Das Hammerstück vorab. Zuerst aber ein Bekenntnis (liegt ja im Trend, sich zu bekennen): Ich habe Richard Dawkins früher nicht nur gern gelesen, sondern geradezu verehrt. Das egoistische Gen – 1976 erschienen (Jubiläum!) – hat mich so tief beeindruckt, dass ich mir das englische Original kaufte, um mich da durchzubuchstabieren. Dito Und es entsprang ein Fluß in Eden. Seine Theorie des Mems hat mich fasziniert, dann wuchs die Skepsis. Sein Kampf gegen den Gottesglauben hat mich nicht mehr aktiviert. The God Delusion (Der Gotteswahn) wurde seit 2006 weltweit in über drei Millionen Exemplaren verbreitet – eine Art selffulfilling prophecy: die Selbstmemifizierung. Das egoistische Gen hingegen hat es bis heute erst auf eine Million gebracht. Nicht weil ich anderer Meinung war als er, hat mich sein Unglaubenskampf nicht mehr interessiert, im Gegenteil, ich hielt, was er gegen die Gottesillusion schrieb, eher für selbstverständlich, nicht der Rede wert. Doch warum muss ein so begnadeter Wissenschaftler und gediegener Popularisator auch noch zum Wanderprediger und Zeltmissionar werden? Nun also seine Autobiografie – über 700 Seiten stark. Sie besteht aus zwei im Original separat publizierten Teilen. Der erste schildert, wie aus dem in Nairobi geborenen Kolonialspross und Internatsabsolventen dann doch noch erst ein Zoologe, schließlich der einflussreiche theoretische Biologe wurde. Das ist durchweg informativ und unterhaltsam. Der zweite Teil, im Original A Brief Candle in the Dark, liefert einerseits nützliche Zu-sammenfassungen seiner Bücher sowie gute Einblicke in den Wissenschaftsbetrieb nebst Drumherum, andererseits Zeugnisse eines berstenden Ego: Was braucht ihr Gott, wenn ihr mich habt! Da nun aber Dawkins kein einspuriger Naturwissenschaftler, sondern ein rundum hochgebildeter Mensch ist, ist selbst diese Eitelei noch verdammt gut lesbar.
And now for something com-pletely different: Joachim Kalka er-freut immer wieder nicht nur durch seine Übersetzungen, sondern auch durch seine Essays. Diesmal lässt er den Mond leuchten. Man möchte kaum drauf wetten, dass der (oder die) Mond kulturdokumentarisch hinter der Sonne zurückliegt. Zu faszinierend sein Wandel, sein Jo-Jo-Effekt, die Möglichkeiten, ihm was einzubilden – Mann im Mond, Prinzessin, Mondkalb oder -hase. Seine Schattenrisse und sein Scheinen, schließlich das Bizarre, Karge und Leblose seiner Landschaft. Fruchtbarkeitsspender den einen, Todesfaszination den anderen. Alles schrieb über und an ihn, unter und in ihm. Allein mit Jean Paul kön-nte man ein Mondkonvolut füllen. Erst recht, wenn man wie Kalka in so vielen Kulturen zu Hause ist. Ein Sammelsurium, sacht sortiert. Eine Mond-Montage, worinnen unter anderem Matthias Claudius ihn als alt wie einen Raben bedichtet, Raymond Chandlers Gangster nicht warten will, bis er scheint, der spitzlippige Besserwisser Arno Schmidt, einmal darauf gekommen, dass Walter Scott ihn an der falschen Ecke aufgehen ließ, sich vor berechnenden Mondereien gar nicht mehr lassen konnte, Wilhelm Raabe ihn wiederum einen „hin-terlistigen Schleicher“ nennt, der zu lächerlichem Liebestaumel verlocke. Ja, und die Mondlandung findet auch gebührend Beachtung. Was Kalkas Bändchen – verlockend schön gemacht – zu bieten hat, ist mehr als nur paper moon, ist lebendig und von quirligem Geiste.
Zurück zur Evolution: Nicht zuletzt angesichts der einschlägigen Bücherwelle in den letzten Jahren wäre es reizvoll, eine Evolution der Evolutionsbücher zu schreiben. Hier müssen wir uns damit begnügen, ein weiteres anzuzeigen. Das nun stammt von einem der bekanntesten (und fleißigsten) Naturwissenschaftsvermittler: von Josef H. Reichholf, dessen Ornis, das Buch über die Welt der Vögel und ihrer Beobachter, uns letztens hat begeistern können. (Jetzt auch bei Ullstein als Taschenbuch!) Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur verspricht der äußer-lich ansprechende Band im Lehrbuchformat. Ich habe schon die Schulbücher gehasst, die meinten, sie müssten einem in Kästchen und Häppchen und Merksätzen einbläuen, was man durch Selberlesen besser behielte. Da kaspert beim Lesen gleich der ersten Seite am unteren Wahrnehmungsrand ein graues Kästchen herum, in dem blinkt: „Multiresistente Keime“, wie denn auf der nächsten Seite ein „Neandertaler“ ständig den Blick ablenkt. Das nervt. Wäre der Name des Autors nicht so gebieterisch, ich hätt’s gleich drangegeben. Nein, ein anderes, reichlich eingesetztes Mittel hat mich hineingelockt: Die geradezu altvorder meisterlichen Illustrationen von Johann Brandstätter. Zweifellos: Das Buch ist ansonsten durchdacht und überzeugend angelegt, führt – ausgesprochen jugendtauglich – in die Vorteile der Zweibeiner wie deren evolutionäre Schübe und Vielfalt ein, geht auf die Bedeutung des Fleischverzehrs wie auf die von Golfstrom und Eiszeit ein, um am Exempel von Wolf/Hund die Evolution qua Domestikation und Züchtung zu erläutern, Auslese etc. wiederum an Darwins Finken oder Max Goldts Fichtenkreuzschnäbeln. Dinos und Vögel bilden ein Kernstück (auch der Illustration), von dem aus Bedrohungen der Vielfalt in den Blick genommen werden – zwischen Kometeneinschlag und gezielter Ausrottung. Mit-hin schließt sich die kulturelle Evolution an, anhand von Waffen, Rauschmitteln, Kleidung, Religi-on und Ideologien. Am Ende steht – in erstaunlicher Nachsicht mit den Positionen des „intelligenten Designs“ – die „Ehrfurcht vor dem Leben“. Man neigt sich in Ehrfurcht vor dem Belehrenden.
Nun zu zierlichen Tierchen: Dave Goulson, der vor kurzem ein sehr schönes, wenngleich etwas hummeliges Buch über die Hummel vorgelegt hat, hat sich nun breiterhin den Insekten gewidmet. Das klingt nach Henri Fabre. Doch auch wenn der Verlag strunzt, dass Goulson so tief ins Reich der Tiere eindringe „wie kaum jemand zuvor“: An den Altmeister und dessen nüchternen Charme reicht er nicht heran. Muss er aber auch nicht. Es ist auch so noch viel Raum zwischen ihm und den ökologischen Biodiversitätsreduktionssalarmisten-Langweilern. Es ist ein kurzweiliges und gleichzeitig anregendes Buch, dessen Lektüre nicht nur bereits Bekehrte belohnt. Auch unsereins, der den Umstand, dass seit Jahren sommers nicht mehr so viele Viecher von der Windschutzscheibe zu kratzen sind, dankbar hinnimmt, ohne darüber nachzudenken, was an viel, viel Unangenehmerem als Scheibensäubern dafür verantwortlich ist. Genau: Insektizide. Goulson wirbt mit der Possierlichkeit der gleich artenweise Dahingemetzelten für den Erhalt der Verbliebenen, kommt naturgemäß aber nicht ohne deren Vermehrung aus. Mit dem titelgebenden Gescheckten Nagekäfer verhält es sich so: Er verbringt nahezu die gesamte Lebenszeit damit, sich als Larve durch Balkenholz zu fressen. Im Endspurt wird er zum Käfer, träge, unbeholfen, blind und mit wenig Geruchssinn. Um nun zu tun, was ihm obliegt, wummert er mit seinem Kopf aufs Holz und hofft, dass eine Jungfrau ihm antworte. Das ist nicht sehr ausbreitungsförderlich. Die Gemeine Stubenfliege hingegen könnte, ungestört, innerhalb von acht Wochen sieben Milliarden Nachkommen erzeugen. Ansonsten erfahren wir noch, wo und wie lange Goulson spazieren geht, dass er in seiner Kindheit Schmuckhornfrösche und im Studium Heimweh hatte. Naturgemäß sind die Hummeln wieder dabei, ebenso die an Neonicotinoiden dahinsiechenden Bienen, die Bestäuber von Lichtnelken und ein schä-biger Pilz. Und sonst noch allerlei un- und inzüchtige Insekten. Ein liebens-, lesenswertes Bestiarium!
Info
Die Poesie der Naturwissenschaften. Autobiographie Richard Dawkins Ullstein 2016, 736 S., 38 €
Der Mond Joachim Kalka Berenberg 2016, 160 S., 20 €
Evolution. Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur Josef H. Reichholf Hanser 2016, 240 S., 22,90 €
Wenn der Nagekäfer zweimal klopft. Das geheime Leben der Insekten Dave Goulson Hanser 2016, 320 S., 21,90 €
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