Die Radikalität, mit der Bruno Dumont in seinen ersten Filmen "La Vie de Jesus" und "L´Humanité" mit landläufigen Sehgewohnheiten brach, hat ihm einen einzigartigen Platz auf der Kartographie des europäischen Autorenkinos eingebracht. Seine Filme sind kühne Zumutungen: ereignislos und minimalistisch erzählt, setzen sie an die Stelle einer traditionellen Dramaturgie ein existenzielles Geworfensein. Die eigenwillige Roheit der Filme dieses ehemaligen Philosophieprofessors wurde auf Festivals regelmäßig ausgezeichnet (sein jüngster, "Flandres", erhielt im letzten Jahr in Cannes den Großen Preis der Jury) und hat heftige Kontroversen ausgelöst. Sein dritter Film "Twentynine Palms", der mit mehrjähriger Verspätung in unsere Kinos kommt, kreist um einen Fotografen (David Wissak), der gemeinsam mit seiner russischen Freundin (Katia Golubeva) in der nordkalifornischen Wüste auf Motivsuche ist: Ein verstörend puristischer Kinotrip, der seinem Regisseur den Vorwurf einer nihilistischen Weltsicht eingebracht hat.
FREITAG: Ihre ersten Filme spielten in der flachen Landschaft, der Einöde Ihrer nordfranzösischen Heimat. War es für Sie konsequent, ja unausweichlich, einmal einen Film in der Wüste zu drehen?
BRUNO DUMONT: Ich drehe ein Kino, das zu den Ursprüngen der menschlichen Existenz zurückkehrt, ein sehr erdverbundenes Kino. Wenn ich einen Baum Filme, dann versetze ich mich in ihn hinein. Die Wüste ist eine Metapher und zugleich ein Ort tiefer haptischen Erfahrungen. An einem mineralischen, unbelebten Ort wie diesem ist man viel enger mit den Ursprüngen verbunden. Man steht ungeschützt auf der Erde.
Was war der Ausgangspunkt für "Twentynine Palms"? Die Schauplatzsuche für einen anderen Film?
Genau. Der Film sollte The End heißen. Es zeichnete sich bald ab, dass aus diesem Projekt nichts werden würde. Aber die Faszination des Schauplatzes blieb. Ich entschied mich, die Schauplatzsuche selbst zum Gegenstand des Films zu machen. Twentynine Palms ist ein vollständig autobiographischer Film. Alles was der Film erzählt, ist wirklich passiert. Ich habe die Reise zusammen mit einer Freundin gemacht. Dabei ist meine Geschichte mit dem Mädchen eigentlich völlig uninteressant: ein Anlass, ebenso gut wie jeder andere. Twentynine Palms ist ein Experiment, der Versuch, ein Kino zu machen, das sein eigenes Sujet zerstört. Bei der Malerei hat mich immer interessiert, wie sie das Motiv überwindet, um zum Kern vorzustoßen. Cézanne hat über fünfzigmal die Montaigne Sainte-Victoire gemalt. Und warum auch nicht? Das Motiv hat keine Bedeutung. Was den Betrachter fasziniert, sind Cézannes Sinneseindrücke, seine Empfindungen. Und mir geht es auch nur um meine Wahrnehmung der Welt. Die Welt an sich ist mir egal.
Dennoch wird Ihr Film ganz stark von seinem Schauplatz determiniert.
Mir wurde schnell klar, dass ich einen Horrorfilm drehen wollte, denn die Wüste hat mir Angst eingejagt, physische Angst. Bei einer solchen Reise hat man ja immer das amerikanischen Kino im Gepäck; unwillkürlich erwägt man die Möglichkeiten einer Bedrohung. Die bleibt bis zum Ende des Films unsichtbar, unterdrückt. Dennoch leben die beiden Hauptfiguren bis dahin unablässig in einem Zustand der Angst, ohne einen Grund dafür zu haben. Das Grauen erwächst aus ihnen selbst. Beim Drehen war mir das zunächst gar nicht bewusst. So etwas passiert, wenn man das Risiko eingeht, Szenen zu drehen, in denen nichts passiert. Die Angst habe ich erst beim Sehen der Muster gespürt, etwa in der Szene im Pool. Obwohl er einfach nur ganz ruhig auf sie zuschwimmt, liegt für mich darin eine ungeheure Spannung.
Ihre Figur sind ausdrucksarm. Auch die Dramaturgie Ihrer Filme stellt keinen Versuch, der sinnhaften Vermittlung dar. Steckt darin eine Provokation oder eine Einladung an den Zuschauer?
Ich denke, dass meine Filme ihm viel Raum lassen, das Fehlende, die Leere zu füllen. Er hat die Aufgabe, den Film in seinem Kopf weiter zu konstruieren. Gewiss, man könnte sagen, ich spiele mit ihm.
Dennoch erwartet er zumindest Rudimente einer Handlung.
Wahrscheinlich. Das Kino macht sich viel zu abhängig von Kategorien wie der Handlung, dem Sujet, den Beziehungen der Figuren. Ich wollte sehen, ob es mir gelingt, diese Oberfläche filmisch zu negieren und zu den tieferen Schichten vorzudringen.
Ihre Perspektive ist entschieden europäisch: Ein US-Regisseur wäre nicht unbedingt auf die Idee gekommen, dass seine Charaktere in der Wüste Sex haben könnten.
Da steht den Amerikanern der eigene Puritanismus im Weg. Die Erotik ist ja sehr gewalttätig in meinen Filmen. Die sexuelle Beziehung in Twentynine Palms ist heikel, sie ist orgiastisch und wild. Die Wüste ist ein Ort der Gnade, an dem man sich frei und nackt bewegen kann. Es ist das Paradies, der Ursprung der Leidenschaft, des Begehrens, der Liebe. Und zugleich ist es ein feindseliger Ort. Ihm wohnt etwas Verdorbenes inne. Diese Doppeldeutigkeit finde ich großartig. Nirgendwo sonst spürt man, wie untrennbar Liebe und Tod miteinander verknüpft sind.
Warum ist Ihr Kino so radikal der Idee der Erbsünde verhaftet?
Mich interessiert der wilde, barbarische Bodensatz unserer Natur. Ich misstraue der Zivilisation und Kultur zutiefst. Unsere Instinkte und Bedürfnisse versetzen ihnen ständig eine Ohrfeige. Darin liegt die Tragik unserer Existenz. Das Kino ist ohnehin barbarisch, denken Sie nur an das Gros der Hollywoodfilme. Was mich wirklich interessiert, ist die Frage, wie man das Barbarische inszeniert. Ich zeige die Gewalt nicht um ihrer selbst willen. Man muss sie zeigen, um sie reflektieren zu können. Das Erschrecken über die menschliche Natur kann im Kino eine Katharsis auslösen. Es reicht aber nicht, davon zu wissen. Man muss es spüren, empfinden. Wir brauchen das Tragische. Ich bedauere ungemein, dass man Schauspieler heute nur noch comédiens nennt, Komödianten, und nicht mehr Tragöden.
Zuvor haben Sie nur mit Laiendarstellern gedreht. Warum haben Sie diesmal professionelle Schauspieler verpflichtet?
Schauspieler interessieren mich nicht. Ich glaube nicht an das Spiel, ich suche das, was sich dahinter verbirgt. Nicole Kidman zum Beispiel interessiert mich als Person, als Schauspielerin ist sie mir egal. Ich würde gern einen Film mit ihr machen, aber das wäre schon deshalb sinnlos, weil ich dann nur die Schauspielerin bekäme, nicht die Person. Mit Katia Golubeva hatte ich in dieser Hinsicht große Probleme. Manchmal spielte sie wie ein Stein und dann wieder ungemein theatral. Ich musste sie zwingen, sie selbst zu sein. Das führte zu heftigen Konflikten, denn dazu hatte sie keine Lust. Aber zugleich gefällt mir dieser Widerstand, diese Verweigerung. Ich mag ungehorsame Darsteller.
Wo bleibt da Ihre Regieleistung?
Ich glaube nicht an Absichten. Was zufällig vor der Kamera passiert, ist meist stärker. Es stört mich nicht, wenn die Inszenierung mitunter ungeschickt wirkt. Das Misslungene verleiht einem Film erst Wahrhaftigkeit. Wenn ein Schauspieler ungelenk ist, gewinnt das auf der Leinwand eine menschliche Wahrheit, die außergewöhnlich ist.
Das Gespräch führte Gerhard Midding
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