Praktizieren Sie Kraft-, Nackt-, Lach-, christliches oder zeitgenössisches Yoga? Oder schwören Sie auf das reine Ashtanga Vinyasa? Sollte Ihr bevorzugter Yogastil sich unter den erstgenannten befinden, sind Sie nach Ansicht einer Initiative zur Bestimmung des Wesens dieser jahrtausendalten Lehre womöglich einem Etikettenschwindel aufgesessen. Eine von der indischen Regierung eingesetzte Kommission zum Schutze des reichen heilkundlichen und medizinphilosophischen Erbes des Landes hat damit begonnen, Hunderte der sogenannten Asanas (Sanskrit für Sitz, also Körperhaltungen im Yoga) abzufilmen, um diese überaus wandelbaren und meditativen Praktiken in ein rigides System zu überführen.
Die „Videographen“ sollen als unwiderlegbarer Beweis dafür dienen, dass die Inder die Positionen als erste praktizierten und verhindern, dass jemand sich an der Patentierung eines vermeintlich neuen Stils bereichert. Da ein früherer Versuch, das Wesen des Yoga mithilfe der Übersetzung altertümlicher Texte zu definieren, zu recht gemischten Ergebnissen geführt hatte, will man es nun auf diese Weise versuchen. „Es ist wie mit dem Fußball und Großbritannien“, sagt Suneel Singh, einer der führenden Yoga-Gurus des Landes. „Man macht der Welt ein großzügiges und wunderbares Geschenk. Aber stellen Sie sich vor, die Leute würden anfangen zu behaupten, sie hätten den Sport erfunden. Das wäre doch sehr ärgerlich.“
Vinod Kumar Gupta, der der Digitalen Bibliothek für traditionelles Wissen (Traditional Knowledge Digital Library), einer in Delhi ansässigen Regierungsorganisation vorsteht, die vom Gesundheits- und Wissenschaftsministerium ins Leben gerufen wurde, meint: „Mit einem Text allein kann man die Sache nicht angemessen beschreiben. Manche Leute behaupten, sie machten etwas, das sich vom traditionellen Yoga unterscheidet, auch wenn dies gar nicht stimmt. Yoga wurde in Indien erfunden. Man kann nicht behaupten, etwas Neues zu machen, wenn dem nicht so ist.“
Die Kampagne zur Wahrung und Sicherung des reichen indischen Erbes an medizinischer Heilkunst und spirituellen Praktiken hat bereits große Erfolge erzielt. Europäische Unternehmen konnten dazu gezwungen werden, Patente für eine Reihe von Gesundheitsprodukten auf der Basis eines Extraktes aus Melone, Ingwer, Kreuzkümmel, Kurkuma und Zwiebeln zurückzugeben. In jedem Einzelfall gelang es der indischen Regierung, in der digitalen Bibliothek mit großer Sorgfalt übersetzte Texte zu finden – von medizinischen Lehrbüchern aus dem 19. bis hin zu traditionellen ayurvedischen Handschriften aus dem fünften Jahrhundert – mit denen sie ihre Behauptungen belegen konnten.
Traditionelle indische Pflanzen und Heilmittel vor der Kommerzialisierung zu schützen ist nun aber etwas gänzlich anderes, als die „Veruntreuung“ von Yoga-Praktiken zu verhindern. Es gibt Dutzende, wenn nicht Hunderte Millionen Praktizierender und Hunderte verschiedener Schulen, von Nackt- bis hin zum christlichen Yoga, das in amerikanischen Konfessionsschulen und Kirchen entwickelt wurde. „Niemand soll davon abgehalten werden, Yoga zu praktizieren. Aber niemand sollte eine Praktik veruntreuen und Franchise-Gebühren dafür verlangen“, meint Gupta, der, wie viele Bewohner Delhis, eine altertümliche Art des Yoga in einem Park in der Nähe seiner Wohnung praktiziert. „Zu Dingen wie Hot Yoga oder Kraftyoga oder was auch immer kann ich nichts sagen. Wir können nur die Beweise liefern, entscheiden müssen dann andere.“
Tradition mit oder ohne Kuhdung?
Die Kampagne für die Bewahrung des Yoga als genuin indischer Lehre geht auf den Versuch des selbsternannten „Yoga-Lehrers der Stars“, Bikram Choudhury aus Hollywood zurück, der seinen Bikram-Stil vor ein paar Jahren in den USA patentieren lassen wollte. „Sie kreieren Marken“, sagt Guru Singh, der selbst eine Spielart erfunden hat, die er Urban Yoga nennt. „Aber klatschen, lachen – all das gab es schon vorher, es bekommt jetzt nur einen neuen englischen Namen.“
Auch in Indien selbst sind Yogis und Yoginis uneins. Konservative sagen, nur das Yoga, wie es in Texten wie der Hathayogapradipika, einer Zusammenstellung von Handschriften aus dem 15. Jahrhundert, beschrieben wird, entspreche der Tradition. Aber eine neue Generation will etwas anderes. Der 32-jährige Guru Mohan gibt Kurse für junge Inder, die in der riesigen Satellitenstadt Noida außerhalb von Delhi in Technologieunternehmen arbeiten. „Die Menschen hatten vor 2.000 Jahren andere Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse“, sagt er. „Damals praktizierten sie Yoga in Urwäldern und Flüssen. Nach den Schriften muss die Stelle, an der man seine Übungen durchführen möchte, vorher mit Kuhdung gereinigt werden. Das ist heute eindeutig nicht mehr angemessen, nicht einmal mehr in Indien.“ Einige Dinge seinen jedoch für die Ewigkeit, so der Erfinder des sogenannten Call Center Yoga, das er speziell für Menschen entwickelt hat, die stundenlang am Telefon zubringen. „Yoga ist für die ganze Menschheit da. Die traditionelle Weisheit soll den Menschen dienen und von niemandem eingeschränkt werden.“
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