Hören Sie zu!

Endlosschleife Kevin Vennemanns Roman "Mara Kogoj" fragt nach den NS-Gräuel in Kärnten im April 1945

Nach einem schmalen Erzählbändchen, das noch weitgehendst Fingerübungen in Prosa enthält, und dem vielbeachteten Romandebüt Nahe Jedenew (Freitag 14/2006) hat Kevin Vennemann nun seinen zweiten Roman im Suhrkamp-Verlag vorgelegt. Roman - man muss sogleich stutzen, wenn man die ersten Seiten dieses Prosatextes, der keine Kapitel und nur wenige Absätze - mithin also äußere Strukturmerkmale - kennt, gelesen hat. Eher lägen da schon Thomas Bernhardsche Bezeichnungen für den Untertitel bereit. Zum Beispiel "Eine Untersuchung" oder "Eine Erörterung", wahlweise auch "Ein Protokoll" oder "Ein Verhör".

Denn darum geht es Vennemann: anhand von Befragungen Betroffener und Nachgeborener die Wahrheit über jene Vorgänge Ende April 1945 herauszubekommen, die sich auf dem Hof der Familie Sadovnik in Kärnten ereignet und schließlich mit der brutalen Ermordung von elf Familienmitgliedern geendet haben. "Der Persmanhof", erfahren wir gleich auf der zweiten Seite des Textes, "der Familie Sadovnik war einer der wichtigsten Südkärntner Partisanen-Stützpunkte im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Hier ereignete sich in den letzten Kriegstagen, am fünfundzwanzigsten April neunzehnhundertfünfundvierzig, eines der furchtbarsten NS-Verbrechen an der Kärntner Zivilbevölkerung. Elf Familienmitglieder der Familien Sadovnik und Kogoj wurden dabei von Angehörigen des SS-Polizeiregiments dreizehn getötet, das Haus in Brand gesteckt. Ab neunzehnhundertsechsundvierzig kam es zu Ermittlungen am zuständigen Landesgericht, diese wurden jedoch neunzehnhundertneunundvierzig eingestellt, eine Wiederaufnahme in den sechziger Jahren verlief ebenso erfolglos wie zuvor."

Im Rahmen von Interviews, so das knappe Erzählgerüst von Vennemanns Text, befragen die beiden Kollegen Mara Kogoj und Tone Lebonja nicht nur Zeitzeugen, sondern auch intensiv jenen Ludwig Pflügler, der ebenso nationalistisch, heimattümelnd und xenophobisch verbohrt ist wie sein Vater Heinrich und der dessen verqueres ideologisches Gebräu historisch bis in die Gegenwart weiterspinnt. Im Grunde genommen jedoch handelt Vennemanns Text nicht über die Geschichte, sondern inszeniert er vielmehr ein Diskursgeflecht, in dessen Gewebe irgendwie und irgendwo der Begriff der Erinnerung eingeschlossen ist. Wer erinnert sich woran? Wie funktioniert überhaupt Erinnerung? Und an welche Bedingungen ist dieser Akt geknüpft?

In Endlosschleifen und mäandernden Reden, die sich zum Teil alternierend wiederholen, sowie im Zwiegespräch, wobei es keine Innenschau gibt und jeder Gedanke an Psychologie nicht einmal aufzukommen vermag, werden die heiklen Themen umkreist: das problematische Verhältnis der Deutschen zur slowenischen Minderheit, die Konkurrenz und Rivalität der Sprachen und Kulturen zueinander, die schwierige politische Konstellation in der Geschichte Kärntens im zurückliegenden 20. Jahrhundert.

Überall lauern die Vorurteile und ein absichtsvolles Mißverstehen. Und an jedem einzelnen Punkt macht der Text deutlich, dass so etwas wie Erinnerung umstellt ist von ideologischen Vorannahmen, von Klischees und Stereotypen, die die Idee einer gleichsam naiv-spontanen (Ur-)Erinnerung gar nicht zulassen. Historische Kontexte - wie etwa, allen andern voran, die Erfahrung des Faschismus einerseits, des politischen Widerstands gegen die Nazis andererseits - überlagern, ja determinieren den Erinnerungsdiskurs.

Vennemanns Lehre, wenn es denn erlaubt sein darf, eine Quintessenz seines Romans zu ziehen, könnte so lauten: Es existiert keine objektive Wahrheit, kein faktum brutum, das man dann auch noch Wirklichkeit nennen dürfte. Weshalb der Text dann auch in (s)einer kreisenden Suchbewegung wieder (selbstreflexiv) auf seinen Anfang zurückverweist, da der letzte Satz lautet: "Hören Sie zu:" Und das heißt eben: erzählen wir uns wieder einmal, noch einmal, schier endlos eine Geschichte, die so anfangen könnte: "Dabei scheint zu Beginn bereits und auf den ersten Blick das meiste aus Vergangenem so sehr vertraut wie schon wenigstens einmal und so viele Male ganz ähnlich gehört, kürzlich doch erst, und sowieso immer und immer wieder allein nur dasselbe zu sein, wenn mir nun Mara eines Tages, nachdem sie zum dritten Mal verschwunden war und erst zehn Monate später zurückgekehrt, von dem berichtet, um das es ihr eigentlich und überhaupt geht und immer schon habe gehen müssen, hier, in allem."

Kevin Vennemann: Mara Kogoj. Roman. Frankfurt, Suhrkamp, 2007, 217 S., 16,80 EUR


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