Improvisierte Karikaturen

Bühne Andreas Kriegenburg, der sich mit gewichtigen Dramen- und Roman-Inszenierungen hervorgetan hat, macht in München einen bunten Abend: „Alles nur der Liebe wegen“

Ein schöner Titel für eine neue Seifenoper. Alles nur der Liebe wegen hat Andreas Kriegenburg seinen selbst entwickelten Theaterabend an den Münchner Kammerspielen genannt. Es geht um große Gefühle, und auch sonst weist der Abend einige Parallelen zum Vorabendprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf.

In einer edlen Wartehalle mit rosa Marmorsäulen und weiß-goldenen Flügeltüren begegnen sich Männer und Frauen auf der Suche nach dem Glück. Zunächst sind sie allein mit ihren Selbstzweifeln und Eitelkeiten. „Meine Tränensäcke sind so dick wie Rinderhoden“, stellt die schöne, nicht mehr ganz junge Frau beim Blick in den Spiegel fest. „Ich bin extrem kurzsichtig, was mache ich bei einem Blinddate?“, fragt sich der Brillenträger ängstlich. Zwischen den Gestrandeten wandelt Stefan Merki hin und her wie ein Seelenflüsterer; nähert er sich einer Figur, sind – über sein Microport verstärkt – ihre Gedanken zu hören. So treten einzelne Stimmen solistisch aus dem leisen Chor der Sehnsüchte hervor. Schwäche, so die Botschaft, steckt hinter jeder noch so perfekt gepuderten Fassade.

So sympathisch das Ausstellen menschlicher Unzulänglichkeiten sein könnte, so zahlreich sind die Gefahren: Kalauer und Klamotte, Kitsch und Klischee lauern überall – und Kriegenburg lässt nichts davon aus. Seine clowneske Melancholie, die gelungene Arbeiten wie Der Prozess und Drei Schwestern auszeichnete, verflacht hier zu einem gefühlig-albernen Potpourri. Das mag auch daran liegen, dass dieser Inszenierung kein starker dramatischer oder epischer Text zugrunde liegt. Statt lebendiger Figuren lässt der Abend, der auf Improvisationen des achtköpfigen Ensembles beruht, Karikaturen auftreten. Was Kriegenburg, der Verträumteste unter den namhaften deutschen Regisseuren, eigentlich über die Liebe sagen will, bleibt bei den zahlreichen Miniaturen unklar.

1,85 Meter plus High Heels

Die Darsteller schlüpfen in verschiedene Rollen und Roben (Kostüme: Andrea Schraad), tanzen Tango auf einem Besenstiel und klemmen sich Taschenlampen in den Genitalbereich. Musikalisch untermalt wird das von einem schmissigen Schostakowitsch-Walzer und programmatischen Titeln wie What a wonderful world. Wiebke Puls gibt die zickige Schöne, deren imposante Körpergröße (1,85 Meter plus High Heels) immer wieder zu Witzchen herangezogen wird. Oliver Mallison darf gewohnt gegelt und slapstickhaft verklemmt über die Bühne schleichen. Walter Hess spielt einen schrulligen alten Mann, der seit 32 Jahren jeden Donnerstag um zwölf auf eine imaginäre Geliebte wartet. Als sein Glück schließlich in Form einer jungen Blondine (Lena Lauzemis) vorbeikommt, erinnert das, wie so manch anderes, an den Film Die fabelhafte Welt der Amélie. Sylvana Krappatsch und Edmund Telgenkämper geben ein langjähriges Paar, das sich mit viel Pathos und etwas Akrobatik neu entdeckt.

Annette Paulmann tritt dagegen als resignierter Single auf. Mit Sprüchen wie: „Vielleicht sollte ich den Fernseher ins Schlafzimmer holen, dann ist endlich wieder was los“, bringt sie das Bühnentreiben in die Gefilde von Comedy und das Publikum zum Lachen. Auch Merki ist fürs Animieren zuständig: In Rudi-Carrell-Manier rührt er die Tombola und schenkt dem Zuschauer in Reihe 6, Platz 7 ein Lächeln. So bleibt nach drei Stunden, die Krebs und Tod nicht aussparen, ein erstaunlich sinnfreier Bilderreigen. Zum Schluss lernt noch ein junges Mädchen fliegen. Träume werden halt wahr. Nicht nur in der Seifenoper.

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