Horizonte feministischer Expo-Kritik

WELTAUSSTELLUNG Großartige Inszenierungen ersetzen die Auseinandersetzung über die Zukunftsfähigkeit der bestehenden Wirtschaftsweise und des grenzenlosen Neoliberalismus

Die Expo 2000 verspricht Abenteuer, Spaß und Bildungserlebnisse. "Erlebnislandschaften", "eine Mischung aus Las Vegas und Disneyland", "atemberaubende Simulationen" sollen dem Besucher nicht nur Einblicke ins 21. Jahrhundert geben, sie sollen diese sinnlich erfahrbar machen. Die Expo in Hannover gibt sich einen kritischen Anstrich. Unter dem Motto "Mensch-Natur-Technik - Eine neue Welt entsteht" - vertritt sie den Anspruch, sich der großen Menschheitsfragen, vor allem der ökologischen Probleme, anzunehmen. Der explizite Bezug zur Agenda 21 - dem 1992 in Rio verabschiedeten Aktionsplan zur nachhaltigen Entwicklung - signalisiert Problemlösekompetenz in Sachen Umwelt.

So präsentieren sich auf der Expo nicht nur mehr als 170 Staaten in eigens errichteten Länderpavillions, sondern internationale Organisationen und Konzerne greifen im Themenpark globale Probleme sozialer, ökologischer und ökonomischer Art auf. Frauen kommen im Konzept der Weltausstellung - deren Leitung Birgit Breuel hat - nicht vor. Sie dürfen sich jedoch zu Wort melden. Zeitgleich und in loser Verbindung zur Expo findet - ohne wechselseitigen inhaltlichen Bezug - eine internationale Frauenuniversität, kurz: IFU, statt.

Angesichts dieser nach außen demonstrierten Weltoffenheit und Pluralität und angesichts der vermeintlichen Aufnahme von kritischen Positionen stellt sich die Frage, was - zudem aus feministischer Perspektive - an der Expo zu kritisieren sei. "Zeigt sich hier etwa eine unerwartete Hingabe zur Kultur? Ist die Welt letztlich doch nicht so schlecht?" fragte eine portugiesische Kritiker-Gruppe angesichts der letzten Expo 1998 in Lissabon.

Als Reaktion auf die Ignoranz der Ausstellungsmacher gegenüber den Beteiligungsinteressen von Frauen gründeten Feministinnen 1997 in Hannover den Verein "Frauen Expo". Sie folgten damit der Einschätzung, dass die Expo zwar nicht zu verhindern, eine Fundamentalopposition daher aussichtslos sei, dass es aber sinnvoll wäre, in die Gestaltung der Expo einzugreifen. Das in der Satzung verankerte Vereinsziel besteht darin, die "weibliche Sicht auf das Thema 'Mensch-Natur-Technik'" zu vermitteln. Der Arbeitsschwerpunkt des Vereins, der zunächst darauf zielte, die Teilnahme von Frauenprojekten auf der Expo selbst zu unterstützen, stellte sich bei Quadratmeterpreisen von 4000,- DM als illusorisch heraus. Ein Verein, der von den Beiträgen seiner Mitglieder lebt, kann keinesfalls die Trägerschaft für ein Frauenprojekt mit den daraus erwachsenden finanziellen Verpflichtungen übernehmen. Entsprechend klein wurden die Spielräume der Frauen. Da die Anordnung auf der Expo vorgegeben und die Vereinsressourcen gering waren, blieb letztlich nur die feministische Kommentierung: "Das hieß beispielsweise Vorschläge dazu zu erarbeiten, wie Frauensichtweisen in Rahmenkonzepte integriert werden könnten, und es hieß Kontakt zu Verantwortlichen der einzelnen Themenbereiche aufzunehmen, um ihnen die entsprechenden Vorschläge nahezubringen". Jutta Meyer-Siebert, Vorstandsmitglied des Vereins, bringt den Widerspruch auf den Punkt: "Mit unserem Anliegen, innerhalb der Expo-Strukturen zu 'wirken', befanden und befinden wir uns in der paradoxen Situation, dass wir diejenigen, die wir kritisieren woll(ten) - die Expo-Verantwortlichen - überzeugen mussten, uns ihre Türen zu öffnen, Einblick in ihre Strukturen und Planungen zu geben. Eine Chance für uns, einen Fuß in die Türen der Expo-GmbH zu bekommen, hing entscheidend davon ab, ob es irgendein Interesse auf deren Seite an unserer Arbeit gab." Dieses Vorgehen beinhaltete auch den Umgang mit der permanenten Gefahr der Vereinnahmung und des Verlustes an kritischer Distanz zur Expo.

Genau dies kritisieren die radikalen Expo-Gegnerinnen von "mamba" (Arbeitsgruppe Feministische Expo Kritik) in Hannover. Sie plädieren dafür, sich vom Gedanken des "kritischen Mitmachens" zu lösen und die Expo als Medium für patriarchale Inhalte und Gesellschaftsentwürfe fundamental zu kritisieren. Vor allem wenden sie sich gegen die Präsentation der Gentechnik als Weltrettungs-Technologie und gegen das Verschweigen der aus Gentechnik erwachsenden Probleme.

Aufgabe feministischer Kritik ist vor allem, danach zu fragen, wie eigentlich große Menschheitsfragen gestellt werden, wenn sie Frauen - und damit die größere Hälfte der Menschheit - nicht berücksichtigen. Die alte Dominanzstrategie wird fortgesetzt, obwohl mittlerweile auch die UNO erkannt hat, dass die Weltprobleme geschlechtsspezifisch angegangen werden müssen

Seit ihrem Bestehen 1851 präsentierte sich die Expo als Ort globaler Problemlösungen. Unter dem Motto "industries of all nations" stellte die Expo damals in London nicht nur neue Technologien aus, sondern sah diese als Antworten auf gesellschaftliche Fragen. Seitdem findet alle paar Jahre eine Expo statt. Und es geht dabei jeweils um mehr als um die Ausstellung der neuesten wissenschaftlich-technischen Entwicklungen, es geht um Akzeptanz technischer Lösungen für gesellschaftliche und soziale Probleme. Großartige Inszenierungen ersetzen die Auseinandersetzung. Unter dem Motto: "Bilanz der Welt für eine menschlichere Welt" wurde beispielsweise 1958 in Brüssel für die friedliche Nutzung der Atomenergie geworben. Wahrzeichen der Weltausstellung in Brüssel war ein überdimensionales Atomium.

Die diesjährge Expo wurde zur Weltausstellung "neuen Typs" erklärt, weil sie offensiv den Anspruch vertritt, sich der drängenden sozialen, kulturellen und vor allem ökologischen Probleme anzunehmen.

Doch was auf den ersten Blick als ökologisch-soziale Einsicht erscheinen mag, erweist sich bei näherer Hinsicht als Makulatur. Ein Blick auf die Aussagen und Ansprüche der Ausstellungsmacher selbst zeigt, dass es weniger darum geht, die ökologisch-soziale Erneuerung voranzutreiben als vielmehr darum, die Zukunftsfähigkeit der bestehenden Wirtschaftsweise nachzuweisen. Dies geschieht, indem ihre Destruktivität ausgeblendet und alles Profitbringende als gesellschaftliches Allheilmittel präsentiert wird. Hier sind vor allem die Gen-, Bio- und Informationstechnologien zu nennen.

Im Themenpark - so lassen die Ausstellungsmacher verlauten - wird "das künftige Miteinander auf dem Globus aus den verschiedensten Blickwinkeln betrachtet". Auf 100.000 Quadratmetern werden 111 Einzelausstellungen präsentiert. Die elf Themen sind nicht gerade bescheiden angelegt: Mensch, Umwelt, "Basic Needs", Ernährung, Gesundheit, Energie, Mobilität, "Zukunft der Arbeit", "Wissen-Information-Kommunikation", "Planet of Visions" und "Das 21. Jahrhundert". Sie werden von Großkonzernen, Verbänden, Ministerien gestaltet, den sogenannten "Mitgliedern und Fördereren". Multimedial-künstlerisch aufbereitet verkörpert schon die Gestaltung Forschrittsglauben und Technikeinsatz auf der Höhe der Zeit.

Das Thema "Mensch" etwa stellen sich seine "Mitglieder und Förderer", die Allianz-Versicherung, der Verband für Chemische Industrie und das Bundesministerium für Familie, Soziales und Frauen, so vor: "Ein riesiges Schiff bildet die Kulisse für das Thema 'Mensch'. Symbol für den Aufbruch ins neue Jahrtausend. Im Mittelpunkt steht der Besucher selbst ... Dabei wird er mit existentiellen Fragen konfrontiert, wie etwa: Wird die Genomforschung uns völlig entschlüsseln und unser Verhalten aus den Genen lesen können?"

"Die Bevölkerungsexplosion" steht im Zentrum des Themas "Basic Needs". Hier gilt: "Dem Besucher wird klargemacht, dass die Bevölkerungsexplosion die Aufgabe, weltweit Basic Needs zu befriedigen, enorm erschwert". Damit das den BesucherInnen unter die Haut geht, wurden suggestiv wirkende Klaustrophobie-Effekte eingebaut: "Die Menschenmenge wird ... durch immer enger werdende, verspiegelte Gänge geschleust, bis sich die Beklemmung einstellt und die sich anschließende räumliche Weite und Menschenleere als wohltuend empfunden wird." Mitglieder und Förderer dieses Themenparks sind u.a. Vorwerk und Brot für die Welt.

Auch das Thema Mobilität birgt wenig Überraschung. Gesponsert von Continental, MAN, BMW, Deutsche Bahn AG und Lufthansa AG wundert es nicht, dass Mobilität hier zur Voraussetzung "menschlichen Handelns" schlechthin wird. Die entsprechende Menschheitsaufgabe lautet "mobile Freiheit und freie Mobilität auch in Zukunft gestalten". (Mehr dazu unter: www.expo2000.de.)

Was in die Expo-eigenen Problemdefinitionen und Problemlösungen eingeht und was ausgeblendet bleibt, ist offensichtlich: Die vermeintlich interessensneutrale Auseinandersetzung mit globalen gesellschaftlichen Problemen entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Wirtschafts-PR. Die "Mitglieder und Förderer" der jeweiligen Themen sind mehrheitlich Konzerne, die von ihren Gewinn-Interessen keineswegs abstrahieren. Auch der Leiter des Themenparks macht daraus kein Geheimnis: "So wie sich eine Nation auf der Weltausstellung präsentiert, hat auch ein Unternehmen die Chance, seine Zukunftsperspektiven einem Millionenpublikum vorzustellen".

Die große Vision der Expo sind neoliberale Deregulierung, Entfesselung der ökonomischen Kräfte und die absolute Marktfreiheit für die Unternehmen. Im Themenparkkonzept von 1997 heißt es: "Global agierende Unternehmen dominieren mit ihren Produkten zunehmend den Wettbewerb. Im Streben nach Gewinnmaximierung werden arbeitsintensive Produktionen häufig in ... Entwicklungsländer verlagert. Dies fördert auch die Ausdehnung der Märkte und lässt immer mehr Menschen am Wohlstand teilhaben ... Vision: Weltfrieden durch Welthandel". Diese Vision kann nur dann plausibel werden, wenn Herrschaftsverhältnisse und Ungleichheiten ausgeblendet werden. Herrschaft wird kurzerhand zur moralischen Frage erklärt. Unterschiede werden nivelliert: Alle sollen eine "Ethik globaler Verantwortung" übernehmen: "Alle Länder fügen der Natur großen Schaden zu".

Die weltweiten Probleme werden auf der Expo auf eine Weise zugeschnitten, die nur eine Lösung erlaubt: Immer mehr Technikentwicklung und immer mehr Markt. Dies kann als Leitmotiv und 'heimliches' Motto der Expo gelten. "Mensch und Natur sind natürliche Feinde, Technik ist das einzige Mittel, das der Mensch hat, um die Natur nicht zu sehr zu schädigen" (FAZ). Die Expo-Schlüssel für nachhaltige Zukunftsgestaltung sind die Stärkung des marktwirtschaftlichen Systems und der Technikakzeptanz.

Die Expo ist eine mit öffentlichen Geldern finanzierte PR- und Imagekampagne für Konzerne, wobei privatwirtschaftliche Belange als allgemein gesellschaftlich relevante verkauft werden. Die Öffentliche Hand begünstigt Unternehmen durch die Verteilung von Ressourcen. Zusätzlich zu den öffentlichen Mitteln, die bereits eingeflossen sind, bürgt der Bund für das - mittlerweile als defizitär analysierte - Finanzierungskonzept mit bis zu einer Milliarde DM. Geld, mit dem die Konzerne - ohne großes Risiko - ihre Problemdefinitionen, Problemsichten und Problemlösungen präsentieren und sich somit als ernstzunehmende gesellschaftspolitische Kraft etablieren können. Da es auf der Weltausstellung selbst kaum Gegenstimmen und Gegenpositonen gibt, wird hier die Alternativlosigkeit der vorgestellten Lösungen suggeriert. In diesem Sinne lässt sich die Expo als Teil eines Deutungskampfes verstehen. Eine PR-Show, die allein durch ihre Größe und ihr finanzielles Potential Fakten schaffen wird. Ein wichtiges Moment dieses Deutungskampfes ist der Ausschluss von Fragen, die nur von einem Standpunkt der Reproduktion, des Lokalen, der Gebrauchswerte sichtbar werden.

Die Macht der Konzerne, die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter deren Profitlogik und Konzernkultur ist nicht Lösung, sie ist Ursache vieler Probleme. Als Lösung wird präsentiert, was aus einer feministischen Sicht, die sich den Fragen der alltäglichen Reproduktion unter den unterschiedlichsten Bedingungen nicht verschließt, die Ursache ist. Die Politik der Konzerne verschärft die gesellschaftlichen Probleme nicht nur, sie bringt sie hervor. Denn eine Voraussetzung der Gewinnmaximierung ist die Unterwerfung der Lebensgrundlagen unter diese Logik. Die Expo schweigt über diese Zusammenhänge und negiert sie damit. Rosa Luxemburg hat dies als Voraussetzungen des Kapitalismus bezeichnet. Sie hat gezeigt, dass der Kapitalismus ein Hinterland braucht, um zu existieren. Kriege, Hunger, Elend, Armut und die Zerstörung der Lebensgrundlagen von immer mehr Menschen sind so gesehen keine zufälligen Nebenerscheinungen, sondern strukturelle Momente des transnationalen Kapitalismus. Die Kosten dieser Entwicklungen jedoch werden abgeschoben und weltweit vielfach durch Frauen getragen. Christa Wichterich hat in ihrer Studie "Die globalisierte Frau" (1998) gezeigt, dass es meist Frauen sind, die in den real-existierenden Geschlechterverhältnissen dafür Sorge tragen, bei zunehmender Zerstörung der Lebensgrundlagen den Alltag und damit das Überleben zu sichern.

Dies ist eine folgenreiche Ausblendung zugunsten des hier gefeierten Wirtschaftssystems. Die Expo ist mehr als Spaß und Abenteuer, mehr als die harmlose Präsentation neuester technischer Errungenschaften. Sie ist wichtiger Bestandteil eines neoliberalen Projekts, das für die Durchsetzung eines gesellschaftlichen Zukunftsentwurfs kämpft, der alles marginalisiert und entwertet, was nutzlos ist für Wachstum, Wettbewerb und Profit. Rosa Luxemburg schrieb: "Die bürgerlich-liberale Theorie faßt nur eine Seite: die Domäne des ›friedlichen Wettbwerbs‹, der technischen Wunderwerke und des reinen Warenhandels ins Auge, um die anderen Seite, das Gebiet der geräuschvollen Gewaltstreiche des Kapitals, als mehr oder minder zufällige Äußerungen ... von der ökonomischen Domäne des Kapitals zu trennen". Damit ist die Funktion der Expo bestens auf den Punkt gebracht.

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