FREITAG: Welche sozialpolitischen Themen wird die NPD im Kommunalwahlkampf in Brandenburg aufgreifen?
MICHAEL KOHLSTRUCK: Es werden lokale Themen, vermeintliche oder tatsächliche Korruption eine Rolle spielen, natürlich auch Jugendarbeit und der Zustand von Schulgebäuden. Solange die NPD die etablierten Parteien delegitimieren kann, sind ihr grundsätzlich alle Themen recht.
Das klingt so, als sei nicht alles, was die NPD fordert, grundsätzlich falsch?
Die sozialpolitischen Probleme sind ja keine Erfindungen der Rechten. Bei der Forderung nach höheren Regelsätzen für ALG-II-Empfänger beispielsweise kann es sich durchaus um berechtigte Ansprüche handeln. Das Problem ist, dass die NPD dies immer nur für eine ethnisch-homogene Volksgemeinschaft fordert. Wenn demokratische Parteien einen höheren Regelsatz wollen, geht es ihnen um mehr soziale Gerechtigkeit für die Bevölkerung. Ein qualitativer Unterschied, den die NPD gerne verschleiert. Wer neue Mitglieder sucht, redet halt lieber von aktuellen Problemen, als von Volksgemeinschaft, Deportation und Migranten.
Worum geht es überhaupt in den Programmen der Rechtsradikalen?
Vor allem um Arbeitsplätze und die Frage der gerechten Verteilung von Reichtum. Und darum, dass gerade in Deutschland die Managergehälter im Vergleich zu den Einkommen der Erwerbstätigen sehr stark gestiegen sind. Man darf sich ja auch nicht wundern, wenn Themen aufgegriffen werden, die die Bürger bewegen und die Regierenden ignorieren.
In Anspielung auf die Frankfurter Schule hat die NPD eine Dresdner Schule gegründet. Was bedeutet das?
In dieser so genannten Schule soll ein konsistentes und anspruchsvolles Denken aus rechtsextremer Sicht kultiviert werden. Der Anspruch, ein gesellschaftstheoretisches Konzept von rechtsaußen zu formulieren, ist hoch. Die Ergebnisse sind bislang aber recht mager.
Warum stellt die systemfeindliche NPD überhaupt sozialpolitische Forderungen?
Sie führt einen Kampf um Parlamente und einen um Köpfe. Über Wahlen will sich die NPD eine bessere Ausgangsbasis verschaffen: mehr finanzielle Ressourcen, Parlamentsauftritte, politische Infrastruktur, um dann mit einer stärkeren Gestaltungsmacht im Parlament vertreten zu sein. Dazu lässt sie sich auf das reguläre Spiel mit Themen und Problemen ein. Zum anderen versucht sie, Mitglieder aufzubauen, die den Mächtigen auf die Finger schauen. Allerdings ist nicht jeder, der NPD aussprechen kann, auch schon ein guter Redner.
Gibt es Wähler, die glauben, dass die NPD eine sozialpolitische Alternative bietet?
Selbst Wähler der NPD wissen, dass diese Partei nicht politikfähig ist. Aber ich glaube auch, dass bei Kommunalwahlen einzelne NPD-Funktionäre gewählt werden, wenn sie sich für lokale Bürgerbelange einsetzen. Da gibt es dann Zustimmung zu einigen Vorhaben, aber auch eine Denkzettel-Mentalität: Wenn jemand die NPD wählt, stimmt er nicht für CDU oder SPD. Ich denke, dass die NPD bei den Wahlen in Brandenburg Denkzettel-Wähler hinzugewinnen kann.
Warum?
Weil das Vertrauen der Bevölkerung in die Problemlösungskapazität der etablierten demokratischen Parteien nachlässt. Das sagen Umfragen. Zudem haben die Bürger immer weniger den Eindruck, dass sie bei wichtigen Problemen wirklich partizipieren können.
Wie beunruhigend sind Wahlerfolge der NPD für die Demokratie?
Man kann den Rechtsradikalismus in einer Demokratie nicht als isolierte Größe betrachten. Der Zulauf, den diese Kräfte haben, ist immer ein Zeichen dafür, dass die demokratischen Parteien keine Angebote mehr machen. Es ist wie ein System kommunizierender Röhren. Und neue Parteien sind immer dann entstanden, wenn die etablierten Parteien, dringende Probleme ignoriert haben.
Glauben Sie, dass die neue Linkspartei die soziale Frage wieder glaubwürdig aufgreift?
Es ist die Frage, ob es der Partei gelingt, ein Image aufzubauen, das sie deutlich absetzt von den Angeboten, die am Markt sind. Noch stellt die Linke radikale Forderungen und sogar die Systemfrage. Aber ich glaube, dass sich durch die Linkspartei das Parteienspektrum der Republik erweitert, weil sie sich der sozialen Frage wieder anzunehmen scheint.
Kann sie damit den Rechten das Wasser abgraben?
Auf die Parlamente bezogen, können den Rechtsextremen Protestwähler entzogen werden. Das Hauptproblem aber, die Gewalt, wird bleiben.
Das Gespräch führte Dirk Friedrich Schneider
Dr. Michael Kohlstruck leitet die Arbeitsstelle Jugendgewalt und Rechtsextremismus am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.