FREITAG: Um die Ökosteuer gab es jahrelang eine leidenschaftliche Debatte. Warum ist das Emissionshandelssystem für Treibhausgase - obgleich es unwiderruflich im Jahr 2005 startet - bis heute nur wenigen Fachleuten bekannt?
REGINE GÜNTHER: Ich halte den Emissionshandel für das wichtigste klimapolitische Instrument, das es je in Europa gab. Aber es ist sehr komplex. Viele Journalisten haben sich deshalb gescheut, dieses Thema aufzugreifen. Die Industrie ist zwar gescheitert mit ihren Bemühungen, den Emissionshandel zu verhindern, sie schaffte es aber zumindest den Medien die Botschaft zu vermitteln: Ihr müsst euch darum nicht kümmern.
Wie gut ist die EU-Richtlinie zum Emissionshandel aus umweltpolitischer Sicht?
Die Rahmendaten, die von der EU gesetzt wurden, sind akzeptabel. Die ökologische Wirksamkeit hängt aber entscheidend von der Ausgestaltung der nationalen Allokationspläne ab. Bis zum Frühjahr 2004 bekommen die Anlagenbetreiber der Energiewirtschaft und der Industrie auch in Deutschland vom Staat ihre Erstausstattung an CO2-Emissionsrechten zugeteilt. Im Moment versucht die Industrie jedoch massiv, ihre schon früher eingegangenen Reduktionsverpflichtungen auf andere Sektoren abzuwälzen. Wenn das klappt, macht das System wenig Sinn. Zudem muss sich die Obergrenze der insgesamt ausgegebenen Emissionsrechte langfristig an den klimapolitischen Erfordernissen orientieren. Das heißt für die Industriestaaten: 80 Prozent weniger Treibhausgase bis 2050.
Der Verband der Energie- und Kraftwerkswirtschaft warnt, mit dem Emissionshandel drohe eine schleichende Deindustrialisierung.
Das ist absoluter Nonsens, reine Propaganda. Energiewirtschaft und Industrie wollen sich aus ihrer Verantwortung stehlen, obwohl sie mit dem Emissionshandel ihre schon zugesagten Einsparverpflichtungen im Rahmen der freiwilligen Selbstverpflichtung nicht nur marktkonform, sondern sogar kostengünstiger realisieren können. Auch die Vorschläge vom Bundesverband der Deutschen Industrie sind im Sinne der Funktionalität des Systems keine große Bereicherung: Die Bundesregierung soll aus Steuergeldern einen Reservefonds für die Industrie einrichten, ihn mit gekauften Emissionsrechten aus dem Ausland füllen, falls die Industrie ihre Reduktionsziele nicht erreicht. Statt Verursacherprinzip soll wieder der Staat verantwortlich sein. Herr Eichel wird sich bedanken. Es ist doch bezeichnend, dass diejenigen, die immer nach Deregulierung und Eigenverantwortung schreien, nun nach dem Staat rufen.
Nach einem kürzlich veröffentlichen Entwurf einer weiteren EU-Richtlinie soll es möglich werden, einen Teil der Einsparungen über CO2-mindernde Auslandsprojekte im Rahmen der Kyoto-Mechanismen zu erbringen. Dafür könnten die Betreiber dann Gutschriften auf dem nationalen Emissionskonto erhalten. Viele befürchten umweltpolitische Schlupflöcher.
Problematisch wird es, wenn die EU nicht höhere Qualitätsstandards für Auslandsprojekte setzt als im Kyoto-Protokoll vorgesehen. Nach diesem Protokoll können beispielsweise sogenannte Senken - das sind Nutzungsänderungen in der Landwirtschaft oder Aufforstungen - angerechnet werden, bei denen heute noch völlig unklar ist, wie viel und wie lange sie Kohlenstoff binden. Im ersten Entwurf der EU-Kommission wurden deshalb einige Beschränkungen aufgenommen: Die Senken waren ausgeschlossen, und es wurde eine Obergrenze für die Anrechenbarkeit der Auslandprojekte in Höhe von acht Prozent der Emissionsrechte ins Auge gefasst. Wie ich aus Brüssel hörte, sollen diese Einschränkungen nun aber nicht mehr gelten. Damit würde man tatsächlich die Türen zum Missbrauch weit aufstoßen.
Das Gespräch führte Uwe Witt
Branchen, Grenzen, Strafen
Das System des Emissionshandels startet in der EU ab 1. Januar 2005. Es bezieht sich auf Industrieanlagen und Kraftwerke. Den Betreibern wird eine bestimmte Menge an Kohlendioxid-Emissionsrechten zugeteilt. Obergrenzen müssen nicht zwingend durch einzelne Anlagen selbst eingehalten werden. Zusätzlich benötigte Emissionsrechte kann ein Anlagenbetreiber von einem anderen kaufen, der weniger Klimagase emittiert als er Emissionsrechte zugeteilt bekommen hat. Bei einer nicht durch Emissionsrechte gedeckten Überschreitung werden Geldstrafen fällig: 40 Euro pro Tonne CO2 in der Pilotphase 2005 bis 2007 sowie 100 Euro pro Tonne im Zeitraum bis 2012.
Unter die Richtlinie fallen - in Abhängigkeit von der Kapazität - Anlagen der Energieerzeugung, der Eisen- und Stahlindustrie, der mineralölverarbeitenden Industrie sowie der Papier- und Zellstoffherstellung. Betriebsstätten der Chemie- und Aluminiumindustrie können beginnend mit der zweiten Periode ab 2008 in das Handelssystem einbezogen werden. Verkehr, Dienstleistungen und private Haushalte werden nicht vom Emissionshandel erfasst.
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