Kino.to ist tot

Medientagebuch ... aber der Film hat im Netz schon lange ein Zuhause gefunden. Durch Symbolpolitik wird er von dort nicht vertrieben werden. Geschäftserfolg versprechende Wege sind andere

Keine zwei Monate ist es her, da zogen die großen US-Filmstudios sich den heftigen Zorn der Kinobetreiber und einiger Star­regisseure von James Cameron bis Michael Mann zu. Warner, Universal und Co. hatten beschlossen, dass demnächst die Blockbuster-Auswertung schon 60 Tage nach Kinostart auf Video- on-Demand möglich sein soll. Zuerst nur einzelne Filme, zum absurden Preis von 30 Dollar je Abruf. Die Marschrichtung ist klar: Das Verkaufen, Verleihen und Streamen im Netz rücken an die zweite Stelle der Verwertungskette. Die DVD gilt als mehr oder weniger tot, die Blu-Ray ist kein vergleichbarer Erfolg. In den USA setzt der vormals reine DVD-Verleiher Netflix mit einer immens erfolgreichen Streaming-Flatrate alle anderen unter Druck.

Was hat das nun mit der von der Verwerterindustrie gerade groß gefeierten Schließung der Videostream-Link­sammlung kino.to zu tun? Sehr viel, denn kino.to war die Sorte von windschief zusammengetrickstem Netz- Angebot, die dort entsteht, wo es die legalen Geschäftsmodelle, auf die Hollywood zuzusteuern versucht, noch nicht gibt. Mit wackelnden Kameras abgefilmte Blockbuster werden bei Filehostern hochgeladen, eine Horde von Linksuchern stellt die Adressen auf Seiten wie kino.to (es gibt eine Menge davon), und die Nutzer erdulden Glücksspiel- und Porno-Werbung und serienweise aufpoppende Fenster, um sich angesichts der scheußlichen Ton- und Bildqualität ständig zu fragen, ob die schemenhafte Bewegung im Videorahmen dem unruhigen Vordermann des Abfilmers oder doch der Spielfilmhandlung zuzurechnen ist.

Viel sinnvoller, und also für die Verwerter problematischer, ist die Sache zugegeben bei US-Fernsehserien – da ist die Quasi-Tagesaktualität in perfekter Qualität zu haben. Was aber das Kino angeht, so sind die von der In­dustrie genannten Einnahmeverluste durch Filesharing- und Streaming-Piraterie im neunstelligen Bereich kühne Fabulation. Das Problem der Filmindustrie ist mit dem der Musikindustrie nicht vergleichbar. Wo die Lösung der Musik-Daten vom physischen Träger ohne große Informationsverluste möglich ist, sind die Streaming-Versionen der Blockbuster ein schlechter Witz. Es sind gerade nicht die später auftauchenden DVD-Kopien, die die enormen Abrufzahlen verursachen, sondern die brandheißen Versionen in Cam-Qualität. Schwer vorzustellen, dass eine derartig degradierte Voransicht die Massen wirklich vom nochmaligen und eigentlichen Betrachten des Films im Kinosaal abhält.

Digitale Dilemmata

Ohnehin ist die Schließung von Angeboten wie kino.to eine eher symbolische Sache. Es bleibt ein Kampf gegen die Hydra: Wo ein Dienst gekappt wird, wachsen viele andere nach. Dazu kommt, dass mit guten Gründen so recht kein legales Kraut gegen die meisten der beteiligten Instanzen gewachsen scheint. Die User sind de facto sowieso und vermutlich sogar de jure als bloße „Fernseher“ aus dem Schneider. Selbst der Status von Links zu illegalen Angeboten versammelnden Seiten wie kino.to ist juristisch nicht völlig geklärt.

Die Geschäftserfolg versprechenden Wege aus diesen digitalen Dilemmata sind ohnehin andere. Netflix geht mit enormen Gewinnen voran. Es läuft zum Unwillen der zähneknirschend einwilligenden Industrie auf attraktive Flatrates für den Verbraucher hinaus. Das Video-on-Demand-Fenster wird dem Kinostart näher und näher kommen. Nicht gut sieht es für die DVD aus. Das Kino als ganz anderes Ereignis aber wird die Konkurrenz aus dem Netz überleben. Und die nostalgischen Kinosaal-Monotheisten müssen irgendwann einsehen: Der Film ist im Internet längst zu Hause.

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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