dürften sich viele gesellschaftliche Probleme durch die Digitalisierung eher noch verschärfen.“

Die Autoren schlagen dagegen eine „sanfte Digitalisierung“ vor, die darin bestünde, dass die Digitalisierung sich an gesellschaftliche Vorstellungen anpassen sollte, nicht umgekehrt. Richtungsweisend sollten die drei Prinzipien konsequenter Datenschutz, Gemeinwohlorientierung und digitale Suffizienz sein. Suffizienz meint in diesem Zusammenhang: so viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich. Konkrete Schritte für Politik, Zivilgesellschaft und Konsumenten, die aus diesem Ansatz folgen, werden auf den letzten 25 Seiten des Buches angerissen.

Santarius und Lange sind bereits seit einigen Jahren wichtige Stimmen in der Debatte um eine sozial-ökologische Transformation. Ihr Buch ist die erste umfassende Analyse der Digitalisierung aus dem Blickwinkel der Ökologie. Es verwundert daher nicht, dass es eine skeptische Grundhaltung gegenüber der Digitalisierung als Allheilmittel einnimmt. Doch wird sie hier nicht in toto verworfen, sondern es werden Chancen und Gefahren für Umwelt und Gerechtigkeit differenziert abgewogen. Das führt zu Komplexität statt zu einfachen Handlungsanweisungen. Dafür werden Buzzwords wie „künstliche Intelligenz“ oder „Flugtaxi“ in eigenen Kästen erklärt. Nicht nur deshalb ist es ein Buch, das der neuen Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär (CSU), zur Lektüre empfohlen sei.

Info

Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit T. Santarius, S. Lange Oekom 2018, 268 S., 15 €

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