In China sind dieser Tage noch viele Jahresendreisen zu buchen. Obwohl in wenigen Wochen das runde Jahr beginnt, bieten die Reisebüros sogar Schnäppchenflüge in andere Provinzen, oder nach Singapur, Thailand und Neuseeland an. Wer sich allerdings Anfang Februar auf den Weg machen will, stößt auf höfliche Ablehnung - alles voll. Nicht nur zahlreiche Touristen sind dann unterwegs, sondern auch über 100 Millionen Wanderarbeiter und Reisende, die einmal im Jahr ihre "alte Familie" aufsuchen. Trotz des Millenniumfiebers, das auch an China nicht vorbeigeht, wird der Jahresbeginn hierzulande wie auch in Vietnam und Laos nach dem traditionellen Bauernkalender gefeiert. Er ist eine Mischung aus Mond- und Sonnenkalender, und das neue Jahr beginnt je nach dem Stand der Gestirne in der zweiten Januar- oder ersten Februarhälfte.
Schon in der Frühlings- und Herbstperiode (770-476 vor der Zeitrechnung) haben Chinesen den Tugui senkrecht in die Erde gesteckt, um seinen längsten und kürzesten Sonnenschatten zu messen und damit den Winter- und Sommeranfang, mit den beiden mittellangen Schatten den Frühlings- und Herbstanfang zu bestimmen und das Jahr in 24 Zeitabschnitte einzuteilen. Vor rund 2.000 Jahren wurde diese Methode vervollkommnet und jeweils 15 ekliptischen Längengraden der Sonne ein Zeitabschnitt von zwei Wochen zugeordnet, so dass sich 24 Perioden ergaben, die im festen Rhythmus durch Schalttage ausgeglichen werden. Neumond ist am ersten Tag und Vollmond in der Mitte des Monats.
Noch heute wissen die Bauern in Nord china, dass sie in der Periode "Erwachen der Insekten" (5. oder 6. März) mit der Frühjahrsbestellung beginnen müssen und dass im Abschnitt "kalter Tau" (8. oder 9. Oktober) die Herbsternte abgeschlossen sein muss. Um unsere Jahreswende kennt der alte chinesische Kalender die "Wintersonnenwende" (21. oder 22. Dezember), die zwei Wochen später durch die "kleine Kälte" abgelöst wird. Überraschenderweise ist diese Tradition auch in Südchina lebendig, obwohl dort völlig andere klimatische Bedingungen herrschen und beispielsweise auf der Tropeninsel Hainan vom "großen Schnee" (7. oder 8. Dezember) nicht die Rede sein kann.
Im Alltag hat sich zwar der Gregorianische Kalender durchgesetzt, doch drucken alle Zeitungen im Kopf auch die alte Zählweise ab. Viele historische Ereignisse sind durch ihre klassischen Jahresbezeichnungen bekannt, wie etwa die Wuxu-Reformbewegung von 1898 und die Xinhai-Revolution von 1911. Insbesondere auf dem Lande ist der alte Kalender noch lebendig, aber auch in den Städten werden "günstige Tage" im Mondkalender gesucht, wenn mit dem Bau eines Hauses begonnen, eine große Reise angetreten oder geheiratet werden soll.
Noch günstiger ist es, wenn "glückverheißende Tage" des traditionellen Kalenders mit "guten Tagen" des modernen Kalenders zusammenfallen. Das trifft beispielsweise zu, wenn die Quersumme der beiden Daten durch drei teilbar ist, oder wenn im Jahr, Monat und Tag mehrfach die Neun auftaucht. Sie ist die "beste" Zahl von allen, weil sie wie "Erfolg" ausgesprochen wird. Die Vier hingegen wird selbst bei Auto- oder Telefonnummern möglichst vermieden, weil sie wie "tot" klingt.
Die sogenannten zehn Himmelszweige und zwölf Erdstämme des alten Mondkalenders werden zur Zählung der Jahre so kombiniert, dass sich jeweils ein großer Zyklus von 60 Jahren ergibt und jedes Jahr mit den Schriftzeichen für einen Himmelszweig und einen Erdstamm benannt wird. Da für die zwölf Erdstämme Tierkreiszeichen stehen, gibt es noch einmal einen kleinen Zyklus von zwölf Jahren, der mit der Maus (oder Ratte) beginnt. Danach kommen Büffel, Tiger, Hase, Drachen, Schlange, Pferd, Schaf, Affe, Hahn, Hund und Schwein. Alle Tiersymbole haben positive und negative Eigenschaften, und wer etwa im Jahr des Schafes geboren ist, gilt als gutmütig und friedfertig, aber nicht sonderlich hell. Die Tierkreiszeichen korrespondieren gut oder schlecht miteinander und werden noch immer von vielen als wichtig für die Partnerwahl angesehen.
Favorit ist allemal der Drache, der nicht nur Energie, Mut und Siegeswillen symbolisiert, sondern schlechthin für China steht. Auch Intelligenz und Führungsqualitäten werden ihm zugeschrieben. Sein idealer Partner ist im Jahr der Maus, des Affen oder Hahnes geboren, während beim Schwein und Tiger Vorsicht angeraten wird. Das kommende ist ein Drachenjahr und darum besonders glückbringend. So schnellte in der zweiten Hälfte des Hasenjahres (1999) in allen chinesischen Großstädten die Zahl der Eheschließungen sprunghaft in die Höhe, weil die potentiellen Eltern ein Drachenkind haben wollen, möglichst einen Drachensohn.
Das kommende chinesische Frühjahrs- oder Neujahrsfest wird am 5. Februar 2.000 gefeiert und verspricht darum, besonders aufwendig und turbulent zu werden. Dabei stehen gutes Essen an erster und neue Kleidung und Geschenke an zweiter Stelle. Wer allerdings die in China erfundenen Feuerwerkskörper zünden will, muss aufs Dorf gehen. In den Großstädten ist die Knallerei mittlerweile verboten, was von den Bewohnern außerordentlich bedauert wird.
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