So warb der Illustrator Peter Laux 1987 für den 23. Grimme-Preis
Illustration: Peter Laux
„Eine funktionierende Demokratie braucht freie und gewissenhaft arbeitende Medien. Das Grimme-Institut sorgt seit 50 Jahren für Orientierung in einer sich schnell ändernden Medienwelt“ lobhudelte NRW-Landtagspräsident André Kuper (CDU) noch im November 2023 beim Festakt zum 50. Institutsjubiläum. Und sein Parteifreund Nathanael Liminski setzte noch eins drauf: „Das Grimme-Institut war schon immer Impulsgeber für die Debatte über Rolle, Verantwortung und Qualität von Medien“, sprach der Staatskanzleichef und Medienminister des größten deutschen Bundeslandes. „Unsere moderne, super-diverse und digital-beschleunigte Gesellschaft braucht solche Orientierung mehr denn je.“
Was es nicht braucht, ist ein Defizit
je.“Was es nicht braucht, ist ein Defizit von gut 320.000 Euro. Doch genau damit sieht sich das Marler Institut zum Geburtstag konfrontiert. Weshalb die „moderne, super-diverse, digital-beschleunigte“ Gesellschaft ab sofort auf Orientierung durch den Grimme-Online-Award (GOA) verzichten muss. Der zeichnet seit 2000 herausragende publizistische Leistungen im Netz aus, so wie der Grimme-Preis seit 1964 das Beste auszeichnet, was TV und inzwischen auch Stream zu bieten haben.Doch auch beim Grimme-Preis muss gespart werden. Und am Institut sollen die Bereiche Forschung und Bildung wegfallen. Damit wäre das in den 1970er-Jahren aus der Volkshochschule Marl hervorgegangene Institut allerdings seiner von Grimme-Preis-Erfinder Bert Donnepp aufgebauten Einzigartigkeit beraubt. Donnepp, der nach dem Zweiten Weltkrieg im damals dank Bergbau und Industrie noch boomenden Marl eine ganz neue Form von Erwachsenenbildung erfand, wollte das neue Medium Fernsehen zum Besten von Demokratie und Bildung nutzen. Marl selbst, erst wenige Jahre zuvor aus ein paar Bauerndörfern zusammengeschraubt, sollte die Blaupause einer modernen Stadt werden, ausgelegt für 100.000 Einwohner*innen. Noch heute zeugen davon die imposante moderne Architektur von Marl-Mitte, die für Studierende des Bauwesens ein Muss ist – und das Grimme-Institut.Das Grimme-Institut streitet über notwendige ReformenDoch der Lack von Marl ist ab, Ende 2015 machte die letzte Zeche dicht. Und auch das Institut für Medien, Bildung und Kultur, wie Grimme mit vollem Namen heißt, hat schon bessere Tage gesehen. Immerhin die Preise – neben Grimme-Preis und GOA organisiert Grimme auch noch die Jury des Deutschen Radiopreises – gelten nach wie vor als Maßstab und verschaffen dem Institut grundsätzlich ein hohes Renommee.Man beachte die Zeitform, in der NRWs Medienminister beim Festakt sprach. „Grimme war schon immer …“, hatte Liminski gesagt und hinterhergeschoben, „aber es muss sich fokussieren, (...) in die breite Gesellschaft hineinwirken“.Wenn der Mann, der den Löwenanteil des Institutsbudgets von rund drei Millionen Euro aus seiner Landeskasse finanziert, so etwas sagt, lohnt es sich, genauer hinzusehen. Die Belegschaft am Institut hält die Entscheidung, sich – wie kaum verklausuliert von Liminski gefordert – auf die Preise zu konzentrieren und ganze Institutsbereiche stillzulegen, für einen Fehler: Dies sei der „strategisch falsche Weg“ hieß es in einem offenen Brief im Dezember. Denn mit Blick „auf aktuelle Themen der Mediengesellschaft“ wie künstliche Intelligenz, Desinformation, Hass im Netz seien diese Bereiche auch für die zukünftige Positionierung des Instituts zentral. Von der heftig geführten Debatte über Reform und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖR) ganz zu schweigen.Allerdings hat sich Grimme in den vergangenen zehn Jahren an solchen Debatten kaum mehr vernehmbar beteiligt. Schon 2015 schrieb der mittlerweile verstorbene langjährige Grimme-Preis-Juror und Medienexperte Fritz Wolf, das Medieninstitut wolle offenbar in den Medien gar nicht mehr vorkommen. Veranstaltungen wie die Marler Tage der Medienkultur, die früher die Medienwelt vermaßen, liefen aus. Und auch wenn es seit dem Dienstantritt 2014 der bis heute amtierenden Grimme-Direktorin Frauke Gerlach einen Bereich „Mediendiskurs“ gibt, ist davon in der Öffentlichkeit nicht viel zu spüren.Was die Grimme-Chefin erstaunlicherweise zur Strategie erklärte. Vom Branchendienst epd Medien in einem langen Interview zum Jubiläum gefragt, ob sich das Institut nicht stärker in Debatten wie die über den ÖR zu Wort melden müsste, meinte Gerlach: „Grimme ist nicht dazu da, Medienpolitik zu gestalten.“ Das ist umso erstaunlicher, weil Gerlach aus der Politik kommt. Bis zum Wechsel nach Marl war sie Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag und bekleidete diverse höchst medienpolitische Posten – beispielsweise als Vorsitzende der Medienkommission der NRW-Landesanstalt für Medien (LfM), die für Aufsicht, Zulassung und Regulierung der privaten Sender zuständig ist.Das Defizit könnte 2024 weiter steigenUnd hier liegt das ganze Dilemma: Gerlach war für Grimme ein Missverständnis. Und es ist in NRW ein offenes Geheimnis, dass es die aus Schleswig-Holstein stammende promovierte Juristin mit der Befähigung zum Richter*innenamt ursprünglich an die Spitze der LfM drängte. Hier wollte sie 2017 die Nachfolge des damaligen LfM-Direktors Jürgen Brautmeier antreten, wofür extra das NRW-Landesmediengesetz geändert und eben diese Befähigung zum Richter*innenamt als Voraussetzung festgeschrieben wurde. Zuvor war die heute 59-Jährige von der damals rotgrünen Landesregierung in Marl geparkt worden. Doch Gerlach kam bei der LfM nie an, auch weil 2017 die Landesregierung plötzlich Schwarzgelb wurde, sondern musste bei Grimme bleiben. In einem Medieninstitut, in dem sie inhaltlich nie wirklich angekommen ist, und dass sie dafür aber umso hierarchischer führte.Und nun führt die schon lange beklagte Diskursschwäche des Instituts zur Aufgabe ganzer Themenfelder. Auch der unter Gerlach ausgebaute Forschungsbereich krankte an hausgemachten Problemen. Ab 2015 wurde zwar das Grimme-Forschungskolleg an der Universität zu Köln geschaffen, das anfangs pro Jahr mit bis zu 250.000 Euro aus dem Institutsetat finanziert wurde. Es sollte Hochschulforschung mit dem eher allgemeinbildenden Grimme-Ansatz verknüpfen. Doch von dem Geld und den geförderten Projekten habe eher die Universität als das Institut profitiert, heißt es in der Belegschaft. Geld für das Forschungskolleg hat das Institut schon länger keins mehr. Durch wegbröckelnde Projekte, für die die Institutsgeschäftsführung keinen Ersatz fand, und schwindende Sponsoren wurde auch insgesamt nicht erst 2023 das Geld knapp. Dazu kamen in letzter Zeit massiv steigende Kosten. Im Sommer 2023 kündigte Gerlach an, das Defizit könne 2024 noch auf rund 420.000 Euro steigen.Aktuell ist die unmittelbare Pleite verhindert. Die Mitarbeiter*innen verzichten auf die ihnen eigentlich zustehende Tariferhöhung im März. Ob sich die Direktorin mit ihrem Jahresgehalt von (Stand 2021) knapp 145.000 Euro an diesem solidarischen Akt beteiligt, ist nicht bekannt. Ihr Büro in Marl teilt mit, sie gebe derzeit keine Stellungnahmen gegenüber der Presse.Eines immerhin ist klar: Für Gerlach, deren Vertrag Ende April ausläuft, wird eine Nachfolge gesucht – für das Grimme-Institut und seine Mitarbeitenden die Chance auf einen längst überfälligen Neuanfang.
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