Gnade

Linksbündig Der Buchhandel traut den Büchern nicht

Wie belebt man einen toten Markt? Mit einem toten Fisch. Wat butt, dat butt, wird sich der Börsenverein gedacht haben, als er über den schlechten Verkaufszahlen seiner Branche seit dem 11.September brütete (keiner kauft mehr Reiseführer!) und auf Abhilfe sann. Wenn schon das Buch selbst nicht mehr zieht, muss wenigstens das Fernsehen her.
Was vergangenen Donnerstag auf der Leipziger Buchmesse bei der der kalifornischen Oscar-Gala abgeschauten Monstrosität namens "Deutscher Bücherpreis German Book Awards" herauskam, war die flachste Flunder seit Erfindung des Kulturmarketing. Da half auch die eigens gestiftete Preis-Skulptur in Form eines Butt von Günter Grass nicht. Hätte man eigentlich wissen können bei Buchhändlers, dass der ja bekanntlich schon als Roman eine Totgeburt war. Am Ende des Getöses aus Neon, Wunderkerzen und Flutlicht murmelten alle nur noch still und mit gesenktem Kopf, um was Cheerleader Frank Elstner schon zu Beginn vor der versammelten Intellektuellenschar im Saal gewinselt hatte: Gnade! Selten konnte man eine Branche sehen, die so wenig Zutrauen zum eigenen Produkt hatte, wie bei dieser Geschmacklosigkeit mit Trockennebel, die vor dem fassungslosen Literaturbetrieb abrollte. Denn der Patient, um dessen Butt-zu-Butt-Beatmung sich da die ausrangiertesten Stars der deutschen Schlagerbranche schmerzensreich mühten, blieb auf der Strecke. Eine Selbstentleibung dritter Klasse.
"Ich danke meinen Lesern" rief jeder der unter ominösen Umständen Ausgezeichnete gerührt in die Kamera. Nicht nur, dass da die Illusion einer innigen Geschwisterschaft von Leser und Markt erzeugt wurde. Geh weg, du nörgliger Literaturkritiker! Stör unsere Affäre nicht! Das Buch, so das Signal dieser Rührseligkeit, zählt nur als Bestseller und Marktkleber. Nicht aber als das geistige Erzeugnis, das es nach Ansicht von Christa Wolf eben auch ist. Da lobte man sich die vor Argumenten und intellektuellem Esprit sprühende Zeremonie zur Verleihung des gewiss wichtigeren Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung. Sie hat der Börsenverein mit seiner grausigen Gala ohne Not an den Rand gedrängt.
Nicht dass etwas gegen den Markt an sich einzuwenden wäre. Erst durch den kommt die Kunst in Kontakt mit ihren Adressaten. Und selbst die klitzekleinen Samisdat-Editionen, die der tschechische Übersetzer Ludvík Kundera Ende der sechziger Jahre herausbrachte und für die er in diesem Jahr neben Bora Cosic´ den Preis für Europäische Verständigung bekam, schielen auf den anderen Markt, der vierzig Jahre nicht vorhanden war. Dass man aber keine zweitklassigen Ausdruckstänzer in Samtkutten braucht, um das Buch zu promoten, bewies nicht nur jede einzelne Lesung des Programms Leipzig liest. Sondern einmal mehr die erstklassige Sigrid Löffler. Ob Susan Sontags neuer Roman In America wirklich "mit großem Kunstverstand" gearbeitet ist, wie die Literaturen-Chefin ungewohnt liebedienerisch behauptete, lassen wir einmal dahingestellt. Aber gut 500 Menschen kamen in die schlecht belüftete und auch sonst ganz unglamourös dahindämmernde Stadtbibliothek in Leipzig, um sich die Lesung der amerikanischen Kunstkritikerin an zu hören. Die komplizierten zweisprachigen Exegesen und Erläuterungen der wie immer leider nur zweitklassig frisierten Löffler schreckte die überwiegend jungen Leute nicht. Schweigend harrten sie mehr als zwei Stunden auf dem Boden aus. Natürlich auch wegen des Celebrity-Effekts. Aber immerhin hörten sie sich auch die Kritik Sontags an, dass der Markt die Kunden zu sehr mit Autorengeschichten imprägniere. Sie bevorzuge es, nicht so viel von sich selbst zu sprechen. Aber sagen Sie das mal jungen PopliteratInnen!
Überhaupt. Die Jugend. Hatte man vor ein paar Jahren noch gelacht über die Strategie der Messeleitung, mit einem Sächsischen Schulwandertag den potemkinschen Glaskulissen im Norden des Messestadt den Anschein von Belebtheit zu verleihen, kristallisieren sich die Horden von Kids in abgewetzten Hosen, zertretenen Turnschuhen und verschwiemelten Rucksäcken zum eigentlichen Zukunftspotential. In Leipzigs neuem Messegelände wird das Buch zwar in einen Marktstall mit wenig Verbindung zum wirklichen Leben gesperrt. Währenddessen steht das alte Messehaus am Markt, das dem Buch den sozialen Standort verschafft hätte, der bei jeder Preisverleihung beschworen wird, immer noch leer. Trotzdem finden die Kriechströme der jungen Lesehungrigen den Weg zu dem exterritorialen Gelände. Märkte von unten. Sehr lebendig.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden