Jeder ist spielbar

Im Gespräch Der Kabarettist Uwe Lyko über Helmut Schmidt, die SPD als Trauerspiel und die Zukunft des politischen Kabaretts

Uwe Lyko kennen nicht so viele, wie seine Rolle als Herbert Knebel, den schimpfenden Rentner aus dem Ruhrgebiet. Knebel tritt sowohl als Solist, als auch zusammen mit seiner rockenden Komikergruppe Affentheater auf. Bisher bringen sie es auf über 1.000 Bühnenauftritte, haben mindestens in Nordrhein-Westfalen Kultstatus und dürfen dort zur Sprach-, Heimat- und Brauchtumspflege gezählt werden. Knebel ist seit Jahren Stammgast in der WDR-Kabarettsendung Mitternachtsspitzen, die von den meisten Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt wird. Die Sendung feierte kürzlich 20-jähriges Jubiläum. Seit einiger Zeit parodiert Lyko in dieser Sendung in der Rubrik "Loki und Smoky" zusammen mit dem Leverkusener Wilfried Schmickler als seine Gattin Loki, Helmut Schmidt. Unser Mitarbeiter traf ihn vor einem Auftritt in Bonn, wo er gegen die Konkurrenz eines gleichzeitigen deutschen EM-Spiels einen 1.000er-Saal füllte.


FREITAG: Ihre Figur Herbert Knebel bewegt sich im sozialdemokratischen Milieu.
UWE LYKO: Ja, der Knebel ist eher so "gefühlt" sozialdemokratisch. Zwischen den Zeilen kriegt man bei ihm mit, dass er einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hat. Er ist überhaupt nicht spießig, im Gegenteil, er regt sich über Spießer auf, auch wenn Sozialdemokratie und Spießer sich nicht unbedingt ausschließen. Er nimmt natürlich nicht offensiv politisch Stellung im Sinne von "Arbeiterbewegung ist wichtig". Man denkt aber: Das ist bestimmt einer, der SPD wählt. In so einer Kunstfigur fließen natürlich auch immer autobiografische Sachen ein. Ich bin in einem sozialdemokratischen Milieu aufgewachsen und habe mich immer irgendwie links positioniert.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Helmut Schmidt zu spielen?
Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen. Ich war mit Jürgen Becker und Wilfried Schmickler auf Mitternachtsspitzen-Live-Tournee. Kurz vor dem Auftritt sitzt man in der Garderobe zusammen und albert ´rum. Da ist es ein Hobby von mir, Leute nachzumachen, aber ich gehe damit nicht auf die Bühne, weil ich meine, Nachmachen reicht nicht aus. Man sollte auch gute Texte dazu haben. Texte, die ich zusammen mit meinen Autoren geschrieben habe, waren halt immer so Knebel-Texte. Und es gibt so viele Parodisten in Deutschland, auch gute Parodisten, da muss man sich nicht noch mit einreihen, nach dem Motto, hallo, ich kann auch Leute nachmachen.

Das sind ja alles Gründe, die dagegen sprachen. Was sprach denn dafür?
Jürgen und Wilfried fanden meinen Helmut Schmidt in der Tournee-Garderobe witzig. Als wir uns zur Vorbereitung der nächsten TV-Aufzeichnung trafen, fragte Jürgen aus Flachs "Was machst du denn gerade so?", und ich sagte aus Flachs "Helmut Schmidt, den schaffe ich mir gerade drauf". Er sagte: "Mach mal!", ich sagte zwei Sätze und darauf er: "Super! Da machen wir sofort eine Rubrik", dreht sich um, haut ab und sagt noch: "Bestellt schon mal Kostüme!"

Wie sind Sie denn ausgerechnet auf Helmut Schmidt gekommen?
Ich wurde animiert durch einen Film über den "Deutschen Herbst", ich weiß gar nicht, wo ich den gesehen habe, Arte oder 3sat. RTL war es mit Sicherheit nicht. Da wurde Schmidts Bundestagsrede gezeigt, bei der er immer sagte "Sie irren!" Ich fand das rhetorisch sehr beeindruckend. Abgesehen von seiner politischen Einstellung einst und heute, finde ich, dass Helmut Schmidt ein fantastischer Rhetoriker ist. Nach diesem Film bin ich rumgelaufen, wie jemand, der Radio gehört hat und eine Melodie nicht mehr los wird. So habe ich dann immer so ein bisschen Helmut Schmidt geübt.

Stichwort "Deutscher Herbst" und 68er-Jubiläum: Wie bewerten Sie die heutigen Debatten darüber?
Nach meinem Eindruck wird da viel vermarktet. Die meisten, auch viele Konservative, sind sich ja darüber einig, dass die damalige Aufbruchsstimmung der 68er wichtig gewesen ist: Der Willy-Brandt-Spruch "Mehr Demokratie wagen", die Aussöhnung mit dem Osten, die Ostverträge, das sehen in der Rückschau die meisten positiv. Der Knackpunkt war und ist dann, dass sich eine Gruppe abgespalten hat mit der Ansicht, diese Gesellschaft sei nicht von innen und durch Diskussion zu verändern, und diesen gewaltsamen Weg eingeschlagen hat.

Denen Schmidt das "Sie irren!" entgegenrief. Was macht diese Helmut-Schmidt-Rhetorik aus, und wie "schaffen Sie sich den denn drauf"?
Ich bin ja nun selbst nicht so ein Rhetoriker...

... aber auf der Bühne müssen Sie das doch auch beherrschen ...
Ja, aber das kommt mehr so aus dem Bauch. Ich bin ja nicht der klassische Comedian oder Kabarettist, sondern ich bin ja immer noch ein Schauspieler. Wenn du mich hier so siehst, bin ich ja Gott sei Dank anders als Herbert Knebel. Als Schauspieler kommt das mehr über den Bauch und Abgucken.

Ich bin auch sehr beeindruckt von Schmidts Rhetorik. Er spricht sehr langsam, mit vielen Pausen ...
.... jaja, sehr bedacht, die Pausen sind sehr wichtig.

Warum haben Sie die immer wiederkehrende Floskel "Henry Kissinger und ich" für eure Nummern ausgewählt?
Weil er das sehr oft auch getan hat. Und sie sind bekanntlich immer noch dicke Freunde.

War Schmidt nicht auch der letzte Kanzler einer Zeit, in der Menschen noch Vertrauen zu Politikern hatten?
Weiß ich nicht, der letzte war doch Joschka Fischer, dem die Leute noch vertraut haben. Am Anfang haben die Leute auch noch Helmut Kohl vertraut.

Das Allensbach-Institut hat in Langzeituntersuchungen ermittelt, dass zu Schmidts Zeiten noch 28 Prozent den Politikerberuf für ehrbar hielten, heute seien es noch fünf Prozent, obwohl sie wahrscheinlich damals auch nicht vertrauenswürdiger als heute waren. War Schmidt der letzte fähige TV-Politiker, der den Trick noch raus hatte, Vertrauen zu erzeugen?
Ja, das könnte sein. Hinzu kommt, dass Schmidt, ähnlich wie Fischer, ein sehr arroganter Mensch ist, dazu staubtrocken und humorlos. Fischer hat sich das vielleicht ein wenig abgeguckt: dieses Zurücklehnen, dieses Bedächtige. Schmidt hat sich heute mittlerweile einen Sonder- - nicht Narren- - Status erkämpft, bei dem es schon wieder Spaß macht, ihm zuzuschauen. Er kann - ähnlich wie Beckenbauer - machen, was er will, es wird immer positiv begleitet.

Haben Sie irgendwann in Ihrem Leben SPD gewählt?
(lachend) Ja sicher.

Mein Vater hat als Wechselwähler noch wegen Helmut Schmidt SPD gewählt und ich genau deswegen nicht.
Ja genau, ich habe seinetwegen damit aufgehört. Schmidt war der Kanzler des Deutschen Herbstes. Ich erinnere mich an den ironischen Slogan "Zieh mit, wähl Schmidt!", mit dem Bild eines knarreziehenden Polizisten. Viele, die damals so politisch engagiert waren wie ich, haben gar nicht gewählt. Es dauerte dann noch ziemlich lange, bis die Grünen eine politisch ernstzunehmende Kraft wurden.

Sie wohnten damals im sichersten SPD-Bundestagswahlkreis der Republik in Essen-Nord, der bekannte Partei-Rechtsaußen Peter Reuschenbach holte 69,2 Prozent.
Und sein Nachfolger Gerd-Peter Wolf hieß Mister 70 Prozent. Man sagte, die SPD könnte da auch einen Besenstiel aufstellen.

Wie ist das verschwunden?
Die Parteienlandschaft hat sich verändert. Die Politiker sind nicht mehr die Gleichen. Die Medienlandschaft hat sich verändert. Die Arbeitertradition, Gewerkschaftstreue, da hat man damals gar nicht drüber nachgedacht, das war selbstverständlich. Das ist weg. Die klassischen Arbeiterstadtteile im Ruhrgebiet sind das nicht mehr, Wahlbeteiligung ein Drittel, Ausländeranteil bis zu 80 Prozent. Die interessiert das doch überhaupt nicht, ob da eine SPD oder CDU im Stadtrat sitzt. Das kriegen wir in so einem Interview wohl nicht erschöpfend geklärt.

Die Lage der SPD, ist sie eher Trauerspiel oder Kabarett?
Trauerspiel.

Worum ist da zu trauern?
Eine große Volkspartei mit einer großen arbeitergeprägten Tradition.

Sind die heutigen sozialdemokratischen Führungspersonen auch auf der Bühne spielbar?
(lacht) Im Prinzip ist jeder spielbar. Auf Pro7 gibt es eine Sendung Switch reloaded. Das ist eine der wenigen Comedy-Sendungen, die man nicht mit Magenschmerzen und Brechdurchfall ausschaltet. Dort gibt es einen Superparodisten, der macht sogar den RTL-Nachrichtensprecher Peter Kloeppel nach. Man fragt sich: Warum macht der den nach? Der Typ gibt doch gar nichts her. Doch der Fall beweist, dass jeder spielbar ist. Die Frage ist nur, ob es sich lohnt. Früher war das einfacher, da gab es in der Politik noch Charakterköpfe: Wehner, Brandt, Strauß, Adenauer und eben auch Helmut Schmidt. Das waren Originale mit ganz merkwürdigen Eigenarten. Wenn man die nachmacht, hat man es einfacher.

Wie sehen Sie heute die Situation im Spannungsfeld politisches Kabarett bis Comedy?
Es gibt immer noch die klassische Fehde zwischen den politischen Kabarettisten und den Comedians. Ich selbst stehe ein bisschen dazwischen. Es gibt ein paar Kollegen im politischen Kabarett, die sauer waren, weil sie bei Zuschauerzahlen und CD-Verkäufen auf der Standspur von irgendwelchen Comedians überholt wurden. Da gibt es schon Neid und Missgunst: "Der erzählt doch nur Witze. Die Deutschen werden immer dööfer". Aber es gibt mittlerweile auch wieder politische Kabarettisten, die sehr viele Leute ziehen. Wenn man gut und eigenständig ist, einen gewissen Unterhaltungswert im Programm hat: Hagen Rether, Volker Pispers, Georg Schramm, Urban Priol sind Leute, die ein sehr politisches Kabarett machen. Die sind im Moment richtige Superstars. Darum meine ich, dass beide Kunstformen gut nebeneinander bestehen können.

Das Gespräch führte Martin Böttger (der wie Lyko lange im Essener Norden gelebt hat)

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