Jetzt geht es um mehr Geld

Im Gespräch Verdi-Chef Frank Bsirske über geschwächte Gewerkschaften in der neoliberalen ­Dekade und die Frage, wie er nachhaltige Lohnerhöhungen durchsetzen will

Der Freitag: Sie sind seit März 2001 Vorsitzender von Verdi. Wie fällt Ihre Bilanz der vergangenen zehn Jahre aus?

Frank Bsirske:

Wir reden über eine Dekade neoliberaler Hegemonie. Die hat uns die größte Finanz- und Wirtschaftskrise gebracht. Und doch erleben wir aktuell einen seltsamen Triumph gescheiterter Ideen und Konzepte, die Durchsetzung einer Wettbewerbsunion auf europäischer Ebene.

Was können Sie überhaupt noch ausrichten?

Wer unter den heutigen Be­dingungen die Tarifautonomie stärken will, der muss für einen gesetzlichen Mindestlohn eintreten. Es muss darüber hinaus dafür gesorgt werden, dass Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Bei unseren europäischen Nachbarländern, ist es die Regel, dass Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden. Hier in der Bundesrepublik gilt dies dagegen nur für einen winzigen Bruchteil von Tarifverträgen. Er liegt bei rund einem Prozent. Wenn man nur die Lohn­tarifverträge nimmt, sind es noch deutlich weniger.

Warum?

Der Tarifausschuss sieht Einstimmigkeit vor. Die Arbeitgeber haben dort ein Vetorecht. Das hat es ihnen erlaubt, über viele Jahre Allgemeinverbindlichkeitserklärungen zum Tabu zu erheben. Das Ergebnis ist ein Wettbewerb, der auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Hier müssen andere Regelungen her. Die Erosion der Tarifbindung, die Zunahme nicht tarifgebundener Beschäftigung, insbesondere in den Dienstleistungssektoren, und die damit verbundene Ausbreitung von Armutslöhnen müssen durchbrochen werden.

Mindestlöhne sind selbst bei Schwarz-Gelb ein Thema geworden. Reden Sie mit der Bundesregierung darüber?

Ja, es gibt einen kontinuierlichen Meinungsaustausch, zumindest mit der CDU und der Kanzlerin. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der beispiellose Angriff auf die Sozialstaatlichkeit in Europa, auf das Lohnniveau und auf die Koalitionsrechte der Beschäftigten, wie sie der so genannte Euro-Plus-Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit zum Ergebnis hat, vor den EU-Gipfelbeschlüssen kein Gesprächsthema war.

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen nachhaltige Lohnerhöhungen auch oberhalb des kostenneutralen Verteilungsspielraumes. Das freilich muss auch durchgesetzt werden. Die Forderungen, die gegenwärtig ver.di und andere Gewerkschaften in den Tarifrunden erheben, tragen dem Rechnung. Die Durchsetzung freilich hängt in hohem Maße davon ab, inwieweit die Belegschaften bereit sind, für solche Forderungen in die Auseinandersetzung zu gehen. Das zu organisieren ist unsere Aufgabe. Ich jedenfalls sehe ein wieder deutlich gewachsenes Gefühl tief empfundener sozialer Ungerechtigkeit.

Die Arbeitnehmer haben mit ihrer Lohnentwicklung am Aufschwung der vergangenen zwei Jahre nicht teilgenommen. Für den öffentlichen Dienst hat das letzte Jahr einen Reallohnverlust von 0,6 Prozent gebracht. Das darf sich nicht fortsetzen. Die weitverbreitete Forderung in den Betrieben ist, dass es jetzt vor allem um mehr Geld gehen muss. Inwieweit das mit der Bereitschaft einher geht, in die Ausein­andersetzung zu gehen, das werden wir in den nächsten Wochen sehen.

Dass höhere Löhne auch volkswirtschaftlich sinnvoll sind, haben die Gewerk­schaften immer schon gesagt. Die Ergebnisse waren aber oft mager.

Wir haben durchgesetzt, was durchzusetzen war. Aber es besteht unverkennbar Handlungsbedarf. Nachhaltige Reallohnsteigerungen sind nicht nur ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch ein Gebot der ökonomischen Vernunft. Sie sind auch ein wichtiger Beitrag zum Abbau der ökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone. Der vorrangige Handlungs­bedarf liegt – das zeigt die negative deutsche Lohnentwicklung – in den Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen, wie die Bundesrepublik. Es hat keinen Sinn, auf die anderen zu zeigen. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen. Aber noch einmal: Es ist nicht nur eine Frage des Wollens, es ist eine Frage der Durchsetzbarkeit.

Fehlt den Gewerkschaften der Kampfgeist?

Wir haben in den letzten zehn Jahren im verdi-Bundesvorstand keine Sitzung gehabt, wo wir nicht mindestens drei bis fünf Streikbeschlüsse gefasst haben. Die Regel sind acht bis fünfzehn Streikbeschlüsse für jede Bundesvorstandssitzung. Wir haben lange und harte Arbeitskämpfe geführt. Nur die Fähigkeit zum Streik hat uns überhaupt in die Lage versetzt, uns zu behaupten, Lohner­höhungen durchzusetzen beziehungsweise uns gegen die weitere Absenkung von Lohnniveaus zu wehren.

Von diesen Arbeitskämpfen bekommt man gar nichts mit.

Die mediale Reichweite vieler regionaler Streiks ist in der Tat beschränkt. Wir haben es über viele Jahre auch unverkennbar mit einer Homogenisierung der öffentlichen Meinung zugunsten von Finanz- und Unter­nehmensinteressen zu tun. Die wurde mit dem Auftreten der Finanzmarktkrise ein Stück weit durchbrochen. Die Medien drohen aber jetzt wieder in die alten Muster zurückzufallen. Das heutige Ausmaß der Homogenisierung der Medienlandschaft hat sich in den siebziger und achtziger Jahren doch keiner vorstellen können. Das ist natürlich ein Problem für die Gewerkschaften, die wider den Stachel löcken und den Mainstream nicht mitmachen, was für verdi ganz sicher gilt.


Frank Bsirske, geboren 1952 in Helmstedt als Sohn eines Arbeiters und einer Krankenschwester, hat Politik studiert, gehört den Grünen an und ist seit 2000 Vorsitzender der ÖTV, später von Verdi. Im vergangenen September wurde er für eine vierte Amtszeit wiedergewählt


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