Ich würde ja wahnsinnig werden ...

Symbole der Zeit Die Medienkünstlerin Valie Export über Feminismus, Radikalität des Körpers und die ewig falschen Fragen

Valie Export, geboren 1940 in Linz, veranstaltet in den 1960er und 1970er Jahren viel beachtete Performances mit feministischem Impetus; dazu gehörte das Tapp und Tast Kino, bei dem sie sich ein kastenförmiges »Kino-Objekt« um den Oberkörper band und Passanten aufforderte, in den Kasten zu fassen. In Body Sign Action ließ sich Export ein Strumpfband - als »Zeichen der vergangenen Versklavung« - auf den Oberschenkel tätowieren, der Film Remote Remote zeigte in Großaufnahme, wie Export die Haut unterhalb ihrer Fingernägel mit einem Papiermesser bearbeitet. Kürzlich widmete die Akademie der Künste in Berlin Valie Export eine große Werkausstellung (s. Freitag 9/2003).


FREITAG: Im Jahr 1996 entstand Ihre Installation »Der Schrei«, für die Sie über ein Laryngoskop Ihre eigene Luftröhre filmten beim Versuch, Schreie auszustoßen. Tat das weh?
VALIEEXPORT: Nein, ich wollte mir sicherlich keinen Schmerz zufügen.

In Ihren frühen Arbeiten aus den siebziger Jahren sieht es nicht so aus, als ob Sie auf Schmerzen Rücksicht nehmen. Bei »Remote ... Remote« zum Beispiel ...
Das war eine Aktion die mit Schmerzen verbunden war.

Und als Sie sich über die Glasscherben gerollt haben?
Das kommt eben auf die Glasscherben an.

Es hat auch keine Schnitte gegeben?
Nein, nur vereinzelt wurde ich durch die Glasscherben geschnitten, es sollten ja auch Spuren auf meiner Haut entstehen.

Und in den »Bewegungsinstallationen«, wo Sie zum Beispiel auf Zehenspitzen in einem kleinen Stacheldrahtrund balancierten?
Ich stand so lange, bis der Fuß runtersank.

Das heißt, Sie haben sich nie wirklich weh getan?
Ich habe mir nie aus einem masochistischen Moment heraus weh getan. Es ging mir nie darum, in einer masochistischen Attitüde mich selbst zu verletzen. Natürlich können Verletzungen entstehen bei einem künstlerischen Ausdruck.

Wenn man zurückblickt, wirken Ihre frühen Arbeiten beeindruckend radikal.
Für mich hat sich damals nicht die Frage des Radikalen gestellt, obwohl ich wusste, dass meine Arbeiten radikal waren. Damals war die Frage: in welcher Gesellschaftsform lebe ich? Welchen Stellenwert habe ich? Ich habe mich damit beschäftigt, wie ich bestimmte Dinge der Gesellschaft in der ich lebe ausdrücken möchte. Am Anfang stand nicht die Idee, sondern die Analyse.

Heute arbeiten Sie fast gar nicht mehr mit dem Körper. Warum eigentlich?
Es hat keinen besonderen Grund. Man malt nicht immer dasselbe Bild und man macht nicht immer dieselbe Kunst. Sonst würde man sich wiederholen. Es wäre sicherlich nicht schwierig gewesen, immer wieder performativ mit dem Körper künstlerisch zu arbeiten. Für mich selbst ist diese Sache, mit dem Medium des Körpers zu arbeiten - nicht vorbei, das kann ich nicht sagen, es kann ja wieder kommen - ... aber man steckt eben in einer anderen Phase.

Waren Sie nicht nach all den Aktionen auch ermüdet? Erschöpft?
Das könnte ich nicht sagen. Ich habe viele Jahre Performances gemacht. Formen. Duchamps fragt man ja auch nicht: Sie haben das Urinal gemacht, warum machen sie nicht wieder eines und noch mal eines, das so radikal ist. Der Anspruch der Gesellschaft, das einmal erlebte Image immer wieder darzustellen, ist unfair. Ich würde ja wahnsinnig werden, wenn ich immer das Radikalste machen wollte. Abgesehen davon, wäre das dann eine vollkommen konstruierte Kunst.

In der Fotoserie »Identitätstransfer« von 1968 treten Sie mal als männliche und mal als weibliche Figur auf. Heute werden »Gender-Performances« häufig gemacht. Haben Sie das Gefühl, dass diese Themen Ihnen jetzt hinterherkommen?
Diesen Eindruck hat man schon, es dauert immer viel länger, bis etwas in der Gesellschaft ankommt. Doch wenn man sich mit Feminismus beschäftigt, kommt man natürlich zu Geschlechtsdarstellungen und zu der Idee eines Transfers. Ob es nun der virtuelle Körper ist oder der digitale Körper oder das andere Geschlecht: Es gibt da immer eine große Sehnsucht, die eigene Identität noch zu erweitern, und sich zu transferieren.

Wie stehen Sie zu den neueren Gendertheorien? Die sehen Zweigeschlechtlichkeit als Herrschaftssystem.
Der Feminismus hat seit Jahrzehnten schon erklärt, dass Dualismus Machtstrukturen darstellt und dass es keine feste Identität gibt, sondern nur das Hybride, das »Polyphone«, wie ich es nenne. Dass man einen bestimmten, und nicht selbst bestimmten Körper verlassen möchte, ist ja ganz klar, aber man kann den Körper trotzdem nicht verlassen, denn er ist Träger [der Zeichen, A. R.] und immer noch eine Zuordnung.

Wo liegen heute die Herausforderungen für den Feminismus?
Die liegen immer noch im sozialen Bereich. Man muss sehen, dass Frauen immer noch geringer bezahlt werden, immer noch schlechtere Arbeitsbedingungen haben als Männer. Wir wissen dass Frauen nur bis zu einem gewissen Grad höhere berufliche Positionen erreichen können, doch dann ist meist Schluss. Wir müssen uns mit diesen Strukturen auseinandersetzen und dürfen nicht glauben, es sei schon alles erreicht.

Ist das alles, was es an feministischer Herausforderung gibt? In Ihrer Berliner Ausstellung gab es auch die Bild-Text-Ton-Installation »Violation/Schnitte« (1995 work in progess). Man sieht dort Dias von Beschneidungsszenen, daneben ist auf einem Monitor Ihre Stimmfrequenz zu sehen, während Sie Statements von Männern zur Beschneidung verlesen.
Mit dem Thema Beschneidung beschäftige ich mich schon lange, schon seit den siebziger Jahren. Ich habe versucht, Beschneidung über künstlerische Werke darzustellen, soweit man dieses Thema künstlerisch überhaupt bearbeiten kann. Aber für mich ist das Thema - auch in dem früheren »Remote ... Remote« - immer die Herrschaft über den Körper, der Eingriff in die persönliche Sphäre. Bei »remote« - was ja »zurück« heißt - zeigt das, dass Verletzungen, die früher entstanden, nun sichtbar werden. Über den weiblichen Körper wird immer Macht ausgetragen. Am Auffälligsten wurde das bei den Massenvergewaltigungen im Jugoslawien-Krieg. Hier sah man, dass es nicht um das Sexuelle geht sondern darum, über den weibliche Körper eine Machtposition, eine Vorherrschaft auszudrücken. Diese Vergewaltigungen müssen ins Bewusstsein kommen. Durch die Vergewaltigungen im Jugoslawien-Krieg ist der Öffentlichkeit bewusst geworden, dass der weibliche Körper ein Schlachtfeld als Schlachtfeld der Macht ist.

Es gibt ja die These, dass es in den sogenannten »neuen«, »irregulären« Kriegen wesentlich mehr Vergewaltigungen geben wird als in der traditionellen Form der Kriegsführung. Gibt es künstlerische Möglichkeiten, so etwas darzustellen?
Ich habe versucht darüber künstlerisch zu sprechen, indem ich die Beschneidungen zum Thema machte, die eine Art von Vergewaltigung sind. Man kann das sicher auch auf eine andere Art und Weise darstellen ...

Ich frage deshalb, weil ich wissen möchte, wo die neuen Themen liegen.
Es ergeben sich täglich neue Themen, die mit neuen Arbeiten verbunden sind.

Doch die Herrschaftsverhältnisse sind heute subtiler geworden. Es gibt diesen Satz: Die Macht ist überall. Dem müsste sich die Kunst, auch die feministisch inspirierte, stellen.
Wenn man sagt, die Macht sei überall, wo kann man dann noch etwas Radikales ansetzen?

Genau das ist meine Frage.
Die Macht war immer überall, wenn vielleicht auch verborgener, oder sie wurde nicht so empfunden. Doch den Satz »die Macht ist überall« muss man differenzieren. Das kann man so nicht sagen, denn dann kämen wir zu einem Punkt an dem es heißt: o.k., alles ist Macht, man muss alles bekämpfen. Aber das ist es nicht.

Wo steckt heute das Tabu?
Der Staat hat alle Tabus besetzt, deswegen gibt es keine mehr, könnte man annehmen. Der Staat ist raffiniert, er ist wie ein Gummiband, das immer wieder zurückschnellt. Wir sollten also die staatlichen Regeln hinterfragen, dekonstruieren und prüfen, wieweit sie humangesellschaftlich tauglich sind.

Sind Ihre frühen Arbeiten aktuell geblieben?
Ich denke, fast jede Arbeit ist immer aktuell, weil sie ein Zeitdokument ist. Sie nimmt das auf, was zu einer bestimmten Zeit das Wichtigste ist. Man kann es natürlich nicht in eine andere Epoche transformieren, es würde nicht mehr das sein, was es war.

Was könnte heute an die Stelle eines »Tapp- und Tast-Kinos« treten? Wie könnte man diese Radikalität, auch die feministische Radikalität, heute herstellen?
Man muss erkennen, wo die Symbole der Zeit liegen, und mit denen muss man arbeiten.

Was wäre das?
Es ist immer noch die Privatsphäre, es ist immer noch der weibliche Körper, aber natürlich in einer ganz anderen Art und Weise als er es dazumal war. Vielleicht müsste man hergehen und sagen man verzichtet auf den Körper. Dass man dem Körper nicht mehr die Bedeutung zuordnet die er hat und sich nicht mehr tyrannisieren lässt, wie es ja heutzutage sehr stark geschieht über die Werbung, die Schönheitsideale. Aber es sind auch die Symbole der politischen Macht, der gesellschaftlichen Macht, die alle treffen, nicht alleine Frauen.

Wie sähe das konkret aus?
Na, ich würd´s machen, wenn ich´s wüsste! Oder anders gesagt, ich mache es durch meine Arbeiten auch jetzt. Mir werden immer dieselben Fragen gestellt. Immer wird gefragt, wo liegt »es«? Das muss jedoch jeder für sich selbst finden.

Was hätte ich Sie fragen sollen, um nicht immer dasselbe zu wiederholen?
Wenn ich das jetzt wüsste ... dann würd´ ich die Frage stellen.

Das Gespräch führte Andrea Roedig

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