Dirk Nowitzkis Dallas Mavericks stehen im NBA-Finale gegen die Miami Heat. Es steht 2:2, wer zuerst vier Spiele gewinnt, ist Meister. In der Nacht zum Donnerstag steht das fünfte Spiel an.
Die Mannschaft ist der Star
Es war nach den Spielen gegen Oklahoma City Thunder, der Basketballer Dirk Nowitzki von den Dallas Mavericks hatte 48 Punkte in einem Spiel erzielt und mit 24 verwandelten Freiwürfen einen neuen NBA-Rekord aufgestellt – da schwebte dieses Wort im Raum: „Jordanesk“ sei sein Auftritt gewesen. Der Vergleich gilt nach wie vor als höchstes Lob, das einem Basketball-Profi zuteil werden kann. Michael Jordan ist acht Jahre nach seinem endgültigen Abschied aus der US-Profi-Liga immer noch das Maß aller Dinge.
Die Zuschreibung erzählt einiges über die Anerkennung, die Nowitzki sich in 13 Jahren in Dallas erarbeitet hat. Sie erzählt aber noch mehr über die Sehnsucht nach einem Spieler, für den die Gesetze der Schwerkraft nicht gelten, der aus Nähe und Distanz nach Belieben trifft und der gerade in den letzten Sekunden eines engen Spiels zu Hochform aufläuft. Auch wenn es der NBA immer wieder gelingt, Spieler wie Kobe Bryant oder LeBron James über die endlose Wiederholung spektakulärer Spielszenen zu Stars aufzubauen, fehlt der Liga momentan doch der Glanz von Figuren wie Michael Jordan oder Magic Johnson.
Stars und Superstars sind für die NBA unverzichtbar. Fußballbundestrainer Joachim Löws Losung, die Mannschaft sei der Star, gilt zwar eigentlich auch für den Teamsport Basketball. Gut verkaufen lassen sich TV-Bilder von NBA-Spielen aber nur bei einer Zuspitzung auf Duelle zwischen einzelnen Spielern, ganz zu schweigen von der Merchandising-Masche mit teuer lizenzierten Trikots und Schuhmodellen. In diesen Tagen etwa stehen zwar die Dallas Mavericks gegen die Miami Heat im NBA-Finale – aber die Rede ist ganz besonders viel von Nowitzki (Dallas) und LeBron James (Miami).
Nowitzki erfüllt die Kritierien für einen NBA-Superstar nur zum Teil. Seine Trefferquote ist an guten Tagen spektakulär. Sein Spiel hat trotzdem immer etwas von der Ungelenkigkeit eines 2,11 Meter großen Jungen. Zudem ist er sich – anders als einige andere – bewusst, dass der Erfolg eine Mannschaftsleistung ist. Damit sich das Team mit Neuzugängen verstärken kann, verzichtete er 2010 auf 16 Millionen Dollar Gehalt. Er könnte von Jordan gelernt haben. Der feierte seine größten Erfolge nämlich nicht, als er fast alles auf dem Feld allein machte und dafür von Medien und Publikum gefeiert wurde. NBA-Champion wurde Jordan erst, als er den Spielern neben sich Platz ließ. Jan Pfaff
Die Vermessung des Spiels
„Ja, Statistiken“, stöhnte der ehemalige Fußballkommentator Werner Hansch einmal während einer Spielübertragung. Und er fügte hinzu: „Aber welche Statistik stimmt schon? Nach der Statistik ist jeder vierte Mensch ein Chinese, aber hier spielt gar kein Chinese mit.“
Hansch war Traditionalist, der der Vermessung des Spiels und seiner Akteure wenig abgewinnen konnte. Dabei hatte er in den Neunzigern seine größte Zeit, als sein Haus-Sender Sat.1 mit der ran-Datenbank dem Fußball in Deutschland Zählen und Rechnen beibrachte. Heerscharen flinker Augen und Finger registrierten fortan nicht nur Tore, sondern auch Torschüsse, Vorlagen, Flanken, Pässe, Zweikämpfe. Jede Ballberührung fand Eingang in die Statistik.
Was heute normal ist, war damals tatsächlich eine kleine Revolution. Die Zahlennerds nahmen Platz im Stadion, zunächst als skurrile Rechenclowns, zunehmend als quasi-priesterliche Alleserklärer.
In den USA war die Verknüpfung von Sport und Statistik schon früher Standard und ist auch heute viel ausgeprägter als hierzulande. Gerade beim Basketball ist jeder Spieler ein offenes Buch. Match für Match werden endlose Datenkolonnen erfasst: Neben den jeweiligen Einsatzzeiten, Treffern und Assists die offensiven und defensiven Rebounds, die Ballverluste und Ballgewinne, die geblockten Würfe und die provozierten Fouls oder auch das prozentuale Verhältnis von Körben und Wurfversuchen. Ein Formel-1-Bolide ist dagegen eine Terra Incognita.
Besonders ausgefuchst ist die „angepasste Plus/Minus-Statistik“ von Wayne Winston, der jahrelang als Analyst von Dirk Nowitzkis Verein, den Dallas Mavericks, arbeitete und in der NBA als Zahlenguru gilt.
Der herkömmliche Plus/Minus-Wert eines Spielers, wie er auch beim Eishockey ermittelt wird, ergibt sich aus einer recht simplen Rechenaufgabe: der Differenz zwischen den Treffern, die ein Team erzielt und kassiert, während Spieler X auf dem Feld steht. Winstons „angepasstes“ Modell erfasst noch mehr Details: Welche Teamkollegen hatte dieser Spieler an der Seite, mit welchen Gegnern musste er es aufnehmen? Wie war der Spielstand bei seiner Einwechslung, wie, als er auf die Bank ging? Nichts entgeht Wayne Winstons Durchleuchtungsprogramm. Aus den Daten wird ein Durchschnittsspieler zusammengebastelt, und wenn Dirk Nowitzki nun also eine Plus/Minus-Statistik von +19 hat, dann bedeutet das: Würde Nowitzki durch jenen Durchschnittsspieler ersetzt, schnitte seine Mannschaft 19 Punkte schlechter ab.
Gut für Nowitzki. Ein Horror für Datenschützer – und alte Recken wie Werner Hansch. Dessen Statistik-Skepsis wurde übrigens durch die zurückliegende Bundesligasaison einmal mehr bestätigt. Rechenkünstler der Uni Münster hatten mit einer Mischung aus Mathematik und Zufall die Abschlusstabelle prognostiziert. Fünf der sechs Teams, die sie ganz unten sahen, landeten in Wirklichkeit auf den Rängen vier bis neun. Nur beim Absteiger St. Pauli lagen die Wissenschaftler richtig. Mark Stöhr
Die Rekrutierung der Spieler
Man schrieb das Jahr 1984, die Houston Rockets hatten den jungen Nigerianer Hakeem Olajuwon gewählt, und nun, an zweiter Stelle, waren die Portland Trailblazers am Zug. Wen sollten sie wählen? Michael Jordan, diesen dürren Shooting Guard? Sie wählten Sam Bowie; einen guten Center-Spieler, so einen brauchten sie. Einen Shooting Guard hatten sie schließlich schon, was sollten sie also mit einem wie Jordan? Oder mit einem Power Forward wie Charles Barkley, der ebenfalls 1984 zu haben war?
Die Entscheidung der Trailblazers für Bowie gilt heute als der größte Bust, die größte Fehlentscheidung, der NBA-Draft-Geschichte. Die Chicago Bulls kamen nach den Trailblazers zum Zug. Sie sicherten sich Jordans Dienste und gewannen mit ihm sechs Mal die NBA-Meisterschaft, in fünf Saisons wurde er zum „Wertvollsten Spieler“ der Liga gewählt. Blöd gelaufen für die Trailblazers. Vielleicht – sehr vielleicht – wären sie und nicht die Chicago Bulls das dominierende Team der Neunziger geworden; vielleicht wäre jeder zweite Schüler in Deutschland damals mit Portland- statt mit Bulls-Mützen herumgelaufen.
Die NBA-Drafts: Es handelt sich um ein Verfahren, Nachwuchsspieler von den US-College-Teams und Spieler aus internationalen Ligen, die sich für die Drafts gemeldet haben, auf die interessierten Mannschaften der Liga zu verteilen. Anders als man es vom europäischen Fußball kennt, wechseln Spieler aber nicht zu den Vereinen, die die höchste Ablösesumme bezahlen – in einem solchen System haben die erfolgreichsten Vereine immer die besten Chancen, die besten Spieler zu bekommen. Die Drafts laufen vielmehr wie eine Mischung aus Lotterie und Schulsport: Der Verein, der im Vorjahr am schlechtesten abgeschnitten hat, hat die besten Karten, einen Spieler seiner Wahl zu bekommen, der Vorjahresmeister die schlechtesten.
Es ist ein ausgeklügeltes System, das zum einen den Sportlerhandel zähmt und damit die kapitalistische Seite der schwer geldgesteuerten NBA eindämmt. Andererseits gewährleisten die Drafts, dass die Binnenkonkurrenz in der NBA erhalten bleibt, was erst zum großen Spektakel beiträgt: Eine Liga, in der nicht theoretisch jeder mal gewinnen kann, ist zu bayernmünchen.
Dirk Nowitzki von der DJK Würzburg wurde 1998 gedraftet, als erster Spieler überhaupt direkt aus Europa, ohne Umweg über ein US-College. Die Milwaukee Bucks wählten ihn an neunter Stelle, bevor sie ihn nach Dallas tauschten. Er war wahrlich nicht die schlechteste Wahl: Als erster wurde 1998 Michael Olowokandi gewählt. Das gilt heute, wie die Wahl Sam Bowies 1984, als größere Fehlentscheidung. Klaus Raab
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