Freitag: Thomas Brussig bedankt sich im Vorwort zu seinem Buch ganz ausdrücklich bei Ihnen.
Leander Haußmann: Das ist das Mindeste, was er tun kann, das Mindeste und das Billigste.
Wofür gebührt Ihnen denn der Dank?
Der Dank gebührt mir ganz sicherlich dafür, dass sehr viele Geschichten in diesem Buch meine Erfindung sind.
Wie kam es dazu?
Das ist in einer fast zweieinhalbjährigen Arbeit am Drehbuch entstanden. Die Idee, diesen Film zu machen, hatte der Brussig. Ich hab' aber gesagt, ich kann den Film nur machen, wenn er mir aus dem Herzen kommt. Und dazu gehört, dass viele meiner Erfahrungen und auch viel von meinem Humor in diesen Film einfließen. Und zum anderen, wenn dieser Film emotionale Punkte hat, die meines Erachtens im Buch nicht drin waren
tionale Punkte hat, die meines Erachtens im Buch nicht drin waren und auch jetzt nicht drin sind. Das ist eben die Art von Thomas, Geschichten zu erzählen. Die Schwierigkeit bestand darin, sich zusammenzuraufen und einen Kompromiss zu finden zwischen uns. Ich denke, den haben wir gefunden. Thomas Brussig war ein bisschen traurig, dass viele der Geschichten dabei rausgefallen sind. Aber sonst wäre es ein Vierstunden-Film geworden. Da hat er dann gesagt: Okay, ich werde mich damit belohnen, dass ich dieses Buch schreibe.Der Film spielt, anders als der Roman, in den siebziger Jahren. Warum?Das ist eine optisch interessantere, originellere Zeit, die achtziger Jahre waren optisch einfach nicht mehr so originell.Der Film spielt in einer richtigen Jungenswelt und lebt von einem jungenhaften Humor. Ich habe mir beim Anschauen vorgestellt, dass Sie da zusammensaßen und sich gefreut haben darüber, dass Sie es all den Verwaltern der DDR-Geschichte mal so richtig zeigen können.Nein, das kann nicht die Voraussetzung der Arbeit an einem Buch sein. Das ist zu mager. Also eins ist klar, dass ich immer einen Film machen wollte und immer keinen Stoff hatte. Und dass Brussig mir den Stoff gegeben hat, um meinen ersten Film machen zu können. Und zwar über ein Thema, worüber ich Bescheid weiß. Ich hab da 30 Jahre gelebt. Obwohl mir jetzt viele Leute sagen wollen, die da nicht gelebt haben, wie es denn eigentlich war und wie es nicht war. So, wie wir zeigen, so sei es eigentlich nicht gewesen. Okay, das liegt in der Natur der Deutschen, sowieso, diese Form der Besserwisserei.Der Ausgangspunkt war, dass wir die ersten sein wollten, die etwas über die DDR erzählen, was darüber hinaus geht, dass es Schießbefehle und Opfer gegeben hat. Wir wollten einen Film machen, der Alltagsgeschichten zu einem Kinoerlebnis macht. Und dazu brauchten wir Ansätze, diese Geschichten zu erzählen, einen roten Faden wie diese große Liebesgeschichte zwischen Micha und Miriam. Und auf diesem Weg von Micha begegnen wir verschiedenen Geschichten. Das sind circa zwanzig kleinere Episoden, die sich in dieser großen Geschichte verbergen. Und das war ganz sicherlich nicht sehr einfach, dieses Übermaß an Geschichten zusammenzufassen zu einem Film. Zunächst gab es sehr viel Voice-over, also Erzählerstimmen, die sind rausgefallen zugunsten von Episoden, die durch sich selbst leben können.Der Humor, mit dem sie alles ins Groteske steigern, der ist schon ungewöhnlich für die Art und Weise, wie sie die DDR-Geschichte in Erinnerung bringen. Im Allgemeinen überwiegen ja die Klischees der Besserwessis und der Jammerossis.Der Ansatz ist ein menschlicher Ansatz. Man kann von weit weg auf die Erde gucken, dann sieht man 'ne blaue Kugel. Und wenn man näher, und immer näher rangeht, dann sieht man, dass die Welt aus Menschen besteht. So läßt sich das Leben in der DDR ja nicht einfach auf ein paar Pauschalbegriffe reduzieren. Und das Wort Ossi kann auch nicht für jeden herhalten. Wir erzählen über eine Zeit, wo es diese Begriffe nicht gab, sondern wo es noch ein gegenseitiges Interesse aneinander gab. Inzwischen haben sich die Klischees so verhärtet, dass eine Kommunikation nicht mehr möglich ist. Das ist eigentlich schade.Im Film kriegt jeder sein Fett weg. Der Westler wie der Ostler. Die Westler kommen am schlechtesten weg. Ich weiß gar nicht, ob die Ostler überhaupt schlecht weg kommen: die sind lauter kleine Helden. Auch in ihrer Ungeschicklichkeit, in ihrer Naivität sind es Helden des Alltags, denn es war nicht einfach, 365 Tage im Jahr eingesperrt zu sein.Der Film erzählt zum Beispiel, mit welchen Tricks es Vater Ehrenreich schafft, durch eine Eingabe dafür zu sorgen, dass die Familie ein Telefon bekommt. Dann steht der Apparat auf dem Tisch und klingelt, und die Familie bestaunt das Gerät, als handele es sich um eines der sieben Weltwunder. Und so wie die Kamera diese Szene von unten aufnimmt, wie würden Sie das nennen? Ironie?Dieses Bild ist von einem Foto angeregt, das ich sehr mag. Es zeigt, so um 1892, als die Glühbirne nach Sibirien kam, wie eine ganze Familie vollkommen begeistert vor dieser Glühbirne steht. Und was hat sich alles getan in der Zwischenzeit? Selbst seit den siebziger Jahren. Wir gehen heute völlig selbstverständlich mit Telefonen um, das ist ein allgegenwärtiger Gebrauchsgegenstand. Aber es ist noch gar nicht lange her, da haben wir uns nicht anrufen können, weil wir in der DDR lebten. Wenn wir jemandem etwas erzählen wollten, mussten wir zu ihm hinfahren. Und wenn jemand nicht da war, dann war er eben nicht da. Dann hatte man eben Zeit verloren. Damit will ich halt ausdrücken, dass Alltagsgegenstände, die heute normal sind, damals nicht normal waren. Wie 'ne Schallplatte und ein Plattenspieler, und wie bestimmte modische Accessoires und sogar Songs, und dass es dadurch auch ein ganz anderes, liebevolleres Verhältnis zu den Dingen gegeben hat. Das fand ich reizvoll zu erzählen, wie schwer es war, eigentlich ganz normale Sachen zu bekommen. Das wollte ich aber nicht erzählen wie so ein Opi, der sich daran erinnert, dass es nach dem Krieg alles nur auf Lebensmittelkarte gab. Darin verbirgt sich ein großer Witz, finde ich.Natürlich ist das eine stark übertriebene Darstellung. Aber da die Familie Erdenreich selbst ja auch viel Humor hat, weiß man immer nicht so genau, ob die das selbst spielen oder ob das wirklich ist. Und so war es auch im Leben. Wir haben uns teilweise selbst stark auf die Schippe nehmen können. Das ist leider etwas verloren gegangen. Und vielleicht kann der Film helfen, Teil eines neuen Selbstwertgefühls zu sein auf beiden Seiten. Was uns dazu veranlasst, mal wieder ein bisschen mehr über uns zu lachen. Das ist der Punkt, wo es die Deutschen so schwer haben mit sich.Eine Chance, sich mit einem anderen Gefühl dieser Geschichte zu erinnern.Da steht ganz groß Komödie drüber. Jeder weiß das ist 'ne Komödie. Und dann geht man rein und kommt raus und sagt: Aber das war doch alles viel schlimmer! Es ist aber 'ne Komödie. Jemand anders kann ja 'ne Tragödie oder ein Drama machen, das ist ein anderes Genre. Das ginge sicher auch mit diesem Land. Ich finde es nun mal komisch. Ich hab da gelebt, ich hab da auch gelitten, aber in erster Linie hab ich mich dort mit meinen Freunden zusammen totgelacht.Unübersehbar ist außerdem die große Theatralität, mit der diese Komik inszeniert ist. Gleich von der ersten Szene an. Man sieht die Kulissenhaftigkeit der Sonnenallee, die ja in der Babelsberg Studiotour auch besichtigt werden kann. Es wurde also auf Echtheit bewusst kein Wert gelegt.Der Film Vom Winde verweht zum Beispiel, der sieht auch wie gemalt aus. Das ist einer der größten Filme der Filmgeschichte und einer der theatralischsten. Ich mochte das nie im deutschen Film, dieses Getue, von wegen das ist real. Das gibt es ja außerdem schon. Wenn man einen Film über die DDR, wie sie war, sehen will, dann kann man sich Paul und Paula angucken. Aber ich wollte einen Film über die Erinnerung an die DDR machen. Und Erinnerung ist etwas künstliches. Weil der Mensch sich die selbst zusammenbastelt. Weil das ja auch eine Art des Überlebens ist. Erinnerung, davon lebt der Mensch, Erinnerungen sind ein Teil seiner Erfahrungen, das ist aber auch am Ende seines Lebens ein Teil des Trostes. Nicht umsonst flüchten viele Alte kurz vor dem Tod in die schönste Zeit ihres Lebens und nehmen die Umwelt oder die Gegenwart nicht mehr wahr. Also erzähle ich nicht nur einen Film über die DDR, sondern auch einen Film über das, was wir erinnern.Glauben Sie, dass für diese Art des Erinnerns ein größerer Abstand nötig war, zu dem Ereignis Mauerfall?Unbedingt. Zehn Jahre sind eine gute Zeit, um damit anzufangen, dieses Thema in die Kinos zu bringen.Rechnen Sie mit einer Welle solcher Erinnerungskunst, jetzt zum 50. Gründungsgeburtstag der DDR, an dem der Film startet.Ich vermute, es wird keine Welle geben. Aber es wird Versuche geben, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Das denke ich schon. Es wird auch davon abhängen, wie die Zuschauer das annehmen. Wir wissen ja, dass die Produzenten oft sehr gerne bei einem fahrenden Zug aufs Trittbrett springen. Und wenn ein Gangsterfilm oder ein Roadmovie Erfolg hatten, dann macht man eben die nächsten vier Jahre Roadmovies. Das ist ein bisschen krank. Niemand wäre mit einem Drehbuch wie Pulpfiction von den Förderungsgremien hierzulande bedacht worden. Und unser Film hatte es auch sehr schwer, die Leute zu finden, die an ihn geglaubt haben. Die geglaubt haben, dass daraus überhaupt ein Film werden würde. Ich bin selbst manchmal noch erstaunt, dass wir das überhaupt geschafft haben.Hat der Erfolg der TV-Verfilmung von Strittmatters »Laden« eventuell Türen geöffnet?Die Projekte liefen etwa gleichzeitig. Die sind nur schneller fertig geworden. Wir hatten keinen Sender, der uns förderte. Wir hatten nur Leute, die immer gesagt haben, ach das interessiert doch keinen. Das Ost-Thema, das stinkt. Das riecht nicht gut, das können wir nicht machen. Das war bisher immer ein Misserfolg. Selbst die öffentlich-rechtlichen waren nicht interessiert. Erst ein kommerzieller Sender wie Sat.1 hat uns dann mit beträchtlichen Geldern auf die Sprünge geholfen. Und dann zogen ein paar andere Förderungsgremien nach.Jetzt haben Sie immerhin schon den Drehbuchpreis gewonnen. Aber zu etwas anderem: Allmählich nähert sich das Ende ihrer Intendanz in Bochum. Eine Spielzeit haben Sie noch vor sich. Wenn Sie damals, als ihnen der Job in Bochum angeboten wurde, gewusst hätten, was Sie dort erwartet, würden Sie noch einmal nach Bochum gehen?Wenn man die Zeit zurückdrehen würde? Auf jeden Fall, auf jeden Fall. Wie ich diesen Film zum ersten Mal gemacht habe, war das auch meine erste Intendanz. Dafür habe ich relativ wenig Fehler gemacht. Das Haus steht noch, es ist finanziell nicht ruiniert, wir haben wahnsinnig viel produziert, ich glaube, wir waren das Theater mit der höchsten Produktionszahl. Wir haben alle unsere Termine eingehalten. Wir haben sehr gute, aber natürlich auch sehr schlechte Produktionen gemacht, und wir sind eines der besten Ensembles in Deutschland, wie selbst unsere zahlreichen Feinde bestätigen. Aber fünf Jahre reichen. Vielleicht wären zwei noch gegangen, aber dann inflationiert sich das. Dann muss man was Neues machen, entweder in der Stadt, wo man ist, oder man muss gehen. Ich bin angetreten und hab gesagt, ich bleib fünf Jahre und jetzt gehe ich. Das würde ich auch vielen anderen Intendanten empfehlen.Gab's da etwas, was Sie aus der DDR mitgebracht haben, das Sie nach Bochum exportieren konnten? Sie sind ja, so weit ich sehen kann, immer noch der erste und einzige DDR-sozialisierte Theatermacher, der an einem Theater in den Alt-Bundesländern, Intendant ist.Erfahrungen spielen natürlich immer 'ne Rolle. Und meine Erfahrung ist vor allem mit meiner Ausbildung verbunden. Aber was wichtig war in Bochum: die heroische Aufgabe zu übernehmen, noch zwei andere sehr verschiedene Regisseure, abgesehen von meiner Person, zu schützen. Es waren drei äußerst komplizierte, sehr unterschiedliche, künstlerische Vorgänge dort vereinigt, und das war sehr schwer: einen Jürgen Kruse, einen Dimiter Gotscheff, und einen Haußmann fünf Jahre lang in einigermaßener Harmonie bis auf einige Ausfälle dort zusammenzuführen. Das ist soweit ich weiß, bisher noch keinem Theater gelungen, dass drei Leute tatsächlich alles zusammen durchstehen. Ansonsten wollte ich sehr viele Leute auch in diese Stadt holen und den Zuschauern vorführen: Castorf, Schlingensief, Schroeter, Peter Stein, haben da, zum Teil wenigstens mit den Studenten gearbeitet. Alle, die ich für groß halte in der Theaterszene, haben da auch gearbeitet. Und sie sind nicht nach Bochum gekommen, weil das eine so schöne Stadt ist, sondern sie sind gekommen zu dem, was wir da gemacht haben, weil sie sich da wohl gefühlt haben und da arbeiten wollten, für eine humane Gage.Das Gespräch führte Kathrin Tiedemann
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