Hier wird gelebt. Echt wow.

Alltag Das Fernsehen ist die Oma, die uns das Essen kocht. Protokoll eines Abends mit "Das perfekte Dinner"

Um 19 Uhr bei Vox. Schicke Bilder von der Stadt Aachen: Dom, Rathaus und die Aachener Skyline. Soll heißen: Das perfekte Dinner wird diese Woche in Aachen gekocht.

Den Anfang in der Runde besorgt Holländerin Julita (35). Sie will aus ihrem Essen eine "künstlerische Veranstaltung" machen. Die Bauchbinde verrät: Julita ist Sängerin. Sie ist eine seriöse Künstlerin, keine verlebte Rockröhre, die nur zum Biertrinken und Chipsessen aufsteht und zwischendurch mal rumgrölt. Im aufgeräumten Tonstudio trällert Julita gewaschen und gut gelaunt ins Mikrophon, der Tonmeister hinter der Glasscheibe deutet an: Voll gut!

Julitas Wohnung ist modern eingerichtet, keine alten Küchenschränke, keine Bücherregale aus Weinkisten oder andere Improvisationskünste. "Mit meinen Kindern glotze ich hier schön", kommentiert sie die Sitzecke nach Möbelkatalogvorbild und führt dann ihren Wandschmuck vor. Hat man es nicht geahnt? Hinter beinahe jedem Bilderrahmen befindet sich eine Buddha-Figur. Ist es die sympathische Trend-Religion, die Julita zu Erfolg und Wohlstand verholfen hat? Man weiß es nicht. Jedenfalls ist Buddhismus für Julita wegen ihrer indonesischen Wurzeln wichtig, wie sie sagt. Selbstverständlich kocht sie heute auch indonesisch. Es gibt: Miniatur-Sotosuppe mit Frühlings-Knusper-Dreieck, gelben und weißen Reis mit Atjar, Rendang und Satéspießen und danach: Mango mit Zartbitterschokolade und indonesischem Spekkoek. Was werden die Mitspieler dazu sagen?

Der stylische Fleischer Rolf, 38, hat einen Delikatess-Fleischerladen in der Aachener City. Mit seinem schicken Anzug und dem affektierten Gesichtsausdruck würde man ihn eher auf Shoppingtour in der Münchner Maximilianstrasse verorten als neben einem halben Schwein im Metzgerladen. Wie er wohl zu seinem Beruf gekommen ist? Vermutlich hat er die Ausbildung zum Fünfsternekoch vermasselt. Nun muss er rohe Würste verkaufen. Aber Rolf wäre nicht Rolf, wenn er es nicht doch irgendwie geschafft hätte, in die Welt der Reichen und Schönen aufzusteigen. Im Perfekten Dinner will er nun aller Welt zeigen, dass er, Rolf, es zu einem Designer-Metzger mit Savoir-vivre gebracht hat. Trotz allem findet er indonesisch bedenklich, die Sotosuppe erinnert ihn an eine Automarke. Außerdem hat er Angst vor scharfem Essen.

Wirklich zu beneiden ist die nächste Kandidatin: Petra. Sie hilft zwar manchmal in einer Wäscherei aus. Eigentlich ist sie aber Frührentnerin. Wie sie es so weit gebracht hat, verrät die gewiefte 41-Jährige nicht. Doch eines ist klar: Irgendwie hat sie es clever angepackt. Sie muss ihre Lebenszeit nicht mehr für billiges Geld verkaufen. Im Interview ist sie so relaxed, dass es beinahe an Unfreundlichkeit grenzt. Aber diese Muße zur Natürlichkeit hätte man auch gern. Außerdem hat Petra ein erfrischend gesundes Selbstbewusstsein. Dass sie von ihren eigenen Kochkünsten überzeugt ist, kommt ihr so locker von der Zunge wie die Seufzer aus ihrer Brust, als sie Julitas Speisefolge von der Karte abliest. Unter indonesischem Essen kann Petra sich nichts vorstellen, gibt sie frisch und frei zu. "Ob Spekkoek irgendwas mit Speck ist?". Andererseits: "Speck im Nachtisch?" Nein, Petra kann es einfach nicht ausmachen, das indonesische Menu. Diese fremde Sprache!

Auch die selbstständige, etwas wichtigtuerische Fußpflegerin Beata, 43, aus Polen, tut sich schwer. "Rendang...", überlegt sie mit dem Menüzettel in der Hand laut vor sich hin. Dann beschließt sie: "Wenn ich das krieg, renn ich!" Beim Nachtisch hat sie eine etwas genauere Vorstellung: "Spekkoek, das ist so ungefähr wie bei den Chinesen. So tsching, tschang tschong, irgendwie." Ob Beata das ernst meint?

Fehlt noch der dickliche Trendfriseur Udo. Er findet, das Menu sei eine ziemlich spannende Mischung. Nur vor der Schärfe hat er Bammel.

Julita hat das Fleisch für die Satéspieße mariniert und es zum Durchziehen etwas achtlos in eine herumstehende Schüssel gegeben. Plötzlich wird Julita blass: Diese Schüssel hatte sie sich doch vor zwei Jahren von ihrer Freundin Stefanie geliehen. Das lässt den Zuschauer aufhorchen. Sollte Julita doch nicht die sein, die sie zu sein vorgibt? Oder warum hat sie Stefanie die Schüssel nie zurückgegeben? Vor der Kamera bittet Julita Stefanie inständig, ihr diese Schlamperei zu verzeihen. Sie sieht verzweifelt aus. Dank ihrer überzeugenden Darstellung hat Julita noch mal Glück gehabt. Man will ihr weiterhin die Rolle der Sympathieträgerin zugestehen.

Plötzlich klingelt es an der Tür. Der erste Gast! Es ist Beata. Im schicken Abenddress und einem Blumenbesteck in der Hand verteilt sie Küsschen links und rechts. "Hallo, meine Liebe", flötet sie mit polnischem Akzent und gibt zu: "Julita ist genauso, wie ich es mir beim Menü lesen vorgestellt habe!" Wenn das mal nicht einfach so dahin gesagt ist.

Udos Haare sind fluffig aufgebauscht, außerdem hat er Julita etwas "Tolles" mitgebracht. Es ist eine in Zellophanpapier verpackte Box, auf der "Oriental Spice Mix" steht. Udo freut sich und ist überzeugt: "Diese Mischung passt super zu Julita!" Er scheint es ehrlich zu meinen.

Nachdem Fleischer Rolf und Happy-Frührentnerin Petra eingetrudelt sind, kann es losgehen. Beim gemeinsamen Aperitif wird klar, dass Rolf und Udo sich kennen. Udo: "Rolf ist einer der besten Metzger, die ich kenne. Er macht Sachen, die ich schon selber gegessen habe!" Rolf: "Mensch Udo, alter Jeck! Du hier?"

An dem mit bunten Blüten dekorierten Esstisch serviert Julita Weißwein. Ihr pragmatisch veranlagter Weinhändler hatte ihn am Nachmittag für die Vorspeise ausgewählt mit der Feststellung: "Suppe ist Flüssigkeit und Wein auch." Rolf schnüffelt an seinem Glas herum, sagt aber nichts. Auch von den anderen Gästen kommt kein Kommentar. Ob der Wein nicht schmeckt? Julita serviert die Miniatur-Sotosuppe mit Frühlings-Knusper-Dreieck. Das Knusper-Dreieck, eine fertig gekaufte Frühlingsrolle, kommt relativ gut an. "Erfrischend" (Beata), "Lecker Sprossen" (Petra). Die Suppe hingegen erfreut die Geschmäcker weniger. "Zu kalt und zu wenig Salz", ist die einstimmige Meinung der Gäste.

Julita trägt ab. Rolf und Udo reißen Polenwitze. Alle lachen lauthals. Die Polin Beata grölt: "Das ist ja noch gar nichts! Da habe ich schon wirklich andere Dinge gehört!" Sie stachelt die Männer zu weiteren Scherzen an. Zwei Dinge fallen dabei auf: Ihr Ausschnitt steht mit einem Mal verdächtig weit offen. Und: Sie schüttelt ihre Haare unnatürlich oft und heftig. Was hat sie vor?

Doch bevor der Zuschauer es erahnen kann, wird ihrem Treiben ein jähes Ende bereitet: Die Hausbesichtigung steht auf dem Programm. Während Julita in der Küche Fleisch auf Holzspieße schiebt und sich über ihren Ausrutscher mit Stefanies Schüssel Gedanken macht, beginnen Udo, Rolf, Petra und Beata herumzuschnüffeln. Petra und Udo sehen sich das Wohnzimmer an. Udos Eindruck klingt ziemlich lässig: "Hier wird gelebt. Sie liebt ihr Leben. Der Gesang hängt an den Wänden." Dann geht es rüber ins Schlafzimmer. Auf der Kommode neben dem Ehebett findet Petra ein Aquarium mit zwei Wasserschildkröten. Petras erster Eindruck: "Die Tiere leben karg." Bedrückt sehen sich beide die stumm im Wasser umherdümpelnden Kröten an. Dann fällt Udo aus der Rolle: Sein lässig aufgeknöpftes Hemd wirkt plötzlich ordinär, mit seinen fluffig aufgebauschten Haaren erinnert er an einen verwirrten Triebtäter. "Die Tiere sind in diesem Zimmer sicherlich die einzigen, die keine Geräusche machen", platzt es aus ihm heraus. Irgendwie hat man das geahnt. Nun sind die Fesseln lose. Doch Petra, entspannt vom Dauerurlaub, vermutet prinzipiell nichts Böses und merkt nichts von Udos Verwandlung. Und Udo lässt sich nichts anmerken. Beide lachen.

Fleischer Rolf und Fußpflegerin Beata stehen währenddessen vor einem Bild, auf dem eine singende Julita zu sehen ist: "I´m a big, big girl in a big, big world - das hat sie sicherlich gesungen", meint Rolf. Das glaubt Beata, die inzwischen ihre Fassung wiedergefunden hat, nicht: "Für mich sieht das mehr nach Tschacka, Tschacka aus!" Nach dem Bummel durch die Bildergalerie ist für Rolf klar: "Man sieht die Kulturen, die aufeinander stoßen."

Nach der Werbepause ist Beata in alte Verhaltensmuster zurück gefallen. Sie verkündet zum wiederholten Mal ihren Lieblingstrinkspruch: "Jetzt was trinken! Oder: sieben Jahre schlechter Sex!!!!" Der Spruch scheint immer wieder gut anzukommen. Unter großem Gelächter wird Rotwein gekippt. Dann serviert Julita gelben und weißen Reis mit Atjar, Rendang und Satéspießen. Man kann nicht genau erkennen, was auf den Tellern was darstellen soll. Vielleicht guckt Petra ihren Teller deshalb so an, als ob sie mal dringend aufs Klo müsse. Beata scheint etwas interessierter zu sein und wendet die Satéspieße hin und her. Nach angestrengtem Kosten zeigt sich: "Zu wenig Spice und zu wenig Kribbeln" (Udo), "Rindfleisch und Spieße gut, ansonsten nichts Besonderes" (Petra). Rolf kennt Satéspieße nur aus Holland mit Pommes rot-weiß und Beata findet Rendang nicht wirklich nach ihrem Geschmack.

Julita holt einen großen blonden Mann mit Brille und Gitarre aus dem Hausflur. Den hätte man dort gar nicht erwartet. Sie führt ihn ins Wohnzimmer und wird nun für ihre Gäste singen, der Mann wird dazu Gitarre spielen. Bei Julitas Soulnummer gerät das Blut der Gäste in Wallung: Der verwandelte Udo findet die Nummer "hammermäßig geil", Beata "spürt", was Julita singt, ihr Gefühl sagt ihr: "Super." Petra und Rolf finden es "echt wow" und "echt toll".

Zeit für Julitas Dessert. Der Trick: Spekkoek sieht zwar aus wie Speck, ist aber ein indonesischer Baumkuchen. Julita hat ihn nicht selbst gebacken, sondern einfach gekauft. So braucht sie nur die Mangos und die Zartbittersoße darüberzugeben. Und die Gäste? Udo hat sich inzwischen wieder unter Kontrolle: "Das Dessert glänzte durch die schöne Einfachkeit." Petra ist sauer. Obwohl die Portion viel zu klein war, hat Julita sie nicht gefragt, ob sie Nachschlag möchte. Von daher: "Enttäuschend!" Auch Beata ist negativ überrascht: Sie dachte, der "Spekko ist selbst gemacht!"

"Die Stimmung hat gepasst und das Essen auch", resümiert Julita den Abend. Mit ihrer Performance als sympathische Gastgeberin ist sie - trotz des kleinen Ausrutschers mit Stefanies Schüssel - zufrieden. Sie denkt genauso positiv, wie man es sich vorgestellt hat und findet "eigentlich alles super geil". Sich selber würde sie deswegen sieben von zehn möglichen Punkten geben. Dann folgt die Bewertung der Gäste: Rolf fand das Dinner "ziemlich exklusiv", er weiß den Aufwand zu schätzen. "Ein bisschen zu wenig Gewürze." Aber er vergibt "liebgemeinte" neun von zehn Punkten. Für Udo fehlten für das perfekte Dinner die Gewürze. "Mehr spicy und mehr Power", das hätte er sich gewünscht. Auf seiner Punktetafel stehen dennoch: neun Punkte. Beata gibt nur sieben Punkte, wegen des gekauften "Spekko", und Petra bemängelt neben den fehlenden Gewürzen auch das Ambiente, das "bei einem perfekten Dinner doch sehr wichtig ist!" Deswegen kann auch sie nur sieben Punkte vergeben. Insgesamt bekommt Julita also 32 Punkte.

In der Vorschau für den nächsten Tag werkelt Rolf in seiner Designerküche: Er wird Rucolaschaum-Süppchen mit Lachs und Pesto als Vorspeise kochen, gefolgt von Charolais-Filet mit Parmesanhaube und Spinatnocken in Salbeibutter. Zum Dessert will er Himbeer-Kokostörtchen mit Baiser und Passionsfruchtspiegel reichen. Für den Zuschauer ergeben sich folgende Fragen: Kriegt Rolf den schwierigen Passionsfruchtspiegel richtig hin? Wie sieht Rolfs Schlafzimmer aus? Und vor allem: "Werden er und seine Mitspieler ihre Rollen weiterhin überzeugend spielen können?"


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