Gnadenloses Selbstbewusstsein

Die neue Männlichkeit in FDP und FPÖ Messianisches Pathos und Spaßkultur einen Möllemann und Haider

Jürgen W. Möllemann schreibt im Neuen Deutschland Ende Mai: "Die Historiker werden später schreiben: Zu Beginn des dritten Jahrtausends prägte eine Welle des erwachenden Selbstbewusstseins der Menschen die Völker und Staaten Europas. Ein mündiges Volk von Demokraten nach dem anderen zwang die politische Klasse, sich an Haupt und Gliedern zu erneuern. Ein Volk nach dem anderen wählte jede Regierung gnadenlos ab, die Versprechen nicht einlöste und Erwartungen nicht erfüllte."
Möllemann betreibt hier nicht nur eine pathetische Selbstheroisierung und Vereinfachung der komplizierten ökonomischen, ökologischen und politischen Aufgaben in unserer globalen Zukunft - so als ginge es lediglich um die verdiente Abreibung für Leute, die ihre Versprechen nicht halten. Die Äußerung beschwört auch ein aggressives ("gnadenloses") Selbstbewusstsein, welches tendenziell gewalttätig ist. Das messianische Pathos (oft überdeckt von Witzelei und "Spaß-Politik") gibt es auch in der Haider-Partei.
Andreas Mölzer, Haiders treuester ideologischer Berater und von der FPÖ lancierter "Starjournalist", hat vor etwa zehn Jahren neben einer Jubelbiographie über Haider auch einen Zukunftsroman (Der Graue) verfasst, in dem der Held in einem bizarren Nachkriegseuropa, bevölkert von entarteten Monstern und autoritären Gewerkschaftsfunktionären (IG Metall), in einer historischen Mission zur "Neugestaltung Europas" unterwegs ist. Er tut dies unter anderem, indem er der dominanten und sexuell emanzipierten Frau in Gestalt einer "bronzehäutigen Diva" (sehr ähnlich Tina Turner) per detailliert beschriebener Vergewaltigung den endgültigen Rache- und Vernichtungsstoß versetzt.
Die Neuordnung Europas, die manchen Rechtspopulisten vorschwebt, ist ein Neo-Macho-Projekt, das in der Welt des "verunsicherten Mannes" großen Anklang findet. Möllemanns Blondinenwitze sind wohl mehr als ein Zufallsprodukt. Dass auch Frauen an dieser neumännlichen Wehrhaftigkeit als Beifallsspenderinnen, Platzhalterinnen und Wählerinnen Gefallen finden, macht die Sache nicht besser. Die neue Männlichkeit wird besonders gern durch Bungeejumping, Fallschirmspringen und schneidige Sprüche bis hin zur offenen Bewunderung des deutschen Soldaten unter Beweis gestellt. Zu den letzteren gehören im Falle der FPÖ auch die Mitglieder der Waffen-SS. Die FPÖ unterliegt ziemlich offenkundig noch dem Rehabilitationsauftrag der von Haider so genannten "Kriegsgeneration", deren schuldhafte Verstrickung in den Nationalsozialismus bei allen sich bietenden Gelegenheiten durch eine Art von familialem Schulterklopfen bagatellisiert wird. Das ist in Österreich seit Jahrzehnten Teil der offiziellen politischen Kultur. Veteranen oder FPÖ-Politiker, die mit dem SS-Spruch "Unsere Ehre heißt Treue" auf einer Fahne herumspazieren oder Menschen begrüßen, bekommen bei uns "mildernde Umstände", ein sanftes Kopfschütteln, auf keinen Fall ein Gerichtsverfahren. Wird Österreich bald ein Eldorado für die "neuen Unbefangenen" aus ganz Europa?
Der schneidige Neo-Macho, dem bei genauerem Hinsehen noch die Eierschalen des deutschen Soldaten anhaften, ist nur ein Teil der aktuellen Rechtspopulismus-Show. Originell und ganz anders als bei den zugeknöpften alten Nazis wirken die Heiterkeit und der tabubrechende Unterhaltungswert der Inszenierungen. Man ist offensichtlich auch angetreten, um im Verein mit allen Medienblödlern der westlichen Spaßkultur die Bewohner der europäischen Gesellschaften von ihren wohlbegründeten Zukunftsängsten und depressiven Anwandlungen zu befreien. Die Befreiung von den inneren Spannungen erfolgt auf dem Ablenkungswege und zunehmend auch über die Schadenfreude. Über vorgezeichnete Gegner darf in einer Weise gelacht werden, die noch vor ein paar Jahren undenkbar war. Die mir bekannten Möllemann-Witze sind allerdings verglichen mit denen eines Jörg Haider (afrikanische Ärzte als "Buschneger", rassistische Namensverhöhnungen im Falle des Präsidenten der jüdischen Kultusgemeinde und des Verfassungsgerichthof-Präsidenten) noch verhältnismäßig harmlos.
Das neue Witzemachen ist auch offenbar Teil jener "Welle des erwachenden Selbstbewusstseins", von der Möllemann schwärmt. Wer über Witze lacht, fühlt sich bekanntlich stark und erlebt einen kleinen Höhenflug. Freud hatte diesen Höhenflug mit dem entfallenden "Hemmungsaufwand" im Ich erklärt, welches unter dem Druck des Gewissens normalerweise ziemlich viel Energie aufwenden muss, um den Impulsen "von unten", unser aller Freude an bestimmten Gemeinheiten und am Sexismus, nicht nachzugeben. Durch die Überraschungstechnik des Witzes wird das Gewissen ausgetrickst. Die freigesetzte Energie überflutet uns, die anderen lachen mit, man fühlt sich stark und "super" - im Falle des "tendenziösen Witzes" (Freud) freilich auf Kosten Anderer. Es ist kein Zufall, dass im Falle des neuen Rechtspopulismus die Kritiker mit dem Argument entwertet werden, sie hätten "eben keinen Humor" und seien Langeweiler, was in der Spaßgesellschaft eine der größten Sünden ist.
Der schneidige Neo-Macho und der von den hinderlichen Scham- und Schuldgefühlen des "Gutmenschen" befreite Spaßmacher sind beide Teil eines Gewinnermodells, dessen große Attraktivität nur vor dem Hintergrund des Neoliberalismus und gesteigerten Sozialdarwinismus zu verstehen ist. Die Welt teilt sich auf in "Winner" und "Loser". Man darf die "Loser" jetzt auch noch schubsen. Wer sich an den fallschirmspringenden Neo-Machos mit Stehaufmännchen-Dynamik und an den triumphierenden Spaßmachern mit den treffsicheren Ellenbogen orientiert, sich mit ihnen identifiziert, der vermag seine eigenen Absturzängste zu bannen und fühlt sich - zumindest vorübergehend - auf der Seite der Gewinner. Das Abwerfen der altmodischen Scham und Schuldgefühle kann man gewissermaßen exemplarisch am Thema Juden und Holocaust einüben. Mancher mag glauben, nun mit Tempo und ohne größeren Ballast die Kurve in die neue Siegerstraße nehmen zu können.

Klaus Ottomeyer ist Professor für Sozialpsychologie in Klagenfurt und Psychotherapeut. Sein Buch Die Haider Show erschien 2000 im Klagenfurter DRAVA-Verlag. Kürzlich erschien im selben Verlag Überleben am Abgrund. Psychotrauma und Menschenrechte, hg. von Klaus Ottomeyer und Karl Peltzer.


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