Jobkiller Gold

SÜDAFRIKA Trotz Preiserholung auf dem Weltmarkt - für die Wirtschaft am Kap hat das Edelmetall seinen Glanz längst verloren

Der internationale Goldpreis scheint zurück auf der Überholspur - doch die Spekulationen um große Goldverkäufe auf dem Weltmarkt bedrohen weiter das Schicksal der Goldindustrie Südafrikas und die wirtschaftliche Zukunft seines regionalen Umfelds. Das gilt neben dem Außenhandel besonders für einen Arbeitmarkt, der über nationale Grenzen hinausreicht.

Irren ist menschlich. Doch manchmal kann menschliches Versagen teuer werden. So ist es wohl dem Fehler eines Mitarbeiters im holländischen Finanzministerium zu verdanken, dass das edelste aller Edelmetalle inzwischen wieder so teuer ist, wie es gemeinhin seinem Ruf entspricht. Ein Dokument des IWF, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen, hatte der Betreffende versehentlich auf die Internet-Seite des Ministeriums gesetzt - zugänglich nunmehr für die gesamte Gemeinde des World Wide Web, zugänglich für alle Börsianer rund um den Globus. Der Inhalt des Blindgängers: Der IWF erwäge, zehn Millionen Unzen seiner Goldreserven lediglich neu bewerten zu lassen anstatt - wie vorher angekündigt - das Gold zur Finanzierung des beim G-8-Gipfel von Köln beschlossenen Schuldenerlasses für die ärmsten Länder der Erde auf dem Weltmarkt verkaufen zu wollen. Schlagartig stieg der Goldpreis wieder: Innerhalb von nur sechs Tagen legte der Kurs satte 50 Dollar zu - eben noch wurde der "Bullion" auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren gehandelt, nunmehr durchbricht er wieder scheinbar spielend die psychologisch wichtige 300-Dollar-Marke.

Tatkräftige Hilfe kam von der Europäischen Zentralbank (EZB): Ihre Ankündigung, die Flut der staatlichen Goldverkäufe ab sofort koordinieren und vor allem für die nächsten fünf Jahre begrenzen zu wollen, verlieh dem Goldpreis endgültig Flügel: Südafrika - größter Goldproduzent der Welt - kann wieder durchatmen, hatte es doch unter dem Fall des Goldpreises am meisten gelitten. - Seit Ende der achtziger Jahre schon befand sich der Goldpreis im Sturzflug: Kostete eine Unze damals zuweilen noch stolze 500 Dollar, brachte sie Mitte 1999 nur noch die Hälfte. Bereits im Mai hatten die größeren südafrikanischen Minen damit begonnen, strikte Mindestnormen für das Betriebsergebnis zu erlassen. Alle Projekte, die diese Richtlinien nicht erfüllten, sollten rigoros verkauft oder geschlossen werden. In Johannesburg, Pretoria und Durban demonstrierten daraufhin die Minenarbeiter gegen drohende Massenentlassungen, die Gewerkschaften riefen verzweifelt nach einem "Krisengipfel". Und jetzt? Ein holländischer Staatsdiener als Retter der Goldindustrie Südafrikas? Mitnichten, denn vor allem für die Arbeiter in den Minen kommt die Atempause eindeutig zu spät. In ihrer Blütezeit 1986 beschäftigte die Goldindustrie Südafrikas 534.000 Menschen, 1994 waren es 391.000 - gegenwärtig sind es nach letzten Schätzungen noch 280.000.

Im Vergleich zu mehr als 50 Prozent in den sechziger und respektablen 40 Prozent Anfang der neunziger Jahre hält die Branche heute nur noch 20 Prozent der Exporteinnahmen Südafrikas, auch der Anteil am Bruttoinlandsprodukt ist von zwanzig auf knapp vier Prozent gesunken. Weitaus gravierender sind indes die sozialen Kosten der Goldkrise, alimentiert doch jeder Minenarbeiter durchschnittlich noch zehn weitere Personen - seien es Hilfsleistungen für Familiemitglieder in den unterentwickelten Agrargebieten Süfrikas oder Gastarbeiter-Transfers in die Nachbarländer.

Vom Apartheid-System wurde eine Erwerbslosenquote von 30 Prozent übernommen, und seit 1994 gingen auf dem ersten Arbeitsmarkt noch einmal 500.000 Stellen verloren. Hoffnung für entlassene Bergarbeiter auf einen neuen Job gibt es nicht. Die meisten sind Analphabeten ohne jegliche Qualifikation, fast die Hälfte Gastarbeiter aus dem umliegenden Ausland. Im kleinen Königreich Lesotho zum Beispiel schuftet fast ein Drittel aller Männer im arbeitsfähigen Alter in südafrikanischen Minen.

Der unerwartete Preisanstieg bringt den Minenbossen derzeit umgerechnet 1.500 Mark zusätzlich pro Kilogramm Gold. Signal für eine Trendwende auch auf dem Arbeitsmarkt? Patrick Evens, Sprecher des Western Areas Minen Joint Ventures, eines der jüngsten Opfer des Preisdrucks und selbst gerade dabei, Kündigungsschreiben zu verschicken, bleibt skeptisch: "Ein paar gute Wochen machen noch keinen Trend." Seit Jahren schon sind die südafrikanischen Minen gezwungen, ihre Kosten zu senken. 1997 lagen sie für eine Unze Gold noch bei 342 Dollar, heute kommt das Metall für 273 Dollar aus der Erde. "Immer noch deutlich teurer als die ausländische Konkurrenz", schüttelt Roger Baxter, Chef-Ökonom der südafrikanischen Bergbaukammer, den Kopf.

In der Gegend um Johannesburg schieben sich die Bohrköpfe schon bis in eine Tiefe von vier Kilometern. Bereits heute ist die Western Deep der "tiefste Minenkomplex" der Welt. Seit kurzem beschäftigen sich die Ingenieure mit einer kaum unvorstellbaren Planung - dem "Projekt 5000". Das heißt Prospektierung und Abbau von Goldadern fünf Kilometer unter der Erde - nur wird eine Förderung dann noch aufwendiger und vor allem: noch teurer. Die glühende Hitze in derartigen Tiefen zwingt zu riesigen Kühlsystemen. Schon heute verbraucht das mineneigene Elektrizitätswerk der Western Deep genauso viel Strom wie die gesamte Stadt Port Elizabeth. Und bei Tiefen von 5.000 Metern, das geben selbst die enthusiastischsten Unternehmer zu, müsste der Goldpreis noch einmal kräftig zulegen, um den Abbau rentabel zu halten. Oder die Kosten weiter sinken, was im Klartext vor allem Stellenabbau bedeuten dürfte.

"Ein solcher Preisverfall wie in den vergangenen Monaten", erklärt Professor Jan van Heerden von der Universität Pretoria, "ist wegen der hohen Produktionskosten heute einfach viel schwerer zu verkraften als noch vor zehn Jahren. Es kommt hinzu, dass Gold eben kein Wertaufbewahrungsmittel, kein sicherer Hafen mehr ist." Die Entscheidung der Bank of England, die Bindung des Pfund an die eigenen Goldreserven aufzugeben und 60 Prozent dieser Reserven als Teil einer breit angelegten Umschichtung seiner Vermögenswerte zu verkaufen, war nur ein weiterer Dominostein in der Devaluierung des edlen Metalls - eine Demontage geradezu, die einmal mit dem Kollaps des Systems von Bretton Woods (*) begann.

"Nachdem die Weltwirtschaft den Kampf gegen die Inflation gewonnen zu haben scheint, gibt es heute keine wirkliche Nachfrage mehr nach Gold", meint der südafrikanische Finanzexperte Charl Joubert. "Gold hat seinen Glanz verloren, daran ändert auch die unverhoffte Schützenhilfe aus Holland nichts ..."

(*) 1944 wurde in Bretton Woods ein neues Weltwährungssystem ausgehandelt, das im wesentlichen auf festen Wechselkursen und den Goldeinlagen der Nationalbanken basierte, ab 1973 erfolgte schrittweise der Übergang zu flexiblen Wechselkursen.

Durchschnittliche Beschäftigungszahlen in der Goldindustrie Südafrikas

1920

207.400

1930 224.200
1940394.700
1950 348.300
1960 437.300
1970 416.800
1980 469.300
1990 505.300
1999 280.000 (Schätzung)

Quelle: SA Chamber of Mines, Johannesburg

Jährlicher Durchschnittspreis für die Unze Feingold auf dem Weltmarkt
(Angaben in US-Dollar)

1985

317,29

1987446,60
1989381,54
1991361,53
1993359,70
1995384,17
1997331,11
1998294,14

Quelle: SA Chamber of Mines, Johannesburg

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