Heute hinterm Mond

Pop Die Band Isolation Berlin erzeugt Dringlichkeit, wo andere nichts weiter schaffen, als alte Trends durchzukauen
Ausgabe 11/2018

Isolation Berlin (aus Berlin) sind eine Band der besonderen Sorte. Typen mit schlechter Laune, die ein bisschen orientierungslos und abgeschlafft, doch dann wieder unglaublich direkt und dringlich wirken. Damit treffen sie die paradoxe Gefühlswelt unserer Zeit punktgenau.

Gitarrist Max Bauer, Sänger Tobias Bamborschke, Schlagzeuger Simeon Cöster und Bassist David Specht machen Musik für Unglückliche, wie man schon auf ihrem Debüt Und aus den Wolken tropft die Zeit (2016) hören konnte: Musik für Verlassene: Es sind so viele, die in großen Städten alleine sind.

Auch bei ihrem zweiten Album Vergifte dich gehen sie ihrem Namen entsprechend vor. Um Einsamkeit geht es, Vereinsamung, das Alleinsein. Ihr Weltschmerz-Sound ist eigen: Da werden Jazz, Punk, New Wave, Sixties-Beat, Noise und Chanson-Balladen derart wild gemischt, dass man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Vor allem gilt weiterhin: Bei Isolation Berlin macht die Musik etwas mit den Versen. Sie lässt sie noch klarer strahlen.

Das Ganze erinnert weniger an Rio Reiser, wie überall zu lesen war, sondern an das Beste, was Element Of Crime jemals gemacht haben. Damals, hinterm Mond, vor so vielen Jahren, als es sich die Band in ihrer Unbehaustheit noch nicht allzu gemütlich gemacht hatte.

„Wenn du mich suchst, du findest mich am Pfandflaschenautomat. Da hol ich mir zurück, was mir gehört. Und ich schwöre dir, ich schlage heute ein paar Fressen ein, wenn mich noch einmal jemand dabei stört.“ So Sven-Regener-artig, so Element-Of-Crime-mäßig beginnt es. Und Tobias Bamborschke, 1988 geboren, lässt den Hörer gleich ahnen: Ihre große Kunst rührt aus der Monumentalität der Isolation, von der sie uns berichten. Wohin bloß mit mir?, sagen sie. Und hinterlassen XXL-Fragezeichen.

Das Titelstück Vergifte dich zeigt, wie originell sich Wut und Zynismus noch heute darstellen lassen: Postpunk oder New Wave, von anderen Bands als inzwischen öde gewordener Trend durchgekaut, schimmern hier als Vorbild in einer ungewöhnlichen Größe und Dringlichkeit durch. Diese Verlorenheit ist kein Zitat oder kein Schmiermittel zum Szene-Distinktionsgewinn: Sie ist echt.

Vollendet rollt es aus

Verschiedene Vorbilder tauchen auf – überaus interessant, überaus neu in dieser Kombination: Hildgard Knef, Velvet Underground, Funny van Dannen, Tocotronic, The Jesus & Mary Chain, Ja, Panik, der frühe Westernhagen sogar, die Dichtung des Expressionismus, so Unterschiedliches glimmt auf, alles vereint und verbunden alleine durch die persönliche Weltsicht und Interpretationskunst dieser Band und ihres Sängers, der von sich selbst sagt, er sei an Berlin zerbrochen.

Melchiors Traum bringt die Süße und die Düsternis ganz eng zusammen, das Zähe, die Wiederholung, den Selbsthass: als dunkles, samtiges, leuchtendes Selbstgespräch, als Weltschmerz in Moll, als romantische Feier der Hoffnungslosigkeit, die wir im Chanson Vergeben heißt nicht vergessen wiederentdecken.

Es endet mit Mir träumte. Düsterromantischer und isolierter kann Space-Pop nicht klingen, mehr geht einfach nicht, vollendet rollt dieses Album aus und bringt noch mal alles auf den Punkt: „Ich wollte, ich wäre tote Materie. Ein kalter Stern im endlosen All. Ach wär das schön! Das wär so schön!“

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Vergifte dich Isolation Berlin Staatsakt

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