Nicht alle Menschen, die eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen, tun dies, um von Krankheit und Leid geheilt zu werden. Manche Patienten sind gar keine Patienten. Sie sind gesund und wollen sich doch mithilfe der Medizin alle möglichen Wünsche erfüllen lassen. Sportler wünschen sich mehr Kraft und Ausdauer, Models ein ansprechenderes Äußeres und Homosexuelle eigene Kinder – und immer mehr Ärzte erfüllen diese Wünsche. Längst gibt es ein breites Spektrum an medizinischen Lifestyle-Maßnahmen, die mit dem klassischen Heilauftrag nicht mehr viel zu tun haben, die aber auf wachsende Nachfrage und oft auch zahlungswillige Abnehmer stoßen. Einige Leistungen dieser „wunscherfüllenden Medizin“ bewegen sich dabei in einer rechtlichen, aber auch standesethischen Grauzone.
Nun soll per Gesetz ein weiterer umstrittener Eingriff zum Aufgabengebiet der Ärzte hinzukommen, der allerdings – anders als etwa Eizellspende oder Neuroimplantate – eine jahrtausendealte Tradition vorweisen kann: die Beschneidung von männlichen Neugeborenen ohne medizinische Indikation. Der Gesetzentwurf zur rechtlichen Absicherung der Beschneidung beschwört die Regeln der ärztlichen Kunst. Damit nimmt er die Mediziner besonders in die Pflicht – und wirft erhebliche medizinethische Fragen auf.
Schnitt auf Wunsch
Die Vorgeschichte ist längst bekannt: Seit im Mai diesen Jahres das Landgericht Köln die religiös motivierte Zirkumzision eines muslimischen Jungen als strafrechtsrelevante Körperverletzung eingestuft hat, tobt eine breite und schillernde, immer wieder äußerst polemische und aufgeladene Debatte. Beschneidungskritiker zielen dabei vor allem auf die Rolle der Eltern: Zu Recht stellen sie deren Berechtigung infrage, stellvertretend für ihr Kind die Einwilligung für den verletzenden Eingriff zu geben. Doch gibt es mit Blick auf den Entwurf des Justizministeriums noch einen weiteren Aspekt, der allgemein nur wenig Beachtung findet: Inwieweit ist eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung überhaupt mit den Grundprinzipien ärztlichen Handelns und damit mit der Zielbestimmung und ethischen Identität der Medizin vereinbar?
Deren oberster Grundsatz ist seit der Antike das Schädigungsverbot: primum non nocere. Komplementär gilt das Gebot der Fürsorge und des Wohltuns. Dies findet sich in der Logik und Rechtfertigung jedes medizinischen Eingriffs wieder, die immer eine Abwägung zwischen Schaden und Nutzen verlangen. Ist der Patient krank und lässt sich dies nach den Regeln der Kunst diagnostizieren, ist diese Abwägung in der Regel kein Problem.
Im Fall der frühkindlichen Beschneidung ist die medizinische Ausgangslage jedoch ganz anders, denn es geht nicht um eine klassische Therapieentscheidung. Weder ist der „Patient“ krank, in seiner psychophysischen Funktionstüchtigkeit oder durch seelisches Leid eingeschränkt, noch droht ihm eine konkrete gesundheitliche Gefahr, die es präventiv abzuwehren gälte. Damit unterscheidet sich ein Säugling, der ohne medizinische Notwendigkeit seine Vorhaut einbüßen soll, nicht wesentlich von dem typischen Klienten einer Wunschmedizin, die sich mehr an Nachfrage und Machbarkeit als an Krankheit und Heilung orientiert.
Die nicht indizierte Beschneidung kann somit als Leistung wunscherfüllender Medizin ohne therapeutischen Nutzen gelten. Dass dies keineswegs unproblematisch ist, zeigt die medizinethische Auseinandersetzung über Schönheitsoperationen, Hirndoping und andere „Verbesserungen“ von gesunden Erwachsenen. Und ebenso wie diese ausufernden Grauzonen einer nichttherapeutischen Dienstleistermedizin verlangt die Beschneidungsdebatte eine eingehende Reflexion des ärztlichen Ethos.
Dabei darf nicht von vornherein die Möglichkeit ausgeschlossen sein, die klaren Grenzen medizinethischer Grundprinzipien in einem besonderen Ausnahmefall behutsam zu überschreiten. Aus medizinethischer Perspektive bleibt offen, ob Beschneidungen Minderjähriger, trotz fehlender medizinischer Indikation zulässig sein sollten, sofern gewichtige außer-medizinische Gründe dies erfordern sollten (wie etwa die religiös-kulturelle Tragweite des Rituals). Dies ist aber eine Frage, die zu Beantworten nicht dem einzelnen Arzt überlassen werden sollte. Sie muss gesamtgesellschaftlich diskutiert werden und kann letztlich nur politisch entschieden werden .
Tobias Eichinger forscht und lehrt am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg. Er hat über Wunscherfüllung in der Medizin promoviert
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