Im Halbdunkel der Gremien

Kommentar Einwanderung nun in der SPD-Kommission

Politische Themen haben immer ihre eigenen Zeitfenster, um entschieden zu werden, doch nie sind die Fenster automatisch geöffnet, einfach weil sie in den Gremien ausdiskutiert worden sind und alle ihre Meinung dazu sagen konnten. Das kann man beim Thema Einwanderung gerade genauestens beobachten. Denn obwohl am Mittwoch die Ergebnisse der regierungsamtlichen Einwanderungskommission unter Leitung von Rita Süssmuth veröffentlicht wurden und sich inzwischen jeder Hinz und Kunz äußern durfte, wird das Thema weiter im Halbdunkel der Gremien gehalten: Nächste Woche will die Kommission der SPD ihre Ergebnisse vorstellen, obwohl die Partei eine solche Runde eben genau wegen der Regierungskommission lange Zeit für überflüssig gehalten hatte.

Besonders beim Thema Einwanderung, bei dem es über zehn Jahre lang kein Vorankommen gab, muss eine politische Schönwetterlage herrschen, dass sich das Zeitfenster öffnet - wie im vergangenen halben Jahr: Die Situation war günstig, weil Wahlkämpfe weit entfernt lagen und das gegnerische Lager aus innerparteilichen Gründen zahnlos war und kompromisslerisch gestimmt. Nachdem die Union jahrelang die Schotten dicht gehalten und den Slogan vom Nicht-Einwanderungsland wie eine Monstranz vor sich her getragen hatte, schienen die Konservativen nun auf einmal doch in der Realität angekommen zu sein: Im CSU-Einwanderungspapier fehlte die Phrase ganz, und Angela Merkel bemühte sich auf Regionalkonferenzen, die in der ganzen Gesellschaft inzwischen sehr offene Diskussion auch in die Partei zu tragen, allerdings ohne Erfolg. Seitdem auf dem kleinen Parteitag der Union die Formel vom "nicht-klassischen Einwanderungsland" debütierte, ist das Zeitfenster längst wieder dicht.

Und wenn man eine Zwischenbilanz der bisherigen Diskussion ziehen soll, dann diese: Die Schrödersche Konsensmaschine hat sich im Einzelfall Einwanderung auch als gutes Instrument erwiesen, brisante politische Diskussionen nicht zu lösen, sondern sie auszusitzen. Nicht etwa, weil der Debatte die Luft ausgegangen ist, sondern weil inzwischen eine Situation erreicht ist, in der keiner mehr so richtig über die Einwanderung sprechen mag; inzwischen regiert vor allem die Angst vor einstiger Courage.

Alle Appelle von Rot-grün, Migration bloß nicht zum Wahlkampfthema zu machen, haben nur eines gebracht: Es ist genau das geworden. Das sieht man schon daran, dass sich der Streit inzwischen wieder auf ein Thema kapriziert hat, das wenig mit Einwanderung zu tun hat, dafür meist vor Wahlen Konjunktur hat: das Asylrecht. Als ob Flüchtlinge, die aus nichtstaatlichen oder geschlechtsspezifischen Gründen in Deutschland Schutz bekämen, die inzwischen diskutierte Quote von jährlich 50.000 Einwanderern maßgeblich erhöhen würden. Es wird wohl das Beste sein, das Thema fürs Erste wieder in die Schublade zu stecken oder noch ein paar Gremien zu gründen. Die könnten dann nationaler Einwanderungsrat oder Bündnis für Migration heißen.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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